"Raus aus diesem Grab!"

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Mit seiner Idee, einen Kindergarten für Roma-Kinder zu eröffnen, war Tiberius Schupler ein Wegbereiter der Roma-Integration in Rumänien. Wie der Caritas-Direktor von Satu Mare sein Herz für Roma entdeckt hat und warum er deswegen angefeindet wird, erzählt er im Furche-Gespräch.

Die Furche: Werden Sie angefeindet, weil Sie Roma helfen?

Tiberius Schupler: Meist am Anfang von Projekten. Die Leute fragen: Warum helft ihr den Roma? Die sind doch faul, die wollen nicht arbeiten, die stehlen ... Oder ich werde persönlich angegriffen und es wird getratscht, Pfarrer Schupler habe viele Kinder bei den Roma-Mädchen. Und sollte ich mich weiterhin für die Roma engagieren, dann werden sie keine Kirchensteuer mehr bezahlen. Dann gibt es auch noch welche, die sagen, Hitler war klüger, der hat eine Seifenfabrik für die Zigeuner gemacht und keinen Kindergarten.

Die Furche: Wie entgegnen Sie diesen Vorwürfen?

Schupler: Mit der Frage: Warum sind die Roma so? Diese Frage müssen wir uns doch auch stellen. Und wenn wir uns darauf eine ehrliche Antwort geben, kann unser Gewissen nicht mehr so leicht beruhigt werden. Dann sind wir aufgefordert, zur Beendigung der Misere beizutragen. Wenn jemand heute am Rande der Gesellschaft steht, dann sind es die Roma. Und ein Christ muss sich nicht um die Mitte sorgen, sondern zu denen am äußersten Rand gehen.

Die Furche: Können Sie sagen, dass sich in der Einstellung der Mehrheit der Rumänen gegenüber den Roma in den letzten zehn Jahren schon etwas zum Positiven verändert?

Schupler: Das ist ein langfristiger Prozess. Wenn wir nur an schnelle Erfolge denken, sind wir auf dem falschen Weg. Auch die kommunistische Ära verschwindet nicht durch ein Wunder. Der "homo sovieticus" verwandelt sich nicht von heute auf morgen.

Die Furche: Aber unter dem kommunistischen Regime ist es den Roma doch zumindest offiziell besser gegangen.

Schupler: Teilweise ja. Die Roma mussten sesshaft werden, um das Image Rumäniens durch ihr Herumziehen nicht zu beschädigen. Cseausescu hat sie zur Arbeit in landwirtschaftlichen Kolchosen und Fabriken eingeteilt.

Die Furche: Und mit dem Zusammenbruch des Regimes war das alles vorüber?

Schupler: Die Kolchosen wurden aufgelöst, die Mammutfabriken geschlossen. Und der Kolchosepräsident hat mit dem LKW mitgenommen, was zu holen war. Der Brigadier hat mit dem Pferdewagen das gestohlene Gut abtransportiert und die anderen haben den Rest mitgehen lassen. Die Roma standen ganz unten in der Hierarchie, wurden als erste entlassen und gingen zumeist leer aus.

Die Furche: Werden Sie in Ihrer heutigen Arbeit für die Roma von der Politik unterstützt?

Schupler: Wir müssen differenzieren. Auch und gerade in der Politik kommt es auf das Engagement Einzelner an. Und da gibt es jene, die für die Schwierigkeiten der Roma ein Ohr haben, die offen sind und bereit für eine Zusammenarbeit. Daneben gibt es solche, die entweder mit den Roma nichts zu tun haben wollen oder auch jede Zusammenarbeit mit einer kirchlichen Organisation verweigern und uns eher als einen ungeliebten Konkurrenten betrachten.

Die Furche: Die Europäische Union fordert von den Beitrittskandidaten, also auch von Rumänien, dass sie effektiv zur Integration der Roma beitragen. Ist dieser Druck vonseiten der EU eine Hilfe für Ihre Arbeit?

Schupler: Für mich sind diese Forderungen aus Brüssel ein wichtiger Beitrag, um die Akzeptanz unserer Arbeit zu erhöhen. Positiver, konstruktiver Druck kann uns nur behilflich sein.

Die Furche: Vor genau zehn Jahren haben Sie einen Kindergarten für Romakinder initiiert. Hat sich dieses Integrationskonzept bewährt?

Schupler: Eindeutig. Ich kann im Namen unseres Teams mit Stolz sagen, dass dieses Modell gut gelungen ist, der Erfolg übertrifft sogar unsere Erwartungen.

Die Furche: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihre Hilfe auf die Roma-Kinder zu konzentrieren?

Schupler: Nach der Revolution haben wir als ersten Schritt sehr viele Hilfsgüter unter den Roma verteilt. Doch innerhalb eines Jahres kamen wir zum ernüchternden Resümee, dass das keine richtige Hilfe für sie ist. Die Bettlermentalität, die Abhängigkeit ist größer geworden. In der Zwischenzeit ist es auch in mehreren Dörfern in der Umgebung zu Pogromen gekommen. Häuser brannten und die Roma wurden aus ihren Siedlungen verjagt, sogar Tote hat es gegeben.

Die Furche: Sie haben also bemerkt, dass die bisherige Hilfe zu kurz greift?

Schupler: Ja, wir haben die Situation analysiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass die Roma für dieses Leben in Armut und Not und Unsicherheit schon aus ihrer Geschichte heraus prädestiniert sind. Aus eigener Kraft kommen sie aus diesem Grab nicht mehr heraus.

Die Furche: Aber auch Ihre Hilfsmöglichkeiten sind begrenzt?

Schupler: Es war eine Wüstensituation und wir hatten nur eine begrenzte Menge Wasser. Was damit tun? Alles gleichmäßig verspritzen oder konzentrierte Oasen gründen. Unsere Zeit, unsere finanziellen Mittel, unsere Phantasie waren sehr begrenzt, deswegen mussten wir unsere Hilfe konzentrieren, um zumindest in einigen Romadörfern den Teufelskreis: Armut - keine Ausbildung - deswegen noch mehr Armut zu durchbrechen.

Die Furche: Auch wenn Ihre Arbeit jetzt Früchte trägt - bleibt Ihr Einsatz, um den Vergleich mit dem Wasser aufzugreifen, nicht trotzdem nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Schupler: Natürlich man braucht für Roma-Projekte eine ziemlich große Dosis an Idealismus. Dessen sind wir uns bewusst, gerade als Caritas. In Rumänien gibt es zehn Prozent Katholiken und wir können, wollen und brauchen auch nicht die Probleme des ganzen Landes auf uns nehmen und lösen. Wir sind nicht wie Cseausescu der allmächtige Gott. Obwohl, diese Versuchung ist immer da. Wir wollen unsere Arbeit sehr gut machen. Unsere Projekte sollten ein Modell sein.

Die Furche: Werden diese Modelle von anderen Organisationen bzw. staatlichen Stellen in Rumänien akzeptiert, aufgegriffen, kopiert?

Schupler: Schon im fünften Jahr des Bestehens unseres RomaKindergartens und unseres Schülerhorts ist diese Art von RomaBetreuungsstätten in unserem Landkreis Mode geworden. Viele Einladungen zur Präsentation unserer Arbeit, viele interessierte Besucher beweisen das. Heutzutage sind schon rund tausend sozial benachteiligte Kinder, der Großteil Roma, in solche Integrationsprojekte aufgenommen.

Die Furche: In diesem Zusammenhang wird gerne der Vorwurf gemacht, wir zwingen den Roma einen ihnen fremde Kultur auf, wir betreiben eine Art Kolonialismus.

Schupler: Was ist die Alternative dazu? In einer gemeinsamen Welt können sie nicht unberührt von der Mehrheitskultur - wie immer man zu der stehen mag - leben. Es ist die Aufgabe der Roma, ihren Platz in dieser Welt zu finden. Diese Welt entwickelt sich weiter, wächst mehr und mehr zusammen, ob wir das wollen oder nicht.

Die Furche: Bedeutet das, neben materieller Unterstützung ist es ebenso wichtig, kulturelle Hilfestellung, geistige Orientierung mitzugeben?

Schupler: Unsere Arbeit zielt nicht darauf, die Identität der Roma zu zerstören. Wir sagen ihnen: Ihr seid Roma und ihr sollt Roma bleiben. Aber zu ihrer Identität gehört nicht, dass sie schmutzig sind, einbrechen, stehlen und nicht zur Arbeit gehen. Roma haben so viele Traditionen, auf die sie zu Recht stolz sind. Diese teilweise schon durch Armut und Verwahrlosung zerstörte Kultur müssen die Roma oft auch erst selber wieder für sich entdecken und als einen Teil von sich annehmen. Allein können die Roma aus ihrem Grab nicht herauskommen, sie brauchen jemanden, der ihnen die Hand reicht. Aber die nächste Generation muss sich schon selber helfen können. Das ist unser Ziel. Die Generation, die heute in unseren Kindergärten und Schulen und Lehrwerkstätten heranwächst, muss einmal selber fähig sein, die Probleme der Roma zu formulieren und selber zu vertreten.

Die Furche: Wir reden ausschließlich davon, was wir den Roma geben können. Gibt es für Sie auch etwas, was wir, was unsere Kultur von den Roma lernen kann?

Schupler: Wir können von der Natürlichkeit der Roma lernen, von ihrer Lebenslust, ihrer Aufrichtigkeit. Und auch von ihrer Gelassenheit und Sorglosigkeit. Sie sind wie die Vögel des Himmels. Anders könnten sie auch nicht überleben. In ihrer unsicheren Situation würden sie verrückt werden, wenn sie ständig an den nächsten Tag denken und sich darüber Sorgen machen, ob sie wieder zu essen und zu heizen und, und, und haben.

Die Furche: Ist aber nicht gerade dieser Umdenkprozess das eigentliche Problem. Sie verlangen von RomaKindern, eine Ausbildung zu absolvieren. Das ist ein langer Weg, das zieht sich über Jahre dahin, da muss man vorausdenken, die Zukunft planen.

Schupler: Die Armut macht, dass sie nicht planen dürfen. Die Sorge ums Überleben würde sie erdrücken. Ich meine aber schon auch, dass ein Teil dieser Haltung der Roma in ihren Genen, in ihrer Herkunft liegt. Sie kommen aus Indien, aus tropischen Ländern, die Natur hat die Vorfahren der Roma verwöhnt. Sie brauchten nicht vorausplanen. Man spricht doch auch von einem kollektiven Gedächtnis bzw. von einem Generationengedächtnis. Ich meine, das trägt seinen Teil dazu bei, dass die Roma so sind, wie sind. Und ich möchte ja, dass sie sich die positiven Aspekte dieser Lebensart unbedingt erhalten.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Caritas Österreich unterstützt Roma-Projekte in Rumänien Spenden erbeten an: PSK (BLZ 60.000) Kontonummer 7.700.004 Kennwort: Osteuropahilfe

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