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Aus der Versenkung

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Österreichs Zigeuner waren mit gutem Grund lange Zeit publicityscheu. Die musik- ethnologischen Forschun- gen von Ursula Hemetek fallen in eine Phase vorsich- tiger Öffnung.

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Österreichs Zigeuner waren mit gutem Grund lange Zeit publicityscheu. Die musik- ethnologischen Forschun- gen von Ursula Hemetek fallen in eine Phase vorsich- tiger Öffnung.

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„Ihr werdet uns nie verstehen" hieß eine Filmdokumentation, die vor zwei Jahren vom ORF ausge- strahlt wurde. Sie wurde für mich zur Anregung für eine wissenschaft- liche Auseinandersetzung mit die- sem Volk. Als Musikethnologin hat- te ich mich bereits mit anderen österreichischen Minderheitskultu- ren beschäftigt. Das Thema meiner Dissertation waren die burgenlän- dischen Kroaten.

Ich hatte dabei die Erfahrung ge-

macht, daß man fremde Kulturen verstehen lernen kann - durch den Kontakt mit den Menschen, durch ehrliches Interesse und durch Er- lernen ihrer Sprache. Nun sollte es da ein Volk geben, das die Möglich- keit eines Verstandenwerdens von vornherein ausschloß oder zumin- dest bezweifelte. Warum? Können wir Nicht-Zigeuner diese andere Welt, die der Roma, wirklich nicht verstehen, oder haben wir uns bis jetzt nur zu wenig darum bemüht?

Mit den Recherchen im Rahmen eines Forschungsfondsprojektes be- gann sich vor meinen Augen eine faszinierende, vielfältige traditio-

nelle Kultur auszubreiten, die zum Großteil im Verborgenen blüht, da durch die lange Geschichte der Ver- folgung und Diskriminierung noch viel Angst und Mißtrauen in diesen Menschen steckt.

Ethnomusikologische Fachlitera- tur zum Thema Roma liegt für Österreich so gut wie keine vor. Ich mußte mich zunächst an Literatur aus dem Ausland orientieren, da in anderen Ländern, wie etwa Jugo- slawien oder Ungarn, das Selbst- bewußtsein der Roma schon we- sentlich größer ist und sie zum Teil selbst an der wissenschaftlichen Dokumentation ihrer Kultur arbei- ten. Es war aber auch bei den öster- reichischen Roma eine Aufbruchs- stimmung zu bemerken.

Dies zeigt sich beispielsweise an der Gründung des „ROMA-Ver- eins zur Förderung von Zigeunern" imJuli 1989,der den ersten körper- schaftlichen Zusammenschluß dar- stellt. Aufgrund dieser Tendenz wurde die praktische empirische Forschungsarbeit erst möglich.

Die Wanderung der Roma begann bereits im 10. Jahrhundert, als ein großer Teil von ihnen das Mutter- land Indien verließ. Ihre Sprache -

Romanes oder auch Romani ge- nannt - ist der einzige Schlüssel zur Rekonstruktion ihrer Wanderun- gen, da in ihr Elemente sowohl des Ursprungslandes wie auch vieler Gastländer zu finden sind. Das Wandern entsprach ihrer traditio- nellen Lebensform, die nomadisch ist, andererseits aber wurden sie auch immer wieder durch Kriege und Konflikte gezwungen, ihren Standort zu wechseln. In der Spra- che spiegeln sich die Stationen der Wanderungen. Sie weist indische, persische, armenische, griechische, rumänische Elemente sowie einen starken sprachlichen Einfluß des jeweils letzten Gastlandes auf.

Die Roma untergliedern sich in eine Vielzahl von Stämmen und Gruppen. Aus all den verschiede- nen Gastländern haben sie in gro- ßer Anpassungsfähigkeit kulturel- le Elemente angenommen, aber trotzdem noch ein Stück ihrer ur- sprünglichen Kultur bewahrt.

Für die traditionelle Musik der Roma in Österreich, die mein For- schungsgegenstand ist, bedeutet dies, daß die verschiedenen Kul- tureinflüsse herauszufiltern sind. Die Roma spielten jeweils jene Mu- sik, die der hören wollte, der be- zahlte. Dies hat sich bis heute nicht geändert. Jedoch gibt es stets noch

jene Musik, die die Roma für ihr Volk spielen. Diese Musik ist es, die mich vor allem interessiert.

Auch sie ist jedoch vielfältig und in Österreich nach Stämmen ver- schieden. Hauptgruppen:

Die burgenländischen Roma wur- den im 18. Jahrhundert im Gebiet des heutigen Burgenlandes zwangs- weise seßhaft gemacht. Durch die Vernichtungsmaschinerie des Nati- onalsozialismus wurde eine ganze Generation ausgerottet. Sie sind zu- sammen mit den ungarischen Roma die Träger j ener musikalischen Tra- dition, die in Österreich schlecht- hin als „Zigeunermusik" gilt: Die Musik, die sie spielen, ist die volks- tümliche ungarische Musik des 19. Jahrhunderts und wurde weltweit zum Klischee für Zigeunermusik.

Die Sinti in Österreich sind vor allem durch ihre erfolgreichen Jazz- musiker bekannt. Zipflo Weinrich setzte die Tradition Django Rein- hardts fort. Ein Großteil der Sinti starb in den Konzentrationslagern.

Die Lowara, ursprünglich Pfer- dehändler, kamen um 1900 auf österreichisches Gebiet und behiel- ten ihre nomadische Lebensform bis zum Zweiten Weltkrieg bei. Die-

jenigen, die die Konzentrationsla- ger überlebten, wohnen zum Groß- teil in Wien. Einige Künstlerper- sönlichkeiten, wie die Autorin Cei- ja Stojka, der Maler Karl Stojka und der weltweit bekannte Jazzgi- tarrist Harri Stojka gehören die- sem Stamm an.

Es wäre noch eine große Gruppe von Roma zu nennen, die im Zuge der Gastarbeiterbewegung aus Ju- goslawien nach Österreich gekom- men ist. Sie deklarieren sich selten als Zigeuner, da sie eine noch stär- kere Diskriminierung befürchten, wenn sie diese ihre wahre Identität preisgeben. Ihre Traditionen sind besonders lebendig, viele Bräuche haben sie beibehalten. In ihre Mu- sik sind viele serbische Elemente eingeflossen.

Aber nicht nur musikalisch äußert sich die Kultur der Ro- ma, auch auf li- terarischem Ge- biet sind beacht- liche Leistungen zu verzeichnen. Noch sind die berühmtesten Dichter der Ro- ma im Ausland zu finden :Mateo Maximoff in Pa- ris, Menyhert Lakatos in Un- garn, Dr. Rajko Djuric in Jugo- slawien. Ihre Werke wurden mittlerweile je- doch in viele Sprachen über- setzt und inter- national be- kannt. Ceija Stojka ist die erste österrei- chische Romni, die als Autorin mit ihrem Buch „Wir leben im Verborgenen" an die Öffent- lichkeitgetreten ist (Picus Ver- lag).

Mit Unterstüt- zung des Kultur- amtes der Stadt Wien, des Bun- desministeriums für Unterricht, Kunst und Sport, der Öster- reichischen Hochschüler- schaft und ande- rer Institutionen ist es nun gelun- gen, die Veran- staltungsreihe „Ausnahmswei- se Zigeuner - Kultur der Roma und Sinti" durchzuführen (siehe Kasten). Es ist die erste Veranstaltung dieser Art in Österreich, bei der Malerei, Li- teratur, Musik und Information (Filmmaterial) präsentiert wer- den. Denn Wis- sen, und ich spreche aus eige- ner Erfahrung, ist eine der be- sten Möglichkei- ten, um Vorur- teile abzubauen.

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