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Patienten" Zigeuner

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FURCHE: Nach ungarischen Presseberichten vermehren sich in letzter Zeit Ausschreitungen ge­genüber den etwa 400.000 Roma im Lande. Was ist vorgefallen?

BELA OSZTOJKAN: Vor allem in der Kleinstadt Eger terrorisieren etwa 200 Skinheads seit Wochen die Wohngebiete der Roma. Auf offener Straße werden Frauen und Kinder angegriffen und verdro­schen. Die Polizei schaut dem Trei­ben passiv zu. Der Polizeichef er­klärte, die Aggression gehe von den jugendlichen Roma aus, die die Mode der Skinheads störe. Er scheute sich nicht, gegen 21 Roma ein Gerichts­verfahren anzustrengen, aber ge­gen keinen einzigen Skinhead.

Wen wundert es da, daß in den Budapester Wohngebieten der Roma Schmierereien gesprüht werden, auf denen es heißt „Lang lebe Eger"? Hinter den Ereignissen in Eger steht die rechtsgerichtete „Christlich Demokratische Partei", die mit ihrer Parole „Ungarn den Ungarn" alle Minderheiten assimilieren möchte.

Ein ähnliches Szenario zeigte sich vor einigen Wochen auch in der In-dustriestadtTatabänya, als sich 400 Roma zu einer Wahlversammlung einfanden. Kurz nachdem die Ver­anstaltung begonnen hatte, kam die Polizei und erklärte, daß die Roma ihre Versammlung sofort abbrechen müßten, weil eine Bombendrohung eingegangen sei; eine Gruppe mit dem Namen „Dr. Mengele" wolle das Gebäude in die Luft jagen. Wir nehmen an, daß die Polizei diese Gruppe als Phantom erfunden hat; die Behörden haben Angst, wir könnten uns organisieren.

Wir sehen in all dem eine politi­sche Kampagne gegen uns, keinen spontanen Rassismus seitens der Be­völkerung. In einem Offenen Brief an die Regierung hat die Zeitschrift „Phralipe" protestiert, daß die Po­litiker bisher keine Maßnahmen ergriffen haben, um das Verhältnis zwischen ungarischer Mehrheit und den Minderheiten zu verbessern.

FURCHE: Ihr Name wurde im Juni einer breiteren Öffentlichkeit be­kannt, als Sie und Ihre Zeitschrift über eine rassistische Untersuchung berichteten, die in der „Rundschau des Innenministeriums " publiziert wurde, einem internen „Speziali­stenkreis" zugänglich. Demnach wurden in Ungarn seit 1979 Unter­suchungen „über die humanbiolo­gischen Besonderheiten der Zigeu­ner" durchgeführt, Fingerabdrük-ke systematisch gesammelt und Blutproben genommen.

OSZTOJKAN: Als mir dies zu Ohren kam, fragte ich mich, wenn diese Studien tatsächlich - wie offi­ziell verlautbart - der Gesundheit der Roma dienen sollten, was sie dann das Innenministerium angin­gen. Zudem hörte ich, daß sich immer mehr Roma-Gemeinden ängstigten. Niemand verstand, warum man Zellgewebe der Haut untersuchen wollte, warum man eine Blutprobe abgeben sollte. Aber die Ärzte kamen in die kleinsten Gemeinschaften.

Als im Februar in Paris ein Min­derheitenkongreß von „S.O.S. Ra-cisme" stattfand, sprach ich erstmals vor dem internationalen Kol­loquium. Alle Anwesenden waren bestürzt, wollten Genaueres wis­sen. Nun ging ich wieder zurück nach Budapest; dort angekommen, wurde ich vom Minderheitenbe­auftragten der Antall-Regierung, Ärpäd Fasang, als „Vaterlandsver­räter" beschimpft. Ich hätte Un­garn großen Schaden zugefügt und dies könnte sich negativ auf neue Wirtschaftskredite auswirken.

Von einem Oberst des Innenmini­steriums und einem Hauptabtei­lungsleiter des Ministeriums für Soziales und Gesundheit wurde ich zu einem Gespräch eingeladen: Man bedauerte die Studien und versi­cherte, sie einzustellen. Was seit Juni tatsächlich geschah. Aber es blei­ben Fragen offen: Waren dies Un­tersuchungen zur „Rassenfrage"? Wer hat sie zu verantworten? Re­spektierte man Einwände der „Patienten"? Weshalb waren bei der angeblich rein medizinischen Un­tersuchung Fingerabdruck-Exper­ten des Innenministeriums anwe­send? Und wie können wir wissen, daß die Untersuchungen mittler­weile nicht im kriminologischen Archiv des Innenministeriums ver­wahrt werden?

FURCHE: Wie reagiert die Mehr­heit der Ungarn auf diese Enthül­lungen?

OSZTOJKAN: Gleichgültig. In Miskolc, der zweitgrößten Stadt des Landes, leben zahlenmäßig mehr Roma als in anderen Städten. Und um des „Zigeunerproblems" Herr zu werden, beschlossen dort ehrba­re Bürger, die Roma aus dem Stadt­zentrum ab- und in einem herun­tergekommenen Vorort anzusiedeln. Man machte dazu eine Meinungs­umfrage: 35 Prozent der befragten Miskolcer stimmten diesem Plan zu, 40 Prozent wollten unbedingt Maß­nahmen sehen, damit das „Problem" aus dem Stadtbild verschwinde, weitere 30 Prozent gaben sich un­entschlossen, aber gleichgültig.

Sie können sich nicht vorstellen, wie schwer es für einen Roma ist -auch wenn offiziell bisher keine kon­kreten minderheitsfeindlichen Maß­nahmen ergriffen wurden -, unter diesem Klima weiter in Miskolc zu wohnen.

FURCHE: Welche Ziele vertritt dadie Organisation „Phralipe" und ihre gleichnamige Zeitschrift?

OSZTOJKAN: „Phralipe" ver­steht sich als eine Bürgerrechtsbe­wegung, die gegen jede Art vonDis-kriminierung kämpft. Unsere Zei­tung ist unabhängig und will ein Forum für Fragen, Probleme und kulturelle Anliegen unseres Volkes sein.

Wir wollen uns aber nicht nur politischen Fragen widmen, sondern auch unserer Sprache und Kultur, da bekanntlich die Roma auf sozial schwachem und auch kulturell nied­rigem Niveau leben. Anfangs hat­ten wir die Hoffnung, wir könnten für den Status „nationale Minder­heit" kämpfen, also für die gleichen sozialen und politischen Rechte, wie sie den Ungarndeutschen, Südsla­wen und Slowaken in Ungarn zuge­standen werden. Heute wissen wir, wir müssen dieses Ziel zurückstek­ken und alles daransetzen, als „ethnische Minderheit" anerkannt zu werden.

Man hat uns zugesichert, Roma werden wie alle anderen nationalen Minderheiten in Zukunft politisch gleich behandelt werden. Doch wie Minderheiten augenblicklich ihre Rechte verwirklichen können, be­friedigt keinen der Betroffenen in Ungarn. Bisher läßt das Wahlgesetz beispielsweise den Minderheiten keine reale Chance, ihre Vertreter in die Parlamente zu bekommen. „Phralipe" gelanges immerhin, auf der Liste der „Freien Demokraten" (SZDSZ) sieben Repräsentanten ins Budapester Parlament zu bekom­men; auf einer eigenen Liste wäre das nicht möglich gewesen.

Die großen Parteien sehen im Augenblick nur vor, daß ein „Min-derheiten-Ombudsmann" für jede Minderheit im Parlament als nicht­stimmberechtigter Abgeordneter vertreten sein kann. Alle Minder­heiten laufen gegen dieses Konzept Sturm, auch wir Roma.

Doch solange die Bevölkerung sich nicht bewußt wird, daß Minderhei­ten gewisse Sonderrechte brauchen, um ihre Identität zu wahren, wer­den die großen Parlamentsparteien auch nicht gezwungen, Minderhei-, tenrechte anzuerkennen.

Mit dem Schriftsteller und Parlamentsabge-ordneten BELA OSZTOJKAN, Chefredakteur der Roma-Zeitschrift „Phralipe", sprach RO­LAND HOFWILER. In Ungarn leben neben 400.000 Roma noch 220.000 Deutsche, 120.000 Slowaken und 100.000 Südslawen, daneben andere kleinere Minderheiten.

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