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LIEDER AUS DER TRAURIGKEIT

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Weit weg vom Klischee der „Zigeunermusik" berührt die Musik der Roma durch schlichte Melodik und die erzählerische Kraft ihrer Poesie. Ob sich über die Musik auch die verschiedenen Bevölkerungsgruppen einander annähern können?

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Weit weg vom Klischee der „Zigeunermusik" berührt die Musik der Roma durch schlichte Melodik und die erzählerische Kraft ihrer Poesie. Ob sich über die Musik auch die verschiedenen Bevölkerungsgruppen einander annähern können?

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Wenn Ceija Stojka das Lied „Geiern, gelem lungone dromeja" („Ich bin einen weiten Weg gegangen") anstimmt, singt sie es stellvertretend für ihr Volk, die Roma. Daß die Roma gerade dieses Lied bei ihrem ersten internationalen Kongreß 1971 in London zu ihrer Hymne erklärten, ist kein Zufall. Die Roma sind einen weiten Weg gegangen, seit sie vor rund 1.300 Jahren in Indien ihre große Wanderung begannen, die sie durch verschiedene Zeiten und Kulturen bis in die Seßhaftigkeit führte.

Ihre Suche nach dem fröhlichen Herzen, wie sie es nennen, war nicht leicht. Für eine halbe Million endete sie in den Konzentrationslagern des Dritten Reichs. Derzeit schätzt man, daß weltweit nur mehr fünf Prozent der Roma ohne festen Wohnsitz sind. In Österreich leben heute 30.000 bis 40.000 Angehörige jener Minderheit, die häufig noch als „Zigeuner" diffamiert werden. Erst seit kurzem haben Roma und Sinti begonnen, sich in Vereinen wie dem „Romano Centro" zusammenzuschließen und zu einem neuen Selbstbewußtsein zu finden.

Ihre Musik, mit der sie nun erstmals an die Öffentlichkeit treten, hat sie auf ihrer langen Wanderschaft begleitet. Ungarische, serbische, slowakische und österreichische Elemente haben sich dabei in die Melodien der Roma gemischt, aber deren Eigenart blieb erhalten. Es war nicht leicht, jene „verborgene", traditionelle Romamusik aufzuspüren, die im Zuge der Assimilierung verschüttet zu werden drohte, meint Volksmusikforscherin Ursula Hemetek. Doch es hat sich gelohnt. Von ihren Entdek-kungsreisen in jene fremde Tonwelt brachte sie eine Fülle bislang unbekannter Melodien mit, die nun als „Romane gila - Lieder und Tänze der Roma in Österreich", einer Musikkassette mit begleitender Buchdokumentation, vom Institut für Volksmusikforschung an der Hochschule für Musik in Wien und den österreichischen Dialektautoren herausgegeben wurde.

Vor allem die Lieder sind weit vom Klischee der „Zigeunermusik" entfernt und berühren besonders durch ihre schlichte Melodik und die erzählerische Kraft ihrer Poesie. In den von Generation zu Generation überlieferten Tanzliedern lebt die alte Kultur der Roma fort: die Frauen mit ihren roten Tüchern, die kleinen, gelbbraunen Pferde, deren Hufeisen Feuer schlagen, die bunten Wagen, mit denen der Freier seine Braut holen kommt, das Mädchen mit Augen so schwarz wie Weintrauben. Aber es will nicht mit ihm ziehen und bittet seinen Vater, ihn mit der Hacke zu erschlagen.

Meist sind es Lieder, „die in der Traurigkeit entstehen", weiß die Interpretin Ceija Stojka. „Eines Morgens", singt der jugoslawische Rom Pera Petrovic, „bin ich früh aufgestanden; es war kein Geld da, und die Frau hat mich verlassen."

Ruza Nikojic-Lakatos, eine Romni aus der Gruppe der Lovara, die 1956 aus Ungarn flüchtete, lange in einer Wohnwagensiedlung lebte und sich mit ihrer Familie durch den Handel mit Teppichen durchschlug, trägt die Klage eines verlassenen Mädchens vor. Die Dunkelheit bricht herein, aber der Geliebte kommt nicht. Er ist zu einer anderen gegangen.

In einem Lied von Hans Stojka hat eine treulose Frau einen Rom um sein ganzes Vermögen gebracht. Mit gebrochenem Herzen kehrt er zu seiner Mutter zurück. In vielen Liedern geht es um Liebesleid. Auf dem Pferdemarkt haben sie einem Rom die Frau abspenstig gemacht. Ein anderer will einer ungetreuen Geliebten eine Kugel durchs Herz schießen.

Die Musik ist eng verbunden mit dem Leben der Roma. Anlässe zum Musizieren bieten die vielen, oft Tage dauernden Feste, die, wie Ursula Hemetek berichtet, „mit einer kaum vorstellbaren Intensität und Lebendigkeit" gefeiert werden. Die rhythmische Musik der Ensembles reizt zum Mitsingen, Klatschen und Tanzen - selbst wenn den Musikern an Instrumenten statt Cymbal, Klarinette und Geigen nur Kochlöffel oder Wasserkanne zur Verfügung stehen.

Die Musikalität der Roma ist tatsächlich mehr als ein - ausnahmsweise positives - Vorurteil. Der Musikantenberuf hat bei den Roma eine lange Tradition. Das persische Cinga-neh, vondem sich der Begriff „Zigeuner" herleiten soll, bedeutet ja Musiker und Tänzer. Gesungen wird viel, im Familienkreis, aber auch bei der Arbeit. Die Frage, ob sie ihre weiche, melodiöse Stimme einer Gesangsausbildung verdanke, bringt Ruza Niko-lic-Lakatos zum Lachen: „Das brauche ich nicht. Wir singen einfach."

Während die Geschichte der Roma schon öfter Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen war, ist mit der Erforschung ihrer Musik „erst ein Anfang gesetzt für ein Langzeitprojekt", erklärt Walter Deutsch vom Institut für Volksmusikforschung, wo man auf die nötige Unterstützung der verantwortlichen Stellen hofft.

Abteilungsvorstand Ewald Breunlich liegt nicht nur die wissenschaftliche Forschung am Herzen. Er wünscht sich, daß über die Musik eine Annäherung der Kulturen stattfinden möge. Ein Wunsch, der angesichts einer Gallup-Untersuchung, derzufolge nahezu die Hälfte der Österreicher keinen „Zigeuner" zum Nachbarn will, schon fast als Notwendigkeit bezeichnet werden kann.

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