Bürgerkriege gegen Roma verhindern

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In der Ostslowakei fürchtet man, dass der Hass auf die Roma sich bald nicht mehr auf einzelne Anschläge begrenzt – die soziale Bombe tickt.

Zehn Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer trübte ein Ereignis die Feiern: Während man am 9. November 1999 das wiedervereinte Europa zelebrierte, baute man in der nordböhmischen Stadt Ústí nad Labem eine neue Mauer – um eine Roma-Siedlung vom Rest der Stadt abzuschotten.

Zehn Jahre sind vergangen, bald wird man wieder Sonntagsreden zum 20. Jahrestags des Mauerfalls hören – in Ústí nad Labem aber hallen Anti-Zigeuner-Parolen durch die Straßen, wird regelmäßig gegen Roma demonstriert, werden immer wieder Roma-Häuser und die darin wohnenden Familien attackiert. Das frühere Aussig an der Elbe ist zwei Generationen nach dem Herrschafts- und Namenswechsel zum Aufmarschort für tschechische und deutsche Neonazis geworden. Und heute gilt Ústí nad Labem bei rechtsradikalen wie unpolitischen Roma-Hassern als die Frontstadt im Kampf für ein zigeunerfreies Böhmen.

Orte wie Ústí nad Labem gibt es aber nicht nur in Nordböhmen; es gibt sie in Ungarn, Rumänien, Bulgarien und auch im früheren tschechischen Bruderstaat Slowakei. Dort ist Ústí ein ostslowakisches Dorf mit Namen Ostrovany. Demnächst will man dort mit dem größten Gemeindeprojekt seit jeher fertig sein: einer 150 Meter lange und zwei Meter hohen Mauer zwischen dem Dorf und der Roma-Siedlung. Der Bürgermeister begründet die Entscheidung des Dorfrats für den Mauerbau: „Die Bewohner haben Anspruch auf Schutz ihres Eigentums und der Gesundheit.“

Die Angst vor den anderen geht um

Aber nicht nur in Ostrovany gärt es. Andreas Tröscher, Chronik-Redakteur der Austria Presse Agentur, bereist seit Jahren Roma-Siedlungen in Osteuropa. Seine Erlebnisse mit Roma und ihren Helfern und Gegnern hat er in dem Bild- und Reportagenband „Zigeunerleben“ (siehe Buchtipp) zusammengefasst. Gerade wieder von einer Recherche zurück, hat er im FURCHE-Gespräch keine guten Nachrichten parat: In der Ostslowakei gehe die Angst um, der gegenseitige Hass und die aufgeschaukelten Aggressionen zwischen „schwarzen“ Roma und „weißen“ Slowaken könnten schon bald zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen: „Selten war das Thema so heiß wie derzeit. Beide Seiten liegen mit blanken Nerven auf der Lauer; das bereits immer vorhandene Misstrauen hat einen neuen Höhepunkt erreicht.“

In der 8000-Einwohner zählenden Stadt Krompachy organisierte die rechtsextreme Gruppierung „Pospolitost“ („Zusammenhalt“) kürzlich Protestmärsche gegen Roma. Die Polizei schritt ein und verhaftete den Anführer. Doch die Bevölkerung solidarisierte sich mit den Roma-Gegnern.

Wut über die Sozialhilfe für Roma, Angst vor der hohen Geburtenrate in Roma-Familien, Frust über den Staat und die Europäische Union, die seit Jahren Besserung versprechen – doch wenig passiert. All das und mehr trägt zum katastrophalen Status quo in Krompachy und vielen weiteren slowakischen und anderen osteuropäischen Ortschaften mit einer Roma-Minderheit bei.

Das gegenseitige Unverständnis sei bereits so groß, berichtet Tröscher, dass selbst erfahrene Entwicklungshelfer nicht mehr weiterwissen. „Der Staat hat ihnen jegliche Verantwortung abgenommen – und gibt nur“, bringt ein Sozialarbeiter seine Sicht vom größten Fehler in der Roma-Integration auf den Punkt. „Für die Roma wurde das langsam zur Selbstverständlichkeit, sie erachten es sogar als Pflicht, dass man ihnen hilft.“ Dabei wären sie durchaus in der Lage, die Bedingungen der modernen Arbeitswelt zu erfüllen: „Wir müssen sie nur fordern. Aber stattdessen sagen wir: Es ist eh schon alles verloren, füttern wir sie einfach und fertig.“

Es ist ein ewiger und nutzloser Streit darüber, wer mehr Schuld am Roma-Desaster hat: Die Regierungen, die nach dem Zusammenbruch des Kommunismus ihre Roma-Minderheiten systematisch ausgegrenzt haben? Oder die Roma selbst, die sich mit Sozialhilfe ruhig stellen und sich und ihre Kinder verwahrlosen ließen?

Beide Seiten haben beigetragen, dass die Situation heute so ist, wie sie ist – schlecht. Und beide Seiten wissen um ihre Verantwortung, es anders, besser zu machen. Ungarns Premier Gordon Bajnai erklärte unlängst, der Umgang mit den Roma habe oberste Priorität: „Wenn es uns nicht gelingt, die Roma-Bevölkerung, die fast sechs Prozent der Einwohner ausmacht, in die Bereiche Schule, Sozialversorgung, Steuern und Renten zu integrieren, werden die sozialen Prozesse in Ungarn unhaltbar.“

EU-Bericht gegen Ghettobildung

Mit einem Protestmarsch nach Budapest haben ungarische Roma ebenfalls vor Kurzem gegen ihre Ausgrenzung und Angriffe gegen sie protestiert – daneben werden Roma-Komitees gegründet; in Ungarn und anderswo starten Roma- Initiativen, um die von anderen geforderte Solidarität mit ihrer Volksgruppe selbst zu zeigen.

Und auch der EU-Ebene kann nicht vorgeworfen werden, dass sie nur zuschaut, dass sie nicht subventioniert und interveniert.

Zuletzt am Dienstag dieser Woche. Morten Kjaerum, Chef der in Wien ansässigen EU-Grundrechte-Agentur (FRA), hat einen Bericht vorgestellt, der die länderübergreifende Diskriminierung der Roma punkto Wohnungsvergabe anprangert: „Unser Bericht zum Thema Wohnen zeigt“, erklärte Kjaerum, „dass viele regionale und lokale Behörden in der EU Vorbehalte gegen die Annahme und Umsetzung einer angemessenen Wohnungspolitik für Roma haben.“ Und der EU-Grundrechte-Mahner fordert die Behörden auf, dringend zu handeln, da schlechte Wohnverhältnisse und Ghettobildung negative Auswirkungen auf Bildung, Beschäftigung und Gesundheit der Roma haben.

Dass es auch anders geht, zeigt Madrid, das seit 1999 dabei ist, die Roma-Slums aufzulösen und ihre Bewohner in integrierten Unterkünften unterzubringen. In Osteuropa ist man davon großteils noch weit entfernt. Ein tschechischer Rom, der im FRA-Bericht zitiert wird, beschreibt den Teufelskreis so: „Die Behörden schaffen Ghettos und dann beschweren sie sich, dass es Probleme gibt; aber wenn Roma sich um Mietwohnungen bewerben, bieten ihnen die Gemeinden nur Wohnungen in einem Ghetto an.“ Um die dann über kurz oder lang wieder Mauern gezogen werden – während das wiedervereinte Europa gefeiert wird.

Zigeunerleben.

Roma-Reportagen aus Osteuropa

Von Andreas Tröscher Turia & Kant 2008

159 S., kart., e 22,–

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