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Donauraum als Heimat

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Mein Freund György: Ein Meister der deutschen Sprache mit ungarischem Akzent, Katholik jüdischer Herkunft, Mo- ralist und Genießer, ein Skeptiker voll Vertrauen auf das Gute im Men- schen, fähig zu äußerster Konzen- tration und zur Verteilung einer schier unerschöpflichen Energie auf eine Vielfalt selbstgewählter oder ihm aufgedrängter Geschäfte, Auf- gaben und Pflichten... György Sebestyen, ein Mann meiner Gene- ration, geboren am 3 0. Oktober 1930 in Budapest, gestorben am 6. Juni 1990 in Wien, an den Folgen eines tückischen Krebsleidens, das er bis zuletzt mit beispielhafter Haltung und Gelassenheit ertragen hat. Im Wissen, daß morgen/demnächst die Welt untergeht, rasch noch einen Baum pflanzen -: Auch darin ein Vorbild. Und als Ergebnis, auf ei- nen Nenner gebracht, der uns vor- gelebte Beweis für die Möglichkeit einer Harmonie der Gegensätze, nachzuprüfen einerseits an dem kürzlich erschienenen Sammelband seiner Erzählungen, in schillernd aufgefächerter Palette, und ande- rerseits an dem kompakten, auf ein nahezu punktförmiges Gravita- tionszentrum zustrebenden Roman „Die Werkeder Einsamkeit", Györ- gy Sebestyens opus magnum. Daß sein Beitrag zur Literatur noch viel mehr von unterschiedlichster Art umfaßt, ist bei einer Persönlichkeit solchen Zuschnitts nicht anders zu erwarten.

Aber Literatur war ihm niemals nur die nüchterne und unbeteiligte Darstellung eines Ausschnittes der Welt. Er glaubte an die Macht des Wortes, an die Möglichkeit als Schriftsteller und Publizist die Welt zu verbessern; vielleicht nicht die ganze Welt, aber zumindest den Raum, in dem er sich zu Hause fühlte, in Mitteleuropa. Lange be- vor es modisch wurde, über den Donauraum und Mitteleuropa zu schreiben und die historischen Ge- meinsamkeiten jenseits der tristen Wirklichkeit des Eisernen Vorhan- ges zu beschwören, war er es, der an diese geistig-kulturelle Infrastruk- tur erinnerte, die zuerst vom Drit- ten Reich und dann von den kom- munistischen Machthabern Osteu- ropas fast zerstört wurde. Er glaub- te nicht an den Untergang dieses Kulturraumes, der Budapest mit Wien, Krakau mit Triest und Lai- bach mit Lemberg verbindet. Dies war seine Welt, aus der er auch nicht vertrieben werden konnte, als er 1956 Ungarn verlassen mußte und nach Österreich kam. Es wur- de ihm nicht leichtgemacht in ei- nem Österreich, in dem nicht mehr viele an seinen Traum der kulturel- len Symbiose der kleinen Völker Mitteleuropas glaubten.

Und er hat es sich selbst nicht leichtgemacht. Wer beharrlich auf die Kraft kultureller Traditionen hinweist und eine als richtig emp- fundene nicht national zu formu- lierende - internationale - Hierar- chie der Werte als unabdingbar für die Würde des Menschen vertei- digt, kann wohl konservativ ge- nannt werden. Der sogenannte Zeitgeist bedeutete ihm nicht viel. Zu hautnah hatte er erfahren, wie die verschiedenen Regime, die er erlebte, Schindluder trieben, als daß er noch bereit gewesen wäre, ihnen vorbehaltlos zu folgen. Er hat sich nicht nur Freunde geschaffen, wenn er die zweite Hälfte seines Lebens, die er in Österreich und als über- zeugter Österreicher verbrachte, in den D ienst seiner politischen Über- zeugung stellte: Nicht in den Dienst einer politischen Partei, sondern der politischen Überzeugung, daß Österreich für seine kulturelle Exi- stenz das alltägliche und selbstver- ständliche Geflecht aller Kultur- schaffenden des Donauraumes braucht. Der Donauraum war für ihn keine geographische Größe, sondern eine Metapher für den Widerstand aller kleinen Völker Mitteleuropas gegen Vereinnah- mungen durch Ideologien und die Machtpolitik großer Staaten. Für diese Idee war er bereit, sich mit all der ihm eigenen Energie und Über- zeugungskraft einzusetzen. Dies bewunderte ich und viele andere an ihm, und dies kann auch nicht ver- loren gehen.

Um diese Idee auch publizistisch zu fördern, hat er bereits Anfang der siebziger Jahre die Kulturzeit- schrift „Pannonia" gegründet und dieses „Magazin für europäische Zusammenarbeit" (so der Unterti- tel) bis zuletzt als Chefredakteur geführt. Gerade die Arbeit an und in dieser Zeitschrift zeigt, daß es ihm nicht um die nostalgische Ver- klärung einer vergangenen Welt ging, sondern um das Aufzeigen der fruchtbaren und in diesem Jahr- hundert wohl auch furchtbaren Konflikte und inneren Spannun- gen einer Wirklichkeit, von der wir hoffentlich etwas gelernt haben, aus der wir uns aber jedenfalls nicht verabschieden können, ohne einen wichtigen Teil der österreichischen Existenz einzubüßen. Er hat immer wieder privat und in der Öffent- lichkeit Österreichs innere Verbun- denheit mit dem Schicksal des Donauraumes insgesamt betont und in Aufsätzen, Essays und Vorträ- gen für diese Überzeugung gestrit- ten.

Das österreichische Bekenntnis zur pluralistischen Demokratie nach westlichem Muster und die Notwendigkeit einer Kooperation mit wirtschaftlich starken Partnern war für ihn eine Prämisse, kein lite- rarisches und politisches Thema. So wie einst Hugo von Hof manns- thal, Leopold von Adrian und Hei- mito von Doderer ihr Österreich herbeigeschrieben hatten, wollte György Sebestyen sein Österreich der kulturellen Vielfalt und der Fähigkeit zum Ausgleich vor dem Hintergrund der permanenten Auseinandersetzung mit den inne- ren Widersprüchen Mitteleuropas herbeischreiben. So stand er in einer Tradition, die bereits Robert Musil zu der Bemerkung veranlaßt hatte, der Österreicher spüre die Vielfalt und Bedrohtheit der menschlichen Existenz; er habe im Gegensatz zum Deutschen „keinen Charakter", eben weil so viele Einflüsse in ihm wirksam seien. Im Ergebnis, mit den Worten Thomas Bernhards, „tatsächlich der interessanteste Mensch von allen europäischen Menschen, denn er'hat von allen anderen europäischen Menschen alles und seine Charakterschwäche dazu". Sebestyen teilte eine solche Überzeugung nicht aus der Freude an der gelungenen Formulierung, sondern weil sie ihm Aufforderung zur Arbeit für Österreich war.

Und er stellte sich dieser Aufga- be nicht nur in seiner Arbeit für die Zeitschrift „Pannonia". Er führte in diesem Sinne die niederöster- reichische Kulturzeitschrift „mor- gen", organisierte die regionale Zu- sammenarbeit der Länder des Do- nauraumes im PEN-Club und bau- te im Rahmen der Wissenschaftli- chen Landesakademie für Nieder- österreich in Krems ein Gesprächs- forum für die Literaturen des Do- nauraumes auf. Er war - wie er selbst anläßlich eines von ihm initi- ierten Symposions zum „Modell Donauregion" formulierte - über- zeugt, daß „die Beratung über die starken, gleichwohl geheimnisvol- len Wechselwirkungen, die den Donauraum mit unzähligen geisti- gen Fäden durchziehen, einiges bewirken kann". Er war auch der Initiator und Vorsitzende eines Arbeitskreises „Donauregion", den ich vor einigen Jahren in meinem Ministerium zur Beratung über konkrete Projekte kultureller Zu- sammenarbeit im Donauraum ein- richtete. In all diesen Fragen, wo es so viel Gleichklang mit meinen Überzeugungen gab, war er mir ein geduldiger und beständiger Ge- sprächspartner, dessen Vorstel- lungsvermögen und Überzeugungs- kraft ich bewundert habe. Was mir aber noch mehr seine Persönlich- keit zu einem guten Freund mach- te, jvar seine nachdenkliche und tolerante Gesprächsführung in Fragen, wo wir nicht einer Mei- nung waren, und die gab es auch!

Die Verwirklichung seines Trau- mes durfte er in den sanften Revo- lutionen Mitteleuropas noch erle- ben. Daß sein Glaube an die kultu- relle Kraft Mitteleuropas auch in Österreich Verbündete findet, be- trachte ich auch als meine Aufgabe.

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