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MUSIK UND TANZ IN ISRAEL

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Alle Schöpfer der Kunst gelangten zu ihren höchsten Höhen • mit Hilfe einer Generationen langen Tradition. Was wäre Johann Sebastian Bach ohne die traditionelle liturgische Musik, die auch viele andere seiner Zeitgenossen zu Musikschöpfungen anhielt. Doch das wahre Genie zeigte sich eben nur in der Musik eines Bach und keines anderen.

Die israelische Musik mußte eigentlich fast ohne Tradition geschaffen werden. Dies ist vielleicht auch der Grund, daß, ob-zwar das jüdische Volk als musikalisch bekannt ist, es verhältnismäßig wenig große Komponisten hervorbrachte, anderseits aber, wie bekannt, auch heute noch ein verhältnismäßig großer Teil der hervorragendsten ausübenden Musiker Juden sind — David Oistrach, Jehudi Menuhin, Arthur Rubinstein usw. Die wenigen großen jüdischen Komponisten, wie Felix Mendelssohn-Bartholdy, Ernest Bloch und andere, schufen im allgemeinen mit Hilfe der Kultur und Tradition der Völker, unter denen sie lebten,' wobei der jüdische Ursprung nur sehr wenig zum Ausdruck kam. Es war daher nicht zu verwundern, daß die erste ernste jüdische Komposition in Palästina erst nach der großen Einwanderungswelle russischer Juden am Anfang des 20. Jahrhunderts begann und noch ganz im russischen Stil befangen wirkte. Erst in den dreißiger Jahren kamen mit den vielen Einwanderern aus Deutschland und Österreich auch einige Komponisten in das Land, die meistens deutsche Musikkultur genossen hatten und nun aus Ablehnung gegenüber der deutschen Kultur ein neues Schöpfungsgebiet zur Schaffung einer neuen israelischen Musik suchten. Um der Tradition eine neue Wendung zu geben, versuchten sie, bis zu dem alten jüdischen Ursprung zurückzugehen. Denn schon bei den alten Juden spielte die Musik eine große Rolle im Gotteskult.

Im 2. Buch Moses' (15. Kapitel, Vers 1) heißt es: „Da sang Moses und die Kinder Israels dies Lied dem Herrn und sprachen: .Ich will dem Herrn singen, denn er hat eine herrliche Tat getan; Roß und Mann hat er. ins Meer gestürzt!' “ Der Stamm Levi oder, besser gesagt, die Leviten waren bereits zur Zeit der Opferaltäre und darnach in der Epoche des Ersten und Zweiten Tempels die Träger der liturgischen Musik. Sie werden nicht nur in den Büchern Moses' genannt, sondern auch in der Chronik, in den Psalmen und sogar in der späteren Literatur des jüdischen Volkes. Nach Annahme der Forscher war diese Musik ziemlich eintönig und könnte wahrscheinlich als Vorläufer der monotonen orientalischen Musik gelten. Einer der wenigen jüdischen Stämme, die noch Spuren dieser alten Kultur vorweisen können, «ind die jemenitischen Juden, die seit der Zerstörung des Zweiten Tempels (im Jahre 70 n. Chr.) im Süden Arabiens in ziemlicher Abgeschiedenheit lebten. Die Jemeniten konservierten ihre Kultur bis in das 20. Jahrhundert hinein und sind eine Hauptquelle für israelische Komponisten.

Israelische Musikforscher begaben sich auch zu den jüdischen Volksgemeinschaften Nordafrikas, Afghanistans, Bucharas, um diese Volksweisen kennenzulernen und als Motive für eine neue Musikkultur zu benutzen. Die Pioniere auf diesem Gebiet sind Mark Lavry, Paul Ben Chaim und Menachem Awidom (Mahler-Kalkstein) sowie Erich Walter Sternberg.

Das jüdische musikalische Schaffen in Europa beschränkte sich hauptsächlich auf liturgische Musik. Da bei den jüdischen Gottesdiensten der Gebrauch von Musikinstrumenten verboten ist, beschränkte sich diese Musik fast nur auf kantorale Gesänge. Diese Musik war in Osteuropa von der slawischen Musik beeinflußt und in Westeuropa von der deutschen. Man konnte in den kantoralen Gesängen die SpuTen von Wolgaliedern und Militärmärschen erkennen, denen meistens eine tragische Note gegeben wurde, die die Unterdrückung des jüdischen Volkes widerspiegelte. Diese liturgische Musik konnte kaum die neue israelische Musikkultur bereichern.

Ähnlich wie auf der ganzen Welt verblaßte auch nach dem zweiten Weltkrieg in Israel mehr und mehr der Nationalcharakter der Musik. Die Leichtigkeit der Übermittlung sowie musikalische Ausbildung an großen Musikzentren der Welt brachte es mit sich, daß ein Teil der zweiten Generation israelischer Komponisten im Stile der heutigen modernen Musik schafft und nur verhältnismäßig wenig Rücksicht auf die alte orientalische Folklore nimmt.

Doch das biblische Thema ist trotz allem auch noch bei den heutigen Komponisten beliebt. Vertonung des Buches Ruth, Vertonung von Psalmen oder wie zum Beispiel die Musik, die Mor-dechai Seter für das Ballett von Martha Graham, „Judith und Holofernes“, erst vor kurzem schrieb, veranschaulichen diese Tendenz.

Der junge Staat Israel besitzt ein reichhaltiges Musikleben. Das zirka hundertköpfige Israel-Philharmonische-Orchester, das 1936 von Bronislaw Hubermann gegründet wurde, hat zirka 30.000 Abonnenten und noch weitere viele tausend Liebhaber, die einzelne Konzerte besuchen. Die Kibbuzbewegung unterhält ein eigenes Symphonieorchester. Auch Städte wie Haifa und Ramat Gan sowie der israelische Rundfunk verfügen über kleinere Symphonie- beziehungsweise Kammerorchester. Die Programme enthalten meist klassische und teilweise moderne Musik. Für einen Staat mit zirka zweieinhalb Millionen Einwohnern, von denen fast die Hälfte europäischer Musik gegenüber indifferent ist, kann man dieses Musikleben als ziemlich intensiv bezeichnen.

Der israelische Tanz begann mit den Volkstänzen aus Rußland (Tscherkessia), Polen (Krakowiak), Litauen (Polka), Rumänien (Hora), die von den jüdischen Einwanderern aus ihren Herkunftsländern mitgebracht und getanzt wurden, um ihrer neuen Volkstümlichl-eit auch einen neuen Ausdruck zu geben. Die linkssozialistische Tendenz der zwanziger Jahre fand ihren Widerhall ebenfalls in israelischen Tänzen. Doch diese Versuche eines „sozialistischen Balletts“ verschwanden sehr bald von der Bildfläche, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Auch das klassische Ballett wurde in Israel versucht. Bekannte Tänzerinnen, wie Gertrud Kraus und Mia Arbatowa, die eine klassische Ballettausbildung in Europa genossen hatten, versuchten, Balletttanz in Israel einzuführen. Doch die Bedingungen dafür waren nicht vorhanden, und die klassischen Ballettänze beschränken sich bis heute nur auf Einlagen bei Opernvorstellungen. Israelische Choreographen versuchten, eine neue nationale Choreographie zu schaffen. Man begann, Urquellen zu suchen, wobei die weitaus beliebteste die jemenitische war. Die Folkloreforscher sind heute der Ansicht, daß die jemenitische Judenheit ihre Tänze, die noch teilweise aus der Zeit der Zerstörung des Zweiten Tempels herstammen (70 n. Chr.), weitaus am besten konservieren konnten.

Wie bei allen alten Völkern spielte auch der Tanz in der biblischen Zeit eine große Rolle. Mirjam, die Schwester von Moses, führte seinerzeit die Töchter Israels zu einem Triumphtanz nach Überquerung des Roten Meeres — „Und Mirjam, die Prophetin, Aarons Schwester, nahm eine Pauke in ihre Hand, und alle Weiber folgten ihr nach hinaus mit Pauken im Reigen.“ (2. Buch Moses, Kapitel 15, Vers 20.) „Auch die Tochter Jeph-thahs tanzte zu Ehren des Sieges ihres Vaters.“ (Buch der Richter, Kapitel 11, Vers 34.) Doch entgegen den alten griechischen Tänzen, die in Gemälden und Skulpturen verewigt sind, wurden die jüdischen Tänze des biblischen Zeitalters wegen des Verbotes, kein menschliches Ebenbild zu produzieren, nur in der Bibel selbst erwähnt. So konnten sie natürlich den Choreographen des 20. Jahrhunderts keine wahre Anleitung zu ihrer Ausführung geben.

Man sah in dem jemenitischen Tanz die einzige Möglichkeit zur Erneuerung biblischer Kultur. Der jemenitische Tanz, der heute wieder zu neuer Blüte erwacht ist, findet seinen besonderen Ausdruck in der zweiunddreißigköpfigen „Inbal“-Tanzgruppe. (Diese Truppe ist zur Zeit an dem Film „The greatest story ever told“ unter der Regie von George Stevens beteiligt. Der Film erzählt die Geschichte Jesu Christi und wird in Hollywood gedreht.) Frau Sara Levy-Tanai, die Choreographin dieser Gruppe, teilt den jemenitischen Tanz in drei verschiedene Arten ein. Der Tanz der Wüstenjuden, wie ihn die jüdischen Nomadenstämme des Jemen tanzen. Dieser Tanz ist ein Landschaftstanz. Die langen, weitläufigen Bewegungen, die an den slawischen Tanz erinnern, sind Nachahmungen der Bewegungen der jungen Kamele und stellen die unendliche Weite der Wüstenlandschaft dar. Der zweite Tanz ist der Tanz der jüdischen Dorfbevölkerung des Jemen. Wenn bei dem sogenannten Landschaftstanz die Hände die Hauptrolle spielen, so spielen bei dem Dorfbewohnertanz diese Rolle die Füße, welche die Bodenverbundenheit darstellen soll: barfuß auf bloßer Erde »nd: meistens bei ländlichen Festen wurde getanzt. Der Tanz der jemenitischen Städtebewohner gleicht dem Tanz der jüdischen Ghettobewohner Osteuropas. Obwohl die jemenitischen Juden zirka 2000 Jahre überhaupt keine Verbindung mit den Juden Europas hatten, entwickelten die Juden des jemenitischen Ghettos ähnlich den Juden der europäischen Ghettos denselben Tanz. (In Europa wurde dieser Tanz als „chassidischer Tanz“ einer jüdischen Volksbewegung, die ihren Beginn im 17. Jahrhundert hatte, ausgeführt.) In diesem Tanz streben die Armbewegungen mehr dem Himmel zu. Die Enge des Ghettos kommt auch im Tanz zum Ausdruck: die Tanzenden wenden sich an ihren Schöpfer zum Himmel und erflehen Hilfe.

Doch der jemenitische Tanz allein konnte den Bedürfnissen der neuen israelischen Gesellschaft nicht genügen. Er verlangt große Körperbeherrschung und konnte bisher meistens nur von Juden jemenitischer Herkunft getanzt werden, da dieser Tanz auch ihrem Körperbau entspricht. (Jemeniten haben überdurchschnittlich lange und schlanke Gliedmaßen.)

Die Neueinwanderer aus Europa versuchten nun, dem alten biblischen Tanz einen neuen Inhalt zu geben. Man versuchte, eine israelitische Folklore zu schaffen, indem man sogenannte synthetische Tänze erfand. Dies waren Hirtentänze von Hirten, die es niemals gab, Erntetänze von Bauern, die die Ernte bereits mit modernsten Maschinen, wie Combines, einbringen, und Tänze von wasserschöpfenden Frauen am Brunnen, die das Wasser schon längst von der Leitung abzapfen.

Diese „synthetischen“ Tänze benützten als ihre Quellen außer -dem jemenitischen Tanz den europäisch-thassidischen Tanz, die obengenannten Volkstänze und Tänze der bucharischen Juden sowie die arabische Debbka. Doch bald stellte es sich heraus, daß eine richtige arabische Debbka oder ein original bucharischer Tanz viel schöner ist, und man ging dazu über, statt neue Tänze zu erfinden, diese Tänze zu stilisieren und zu verfeinern.

Heute gibt es in Israel zwar kein klassisches Ballett, aber außer einer jemenitischen Tanzgruppe noch eine bucharische (Ha'Paamonim), ein modernes Ballett („Das lyrische Theater“ unter Anleitung der amerikanischen Choreographin Anna Soko» lova) sowie einige Folklore-Tanzgruppen (Karmontruppe, Studententruppe usw.), die auch im Ausland großen Erfolg haben, da all diese Gruppen arabische, bucharische, chassidische und Horatänze und neu geschaffene israelische Tänze aufführen, die vielleicht amateurhaft wirken, barfuß getanzt werden und insbesondere viel Jugendfrische zeigen.

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