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Zigeunerkonzert in Stolac

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Auf Wanderungen trifft man hier häufig umherziehende Zigeuner. Diese Nomaden des Balkans passen sich aber doch bestimmten Landschaften an und man erkennt an den dahinziehenden Kolonnen, wo ihre eigentliche Heimat ist. Da sind Zigeuner aus dem Flachland, die ihre Habe in Piachenwagen fortbringen, denen leichte Pferde ungarischen Schlages vorgespannt sind; manche haben stämmigere Pferde, die sich im bergigen Bosnien und Altserbien bewähren; oder wieder andere verzichten auf den rollenden Wagen und kommen in endlosen Karawanen auf kleinen Gebirgspferden und Eseln daher und man weiß, daß solche aus dem unwegsamen Karst der Herzegowina, Dalmatiens, Montenegros oder aus den albanischen Bergen stammen. Wie prächtig blühendes Unkraut nehmen sich diese Männer, Frauen und Kinder in ihren bunten Fetzen aus, wenn sie zu dichten Sträußen vereint ihre Wagen füllen. Im Grunde genommen verachten die Zigeuner! alle seßhaften Menschen, die sie unter ihre Gesetze zwingen wollen, denn sie haben ihre eigenen Gesetze, strenge Gesetze, übernommen von

alten Sippschaften und diktiert von ihren gegenwärtigen despotischen Führern der Stämme, denen sie sich freiwillig unterwerfen.

Diese nomadischen Haufen haben gewiß auch ihre geheime Mission im Getriebe der Völkerschaften und wohl nicht ohne Grund tauchen sie gerade in jenen Ländern auf, deren Ortschaften in ihrer Vereinsamung und Absonderung dessen bedürfen, daß hin und wieder etwas in ihnen wirke wie die Hefe im Teig, daß ihnen jemand aus der Ferne Botschaft bringe, neues Wort und neuen Ton, daß jemand sie mit Geheimnis beunruhige, mit dem Schauspiel einer Romantik, die aus der Welt der Sagen zu stammen scheint, und mit Zauberei, mit Wahrsagen und Aberglauben. Vor allem andern sind sie die unermüdlichen Vermittler von Lied und Musik. Sie tragen alte Lieder von Land zu Land, sie verpflanzen die schmachtenden magyarischen Melodien bis an die Gestade der Adria, des griechischen und des Schwarzen Meeres und sie lassen die Lieder der einsamsten Bergstämme des Balkans in den Siedlungen längs der Donau und der Sawe erschallen. Die besten Spielleute unter diesen musikbesessenen Zugvögeln scharen sich zu kleinen Banden zusammen, die in den Kaffeehäusern und Schenken der größeren Ortschaften aufspielen und singen. Überhaupt wird öffentliche Musik auf dem Balkan hauptsächlich von Zigeunern gemacht.

Natürlich gibt es bedeutende Rangunterschiede unter diesen musizierenden Zigeunerbanden. Die besten von ihnen halten sich an die Hauptstädte und Badeorte. Eine von diesen guten Banden wurde von einer Film-

gesellschaft zu Aufnahmen von Belgrad b nach Stolac in der Herzegowina herangezogen. Hatte das Treiben der Filmleute in diesem weltfremden Ort schon viel Unruhe und erregendes Schauspiel gebracht, so steigerte sich durch das häufige Aufspielen der Zi-euner vor dem Hotel — wie man dieses mäßige Einkehrhaus nennt, das einer der Attentäter aus Sarajevo vom Jahre 1914 betrieb — das Leben des Ortes zu wahren Festlichkeiten. Nach Aussage alter Stolacer hatte es hier seit Jahrzehnten nidit soviel Sehens- und Hörenswertes gegeben wie in diesen Tagen. Der kaiartige Vorplatz des Hotels an der Bregava füllte sich allabendlich bei dem grellen Scheine einiger Azetylenlampen; die nicht das Geld für eine Zeche hatten, umstellten die Gasthaustische in dichtem Kranz als Zaungäste. Fast alle Bewohner des Städtchens gaben der Lockung nach und kamen, selbst die i verhüllten Mohammedanerinnen nahmen in einer ge-sdilossenen Gruppe abseits Aufstellung und hielten sich ruhig wie große verwunderte Nachtvögel.

Die besten Stimmen der kleinen Zigeunerkapelle gehören den zwei jungen Mädchen; eines ist noch nicht sechzehn, das andere noch nicht achtzehn Jahre alt. Aber auch die Stimme der ersten Geige ist hinreißend, das Spiel dieses sonderbaren magern Fiedlers, der von der Leidenschaft für seine Musik ganz verzehrt zu sein scheint. Der weite Anzug schlottert um das wenige an. Leib, das darin steckt, aber in dem schmächtigen Leib ist eben soviel Musik, daß es wie eine Befreiung wirkt, wenn er sie im fortgesetzten Bogenstrich entströmen läßt. Bei den traurigen Stellen fletscht er die großen Zähne zu einem erstarrten Lächeln, und wenn die Melodie heiter wird, nimmt sein Gesicht einen tieftraurigen Ausdruck an. Auch der Zimbalspieler und die anderen Musiker sind mit Leib und Seele bei ihren Instrumenten und wissen auch da und dort ihre Menschenstimmen im Chore mitklingen zu lassen. Aber wenn eines der jungen Mädchen die Stimme erhebt, verliert die Musik der Männer an Bedeutung.

Beide Mädchen sind klein, besonders die jüngere, aber wenn sie zu singen beginnen, scheinen sie zu wachsen. Sicher sind sie die kostbarsten Instrumente dieses Orchesters. Sie können in hauchender Zartheit spielen und auch mit schmetternder Kraft. Die größere kann es dank ihrem hohen Sopran mit zwanzig Geigen aufnehmen, wogegen die Stimme der kleineren unwahrscheinlich tief und weich wie aus dem Gehäuse eines Cellos kommt. In den meisten ihrer Lieder gibt es aber Stellen, bei denen die Stimme der Mädchen mit Musik kaum mehr etwas ai tun hat. Es ist dann ein Gurren, ein Schluchzen, ein Winseln, ein unheimlich tierisches Tönen, das in eine völlige Hingabe an die Natur ausklingt.

Wie alle Sängerinnen aiuf dem Balkan nehmen sie zum Singen das unerläßliche Tamburin in die Hand und entlocken unter graziösen Bewegungen der freien Hand dem Trommelfell und den kleinen Schellen am runden Rahmen begleitende Töne. Sie treiben ein anmutiges Versteckspiel damit, blitzen mit ihren Augen dahinter hervor und machen so das Tamburin zu einem beredten Mittler zwischen sich und den Zuhörern. Freilich kann es während einer ernsten Liedstelle bei ruhiger Haltung geschehen, daß sich auf dem Trommelfell der Schattenriß des Gesichtes geisterhaft vergrößert abzeichnet und daß er sich dann wohl auch verzerrt und an Gesichter aus der Tierwelt gemahnt, an Tiere aus den Tropen, wie das Kamel, das Lama oder exotische Katzen. Diese Sängerinnen üben kraft ihres Gesanges und ihres Gehabens die seltsame Macht aus, einen zu entrücken aus der eigenen Gegenwart fort in andere Länder, in andere Zeiten, in Landschaften der Phantasie und in die Zeitlosigkeit verzückter Stimmung. Ach, vermöchte doch der Tonfilm alle diese Schauer zu vermitteln, die uns in der lauen Sommernacht an der Bregava die Zigeuner mit ihrem Sang und Klang beschert haben! •

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