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Österreichische Musik bei den Indianern

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In musikhi stori sehen Schriften wird man vergeblich den Namen Thaddäus H a e n k e suchen. Und doch verdient Österreichs großer Forschungsreisender auch auf diesem Gebiet mehr als eine bloß gelegentliche ehrenvolle Erwähnung. Wir wissen bisher zwar nichts von eigenen Kompositionen, dafür aber von hinterlassenen Briefen, Tagebuchnotizen, vielen gekauften und wenigen handgeschriebenen Notenblättern, die beweisen, daß Haenke vor ungefähr 150 Jahren in Südamerika — damals im spanischen Kolonialreich — der erste und berufenste, immer begeisterte und opferbereite Propagator klassischer Musik seiner Heimat gewesen ist. Er ist aber auch nachweisbar der erste Forschungsreisende vor und kurz nach 1800, der sich sachkundiger als andere vor ihm und nach ihm mit Liedern, Musikinstrumenten, Tänzen usw, der verschiedensten Indianerstämme im

Westen des amerikanischen Doppelkontinents beschäftigt hat, ja der es auch verstand, nur einmal aufmerksam gehörte Gesänge „auf das Fortepiano" zu übertragen und in Noten zu setzen. Also Gründe genug, Haenkes Namen in der Musikgeschichte festzuhalten.

Wenn ich hier aus eigenen gesammelten Notizen bloß andeutend einiges über den Musiker Haenke vorbringe, dann sei ausdrücklich bemerkt, daß der gleiche Haenke als Chemiker unbestritten der Gründer der chilenischen Salpeterindustrie ist, als erster europäischer Arzt Blatternschutzimpfungen in Gebieten des westlichen Südamerika durchführte, daß er zu seiner Zeit als Botaniker bester Kenner der Gebirgsflora dieses Kontinents war, als Geograph und Forschungsreisender in Südamerika sogar Alexander v. Humboldt ebenbürtig ist, daß er als Regierungsbeamter wirtschaftspoli tische Pläne entwickelte, die uns heute geradezu visionär anmuten, kurz, es gibt kaum ein Gebiet, in dem Haenke nicht mit kühnen, seiner Zeit vorauseilenden Ideen und eigener Arbeit rühmend zu nennen wäre.

Als nach der militärischen Landeroberung Südamerikas und der Unterwerfung zahlreicher Eingeborenenstämme dem Vortrupp romanischer Missionäre ungefähr um 1680 ein starker Zustrom österreichischer und anderer deutschsprachiger Missionäre folgte, brachten eben diese Männer die klare Erkenntnis mit, daß Gesang und Musik bei der Christianisierung der Eingeborenen aus psychologischen Gründen wertvolle Hilfsdiente leisten können. Wir lesen sogar von Missionären — zum Beispiel Anton Sepp, Martin Schmid,

Florian Baucke, Franz v. Zephyris —, di sich in der Zeit zwischen 1690 und 1740 den Gesangunterricht und di Ausbildung musikalisch begabter Eingeborener im Spiel verschiedener Instrument besonders angelegen sein ließen und die mit ihren Sängerknaben und Orchestern nicht nur in den Grenzen ihres Missionsbereiches, sondern auch in den großen Städten Buenos Aires und Santa Fe Bewunderung fanden. Wir besitzen aus dieser Zeit aber keine genaueren, sowohl musikgeschichtlich als auch völkerkundlich gleich wertvollen Aufzeichnungen über die Musik der Eingeborenen. Selbst Alexander v. Humboldt fehlte offenkundig jedes tiefere Inter- ess und wohl auch die Fähigkeit, dieser An von Kunst der Primitiven gebührende Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Haenkes Beziehungen zur Musik beginnen schon in der frühesten Kindheit. Zuerst wirkte er mit als Sängerknabe im Kirchenchor zu Kreibitz in Nordböhmen (wo er am 5. Dezember 1761 geboren wurde), und dank überragender Begabung lernte er frühzeitig Orgel spielen, auch Oboe und Horn blasen. Obwohl er nicht Kantor und Musiklehrer wurde, wie es sein Vater bestimmte und hoffte, blieb auch während seiner Studienzeit an der Prager und Wiener Universität sein feste Bindung zur Musik erhalten.

Im Jahre 1789 verließ Haenke von Wien aus Europa, das er nicht mehr wiedergesehen hat, um als „beamteter Arzt und Botaniker" im Forschungsstab an einer Expedition teilzunehmen, die der spanische König Karl IV. zur wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Erforschung der westlichen Gebiet Süd- und Mittelamerikas ausgerüstet hatte. Über den Forschungsreisenden Haenke erfahren wir nun eine bezeichnende Episode. Nach Eintreffen der Expedition in einem peruanischen Hafen (1790) wurden die Offiziere der Schiffe zur Feier der Regierungsübernahme des neuen Vizekönigs nach Lima eingeladen. Während der wochenlang dauernden Feste lagerten in Stadtnahe die verschiedensten regierungsfreundlichen Indianerstämme, die die Machtübernahme des neuen Vizekönigs mit Gesängen und Tänzen feierten. Es erregte Staunen und Bewunderung der Hofgesellschaft und der spanischen Offiziere, daß Haenke eben gehörte Indianerliedv? mit einer von ihm selbst improvisierten Begleitung vollkommen getreu wiederholen konnte. Von dieser Zeit an finden wir in Haenkes Forschungsberichten, Tagebüchern und Briefen immer wieder musikgeschichtlich beachtenswerte Bemerkungen eingestreut. Als Beispiel seien zwei Proben wörtlich angeführt: die eine gilt der Musik der peruanischen Aymarä- und Quichuastämme, die andere den in Südamerika als Sklaven eingeführten Negern, welche damals in besonderen Stammesbrüderschäften zusammengeschlossen waren.

„Sie (die Indianer) lieben leidenschaftlich Musik und Tanz, der für sie den Höhepunkt aller Genüsse darstellt: sie verschönern dadurch ihre geselligen und religiösen Versammlungen. Ihre Instrumente sind kleine Flöten, verschiedene Saiteninstrumente, die sie mit großer Zartheit streichen und zupfen, sowie kleine Trommeln, die den Negertrommeln ähneln, aber viel klangvoller und angenehmer sind. Der Gesang ist süß, weich, zärtlich und melancholisch, besonders in den von ihren Vorfahren übernommenen elegischen Gesängen, die mehr wie die Lieder anderer (Indianer-) Nationen geeignet sind, im Menschenherzen Gefühle des Mitleids und der Liebe wachzurufen. Die Tänze sind ernst und gemessen, für uns nur dadurch lächerlich, daß sie sich am ganzen Körper, sogar bis zu den Füßen, mit Schellen behängen, die im Takt mitklingen. Die Spanier pflegten nämlich zur Zeit der Eroberung das Zaumzeug ihrer Pferde mit Schellen zu versehen. Die davon ganz überraschten Indianer glaubten anfangs, es seien böse Geister, die zu ihrer Vernichtung beitrügen: aber nachdem sie sich von dieser Täuschung überzeugt hatten, nahmen sie die Schellen als Begleitinstru- meht aller Tänze auf.“

„Die Tänze (der Neger) führen verschiedene Namen: Don Mateo, el Zango, Caballo cojo (lahmes Pferd), el Torito (Stierlein), Agua de Nieve (Schneewasser) usw. Meistens tanzt einer allein, manchmal aber zwei oder vier Personen, die zugleich singen und lächerliche, unanständige Verrenkungen ausführen, die aber bei diesen Menschen, deren Eindrucksfähigkeit mit dem Aufhören dieser Vergnügen auch ei® Ende hat, keine weiteren Folgen haben. Die dabei verwendeten Instrumente sind aus Bambusrohr. Einer der Neger trägt sie auf dem Rücken und einer der Dahintergehenden bearbeitet sie. Außerdem tragen sie eine rosenkranzartig aufgereihte Serie von verschieden großen Täfelchen, an deren unterem Teil je ein hohler Kürbis befestigt ist, der als Resonanzboden dient. Dazu spielen sie kleine Flöten, die nur mit der Atemluft der Nase geblasen werden. Dazu klappern sie noch mit einem abgehäuteten Pferde- oder Eselskinnbacken mit lockeren Zähnen, reiben ein glattes Holz gegen ein eingeschnittenes, schütteln Armbänder und Schellen und bringen mit diesen Instrumenten ein lärmende und widerwärtige Musik hervor.“

Von den Gauchos Argentiniens, die Haenke während seiner ersten Reise quer durch die Pampas kennengelernt hatte, bemerkt er, „daß sie zum Zeitvertreib gerne singen und musizieren. Ihre Lieder sind seltsame, miß- tönige Seguidilen (ein vier- bis siebenzeiliges spanisches Versmaß), die die Namen Gedenas, Perico oder Mal-Ambo führen. Sie werden immer im Falsett zu den Klängen einer verstimmten Gitarre vorgetragen. Die sänge- rische Begabung sichert dem betreffenden Gaucho überall die gastfreundlichste Aufnahme und Bewirtung.“

Während uns von Haenkes Wiedergaben der Gaucholieder nur einige Texte erhalten sind, verdienen andere seiner Aufzeichnungen, von denen eine hier erstmalig veröffentlicht ist, größt Interesse. Es handelt sich um Gesänge von Stämmen, die heute entweder nahezu dezimiert sind oder die unter dem Einfluß der amerikanischen Weißen ihre Stammessitten und Gebräuche aufgaben. So wird in einem spanischen Bericht über die Expedition erwähnt, daß beim Eintreffen in der Mulgravebai beim Mount Fairweather an der Westküste Nordamerikas sich ein Kanu, gesteuert von Indianerinnen im jugendlichen Alter, dem Kapitänschiff „Descubierta“, das Haenke an Bord hatte, näherte, um Offiziere und Mannschaften des Schiffes zu sehen, und sich mit ihnen zu verständigen. Nachdem sie es mit ein paar englischen Worten versucht hatten, stimmten sie einen melodiösen Gesang an, den Haenke „mit der ihm angeborenen Genauigkeit und seinem Verständnis für Musik zu Papier brachte“ (siehe Photo).

Auch von Haenkes eigenhändigen Aufzeichnungen von Gesängen der Eingeborenen der Freundschafts- (Sozietäts-) Insel V a- vao sind uns einige Blätter erhalten. Die Inselbewohner tanzten vor den Mitgliedern der Expedition und trugen einen wohllautenden Gesang zu Ehren der Fremden vor. Es ist gewiß bedauerlich, daß wir derzeit von Haenkes ethnographischen Forschungen bloß Bruchstücke kennen, denn alles deutet darauf hin, daß er einen seltenen Schatz auch an musikalischen Beobachtungen gesammelt hatte. Heute ist man in Amerika bemüht, sozusagen in letzter Minute die, spärlichen Reste solchen Kulturgutes der Eingeborenen vor der Vernichtung zu retten. Es sei deshalb daran erinnert, daß erst beinahe ein Jahrhundert (!) nach Haenkes Tod (1817) ein Lehrer für neuere Sprachen am Pädagogischen Institut in Santiago de Chile den Lieder- und Sagenschatz der araukanischen Indianer gesammelt hat. Wenn es nun dazu heißt: „Ein schönes Verdienst eines Gelehrten, einen Schatz zu bewahren, der im Begriffe stand, mit der aussterbenden oder steh mehr und mehr in die Chilenen auflösenden Rasse verlorenzugehen; bis Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wußte man nichts davon“, dann trifft dies nicht zu. denn andere haben nur fortgesetzt, was Haenke erstmalig schon ein Jahrhundert früher ebenso zielsicher begonnen hatte.

Aber noch ein besonderes Verdienst hat sich der Musiker Haenke um seine Heimat erworben. Nach Rückkehr von seiner Weltreise wählte er ein Gut unweit von Cochabamba (Bolivien) zu seinem Aufenthalt, wo er zum eifrigen Künder österreichischer Mus:k wurde. Die Ruhepausen zwischen mehreren Forschungsreisen widmete er vorwiegend der Pflege edler Tonkunst. Sein Bruder Josef mußte ihm ein Klavier und ein überraschend reichhaltiges Notenmaterial aus Europa senden. In Cochabamba (der Stadt) gründete er mit spanischen Musikfreunden ein Quartet, und wir erfahren aus seinen Briefen ins einzelne gehend die bevorzugten Kompositionen. Darunter finden wir Haydns „Schöpfung“ und „Die Sieben Worte Christi“, Sonaten und Symphonien von Mozart, Werke von Bach und Graun, Auszüge aus Glucks Opern und anderes. Durch Haenke erklang also erstmalig in Südamerika klassische deutsche Musik zu einer Zeit, als „die Musik in diesem Lande noch in ihrer Kindheit war“, wie er es ausdrückt. Einem verbürgten Bericht zufolge soll er auch während seines Aufenthalts auf den Philippinen im Jahre 1792 den Bewohnern von Manila erstmalig Werke von W. A. Mozart vorgespielt und mit ihnen helle Begeisterung hervorgerufen haben.

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