Das Gegenteil von SCHÄMEN

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Romnija und Roma bilden die größte ethnische Minderheit in Europa. Die Integration am heimischen Arbeitsmarkt fällt vielen von ihnen schwer.

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Romnija und Roma bilden die größte ethnische Minderheit in Europa. Die Integration am heimischen Arbeitsmarkt fällt vielen von ihnen schwer.

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Wenn Pavlina nach einem sechsstündigen Arbeitstag nach Hause kommt, ist der Feierabend noch recht weit. Kochen, Putzen, Kind versorgen - dass die 21-jährige Bulgarin dieses Schicksal mit jeder österreichischen Mutter teilt, ist da nur ein schwacher Trost. "Manchmal hilft mir auch mein Mann im Haus", wähnt Pavlina sich trotz allem froh. Ihr Mann, der sei ein guter Mann, wie sie hat auch er einen Job, er rauche nicht und trinke nicht und lese ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Hätten ihre Träume sich bereits erfüllt, wäre Pavlina längst nicht mehr in Graz, sondern in ihr in Bulgarien gekauftes Haus gezogen und träfe dort Freundinnen zum Kaffee. Doch damit wird es vorerst nichts.

Szenenwechsel. Im Raum einer früheren Strickerei in Graz sind Arbeitstische aufgestellt. Wo man einst Fäden spann und Garne wob, werden seit gut einem Jahr Buchstaben geschrieben und Sätze gestrickt. Jeweils am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag wird hier, mitten in der Grazer Notschlafstelle "VinziNest", energisch Deutsch gelernt. Sechs Männer und vier Frauen beschriften Arbeitsblätter und geben Laute wieder. "Sch", nicht "es-tse-ha", erklärt eine ehrenamtlich Tätige den jungen Frauen, neben ihr die Ausspracheregeln im Deutschen. "Zehn Leute sind heute zum Deutsch-Kurs gekommen -für einen Donnerstag nicht schlecht", freut sich Sabine Friesz, Sozialpädagogin und Mitarbeiterin beim Projekt "Zorrom". Seit Anfang letzten Jahres bieten sie und ihre Kolleginnen Cornelia Pichler, Csilla Höfler, Tina Friedreich, Kollege Csaba Visnyei und Projektleiter Michael Teichmann in der Steiermark lebenden Roma Maßnahmen zur Integration in den Arbeitsmarkt an.

Deutschkurs für Forstarbeiter

120 der geschätzt 350 in der Steiermark lebenden Personen aus der größten Minderheit Europas habe man bereits erreicht - über Deutschkurse, Arbeits-, Bildungs-, Rechtsberatung, über die Unterstützung bei Behördengängen oder durch die Vermittlung zur Sozialberatung. Wie in anderen Integrations-Initiativen, so spielt das Ehrenamt auch bei "Zorrom" eine große Rolle. "Ohne unsere Freiwilligen, die oft selbst Rumänisch, Ungarisch oder Bulgarisch sprechen, wäre der Deutschkurs gar nicht durchführbar", betonte Sabine Friesz und zählt noch einmal die Personen, die heute gekommen sind.

Sechs Lehrende auf zehn Lernende - ein Betreuungsschlüssel, von dem jeder Pflichtschulpädagoge träumen kann. "An diesem Tisch sitzen die Ungarisch-Muttersprachigen zusammen", erzählt sie weiter, "und dort drüben jene, die aus Rumänien nach Graz gekommen sind. Und hier, hier ist der Waldtisch", fährt Friesz, nicht ohne Augenzwinkern, fort. Vor kurzem wandte sich eine Arbeitsstiftung an "Zorrom", auf der Suche nach Arbeitskräften für die Land- und Forstwirtschaft.

Aus diesem Grund paukt man am "Waldtisch" auch Vokabeln à la "Baumstamm" oder "Säge". "Ich kann schwer heben", erklärt Daniel in überraschend gutem Deutsch. Sprechen und Lesen könne er ohne weiteres, nur mit dem Schreiben tue er sich etwas schwer. "In Rumänien hätte ich vielleicht sogar Arbeit bekommen", gibt Daniel offen zu. Doch die würde für einen Rom wie ihn monatlich nur 80 Euro einbringen und reiche selbst im zweitärmsten Land in der EU nie und nimmer zum Überleben. Ähnliches erzählt auch die Reinigungsfachkraft Pavlina. "Vierzig Euro bekommen Roma in Bulgarien im Monat" - für das Straßenkehren, das Sammeln von Altmetall oder auch für Hilfsarbeiten auf dem Bau. An der Tatsache, dass osteuropäische Romnija und Roma vom Reallohn in ihren Heimatländern nicht satt werden, haben, wie im Falle Bulgariens, weder zehn Jahre EU-Mitgliedschaft noch gut vermarktete Initiativen im Rahmen der so genannten "Roma-Dekade" der Jahre 2005 bis 2015 nichts geändert.

Wie für andere Volksgruppenzugehörige, so rückt auch für Menschen aus der Minderheit der Roma dann ein Job umso weiter in die Ferne, je niedriger der höchste vorzuweisende Bildungsabschluss ist. Die Tatsache, dass in Ost- und Südosteuropa nur jedes zweite Roma-Kind die Volksschule positiv abschließt, lässt da in eine wenig rosige Zukunft blicken.

Diskriminierung und Feindbilder

Für "Zorrom"-Leiter Michael Teichmann sind Schulabschlüsse aber nicht der alleinige Weg zu einem Job. Arbeitsmarkt-Integration bedürfe nicht nur der Deutsch-Kurse oder eines positiven Blicks der Mehrheits-Bevölkerung auf Romnija und Roma - sie brauche auch Selbstermächtigung durch die Angehörigen der Volksgruppe selbst. "Viele unserer Klientinnen und Klienten haben aufgrund des diskriminierenden Fremdbildes, wie Roma zu sein haben, oft ein sehr geringes Selbstbewusstsein und ein in Mitleidenschaft gezogenes Selbstbild. Natürlich ist auch das eine Hürde auf dem Weg hinein in den Arbeitsmarkt." Gemeinsam mit dem Verein "Roma Service" bietet man bei "Zorrom" deshalb Workshops an, in denen Reflexions-Prozesse über die eigene Identität in Gang gesetzt und das Vertrauen in sich selbst geschult wird. "Dabei spielen Role-Models eine wichtige Rolle", erklärt Teichmann weiter und verweist auf den in Zürich lehrenden Wissenschafter Stéphane Laederich, selbst Mathematiker und Rom. In seinen kulturhistorischen Forschungen spricht der Leiter der "Roma Foundation" von einer permanenten Unsichtbarkeit von Romnija und Roma. Demzufolge werden selbst erfolgreiche Angehörige der größten Volksgruppe Europas nicht als Roma wahrgenommen. Ein Umstand, der nur langsam aufbricht, weiß aus seiner sechsjährigen Roma-Forschungstätigkeit am Institut für Sprachwissenschaft an der Karl-Franzens-Universität Graz auch Michael Teichmann.

Die Welt staunte nicht schlecht, als sich Yul Brynner im Jahr 1971 am ersten Roma-Kongress in London zu seinem Rom-Sein erstmals öffentlich bekannte. Trotz berühmter Role-Models wie dem 1985 verstorbenen Erfolgs-Schauspieler halten sich Zuschreibungen wie "Bettler","Gaukler" oder "Kesselflicker" gegenüber Roma bis heute dennoch konstant. Klischeehafte Bilder über Roma seien geschichtlich gewachsen und würden entweder in eine romantisch verklärende oder in eine Ressentiment-geladene Richtung gehen, so Michael Teichmann.

"Stolz" als Fremdwort

Das Traurige dabei ist, dass sich diese Bilder als konstant und schwer veränderbar erweisen. Selbst Roma, die aus der Bildungsschicht stammen und die Berufe wie Rechtsanwalt oder Sozialarbeiter ausüben würden, wären nicht imstande, die gängigen Klischees zu entkräften. Bei "Zorrom", was in der Sprache Romanes so viel bedeute wie Ermächtigung ("Zor") des Menschen ("Rom"), arbeite man deshalb auch am Aufbrechen solcher Zuschreibungen.

"Die Mehrheitsbevölkerung muss über die Vielschichtigkeit der größten ethnischen Minderheit informiert werden." Kulturanthropologe und Projektleiter Teichmann wird noch konkreter und lädt gleich zu einer am 4. April im Grazer VinziNest stattfindenden Veranstaltung ein (siehe Kasten). Vier Tage vor dem Welt-Roma-Tag berichten im zweiten Roma-Erzählcafé eine slowenische Romni, ein slowakischer sowie ein aus Österreich stammender Rom aus ihren Lebenswelten hierzulande.

Beim ersten Erzähl-Café im Vorjahr tat dies auch Pavlina und berichtete von ihrem Alltag in der Steiermark, abseits von Freundinnen und Familie. Damals habe sie sich sehr geschämt, erzählt die junge Mutter aus Bulgarien im Interview. Dafür, dass ihr Deutsch nicht ganz perfekt sei, dafür, dass viele Roma betteln würden und deshalb, weil sie damals selbst keine Arbeit zu finden schien. Ob sie dann heute umgekehrt stolz sei auf ihre Berufstätigkeit und finanzielle Unabhängigkeit? Stolz? Pavlina überlegt und meint in nahezu fließend gesprochenem Deutsch, dass sie das Wort nicht ganz verstehe. Erst auf die Erklärung hin, dass "stolz" das Gegenteil von "sich-schämen" sei, lächelt sie verlegen und nickt still.

Arme Roma, böse Zigeuner

Was an den Vorurteilen über die Zuwanderer stimmt,

Von Norbert Mappes-Niediek, Ch. Links 2012.

224 Seiten, geb., € 18,00

Weitere Infos unter: www.caritassteiermark.at/hilfe-angebote/migrantinnenfluechtlinge/integration/zorrom-arbeitund-bildungfuer-roma/

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