rätoromanisch - © Foto: Wolfgang Machreich

Aufpolierter RätoromanischSchatz

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Die vierte Landessprache der Schweiz ist vom Aussterben bedroht. Doch die Engadiner Jugend findet Rätoromanisch cool – und schenkt singend dem alten Rumantsch neue Lebenskraft.

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Die vierte Landessprache der Schweiz ist vom Aussterben bedroht. Doch die Engadiner Jugend findet Rätoromanisch cool – und schenkt singend dem alten Rumantsch neue Lebenskraft.

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Piano gegen Piz. 88 Klaviertasten gegen 3000 Höhenmeter. Die Berggipfel der Unterengadiner Dolomiten leuchten in der Abendsonne. Die Finger der Barpianistin im Hotel Belvedere in Scuol fliegen über die schwarz und weiß glänzende Tastatur.

Neben dem Klavier hat Cinzia Regensburger noch einen anderen Verbündeten, um ihr Publikum vom Gipfelschauen auf der Terrasse wegzulocken: „Chara nona“ – mit dem Dank- und Liebeslied an ihre verstorbene Großmutter schenkt sie ihren Zuhörern die Sprache , Musik und Emotion der Engadiner Talschaften: „Restarast adüna in meis cour, eu nu t‘invlidarà mai.“ Auch das Publikum, das kein Rätoromanisch spricht, versteht, dass hier eine Enkelin von dem erzählt, was von der Großmutter bleibt.

Die 23-jährige Engadinerin, die diesen Sommer das Bachelor-Studium in Instrumental- und Gesangspädagogik am Vorarlberger Landeskonservatorium Feldkirch abgeschlossen hat, trägt in der Bar auch Eigenkompositionen in englischer Sprache vor und singt eigene Arrangements englisch verfasster Welthits. „Doch am besten kann ich in Rätoromanisch schreiben“, erzählt sie in einer Spielpause. „Da fliegen mir Melodien und Wörter viel leichter zu, während ich im Englischen oft lange nach stimmigen Ausdrücken suchen muss.“

Das Exotische im Eigenen

Eine Engadiner Künstlerin, die ihre Lieder ausschließlich in Rätoromanisch verfasst, ist Bibi Vaplan. „In Englisch wurde jede Zeile schon Tausendmillionenmal auf der Welt gesungen“, erklärt sie ihre Motivation dafür. „Aber Rätoromanisch ist ein Schatz, den sonst niemand hat.“ Sie bekomme zwar regelmäßig von Schweizer Radiohörern die Rückmeldung, dass es diese schade fänden, ihre Liedtexte nicht zu verstehen; doch im Gegensatz zu ihren Büchern, die Vaplan auf Rätoromanisch und Deutsch verfasst, gibt sie in ihrer Musik nur dem Romanischen eine Stimme: „Ich finde, die Musik ist stark genug, die Herzen zu öffnen, auch wenn man den Text nicht versteht.“

Ihr Künstlerinnenname bedeutet übersetzt: „Bibi geht langsam.“ Man könnte „vaplan“ auch mit „bedächtig“ oder „achtsam“ umschreiben. Die Sängerin wählte diesen Namen als Mahnung für sich, nicht zu schnell durch die Welt zu hasten.

Achtsam passt aber auch zur Beobachtung der Künstlerin, dass die neben Deutsch, Italienisch und Französisch oft vergessene Schweizer Landessprache Rätoromanisch mehr ins allgemeine Bewusstsein kommt: „Es passiert mir immer wieder“, sagt sie, „dass sich Deutschschweizer bei mir entschuldigen, wenn sie meine Texte nicht verstehen.“ Bei Nicht-Schweizer Publikum sei das anders, das könne sich auf das Exotische des Rätoromanischen besser einlassen, beschreibt sie eine andere Erfahrung: „Doch die Schweizer sind da im Nachteil, die können oder wollen das Exotische im Eigenen nicht finden.“

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