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Zwischen Philosophie und Volkskunst

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Einige Kollegen gerieten ins Schwärmen. Das las sich in einer Berliner Abendzeitung so: „Aus ihren Kehlen strömt der Gluthauch der Sahara. Sie singen gegen Sandstürme an. Der Gebetsruf vom Minarett prägt die Melodie. Der wiegende Rhythmus der Kamele und das Heulen der Derwische sind in dieser Musik.“ Alle Phantasie in Ehren, aber die Wirklichkeit ist etwas anders. Die Ensembles, die das vom Internationalen Institut für vergleichende Musikstudien organisierte Festival arabischer Musik - im Rahmen der neu etablierten Internationalen Sommerfestspiele Berlin - bestritten, kamen gewiß nicht geradewegs aus der Sahara und singen auch nur selten noch gegen Sandstürme an. Sie bestehen aus hochspezialisierten, größtenteils professionellen, im Glücksfall von ihren Regierungen großzügig unterstützten, überwiegend aber auf Privatmäzene angewiesenen, vereinzelt wegen des immer noch bestehenden Trends zu europäisch beeinflußten „neuen“ Mischformen mit dem Existenzminimum lebenden Musikern.

Die Mauretanier, vor allem die Tänzerinnen und Tänzer, sind hochgewachsene, auffallend schöne Menschen. Schon der Gang aufs Podium, jede Geste, gar erst das Stimmen der Instrumente - all das ist bereits Musik. Sprache und Gesang, instrumentale und körperliche Gesten sind kaum voneinander zu trennen, bilden ein geschlossenes Ganzes, gegliedert durch einen Wechsel von Soli und gleichsam antwortenden, refrainartigen Ensemblegesängen.

Vierzehn Tage arabische Musik: das heißt einem Wechselbad ausgesetzt sein, in dem die gewohnten Kategorien von vermeintlich vordergründiger Sinnlichkeit und der künstlerischen (und künstlichen) Verfeinerung seltsam fragwürdig werden - ebenso wie die Entgegensetzung von Volkstümlichem, „Ursprunghaftem“, und dem, was ein ziemlich dummes Modewort neuerdings mit „Hochkultur“ bezeichnet. Einerseits ist die Traditionelle Musik auch in den arabischen Ländern „Alte Musik“, und die Massenmedien bevorzugen von europäisch-amerikanischer Machart verunstaltete seichte Formen, zum anderen zeigte sich beispielsweise an den beiden ägyptischen Programmen und einer Hochzeitszeremonie aus dem syrischen Aleppo, daß diese sorgsam bewahrte, für das arabische Selbstverständnis lebenswichtige Tradition selber anfällig für Veräußerlichungen ist, daß aber auch in ärgerlichen, vielleicht tourneebedingten Verflachungen die kraftvoll-sinnliche und zugleich sensible Originalgestalt noch erahnt werden kann.

Das wohl faszinierendste Phänomen der arabischen Kunstmusik ist die Improvisationsform Maqam: den Maqam begreifen, ihn richtig hören, ist der erste und wichtigste Schritt zur Einfühlung in die arabische Musik. Diese Musik ist eine Raumkunst: der jeweils gespielte Maqam wird durch einen Modus näher bezeichnet, doch das ist nicht eine Ton-Folge in unserem Sinn, ein Fortschreiten in der Zeit, sondern ein Ton-Raum, in dem sich der Musiker bewegt; ein Raum, der bestimmt ist durch verschiedene Tonebenen. Die Maqam-Reihen oder Modi sind in Gattungen eingeteilt, und jede dieser Gattungen hat einen Namen. Es gibt kein durchgehendes Metrum, und der Rhythmus, die Bewegung, hängen von Stil und Technik des Spielers ab. Der Spieler hat indes noch mehr und sogar Wichtigeres zu tun: Er hat den Gefühlsgehalt des Maqam darzustellen. Er hat sie in einer ganz persönlichen, durch sein Wesen, seine Menschlichkeit hervorgebrachten Prägung an die Zuhörer zu vermitteln, und zwar in einer Vielzahl feinstgestufter Nuancen.

Unter diesem Blickpunkt hätte es keinen Sinn, die einzelnen Ensembles nach unseren Kriterien zu „würdigen“. Musik ist in den arabischen Ländern eine Kunst, deren ästhetischer Gehalt sich vom Emotionellen nicht abtrennen läßt - und das Emotionelle ereignet sich im Augenblick des Erklingens. Eine gute Einstimmung in das Maqam-Phänomen gaben zwei Ensembles aus Bagdad; vor allem die Sängerin Maidah Nazhat verstand es,

dem Publikum mit vokalen Improvisationen eine Vorstellung von der sinnlich-emotionellen Suggestivkraft des Maqam zu geben. Für die musikalische Struktur sind die Worte ohne tiefgreifende Bedeutung, aber sie sind das hervorragendste Mittel, Kontakt aufzunehmen mit den Hörem: daraus erklärt sich die Vormachtstellung der Sänger. Zwei Wörter wie „Ya Layli“ („Oh meine Nacht“) sind ausreichend als Grundlage einer vokalen Maqam- Improvisation: Maidah, Nazhat entfaltet mezza voce über diesen Worten eine weiträumige erotische Skala, läßt die Töne „schmelzen“ und „zerbrechen“.

Zwischen Esoterik und zur Show verflachter Selbstdarstellung sucht der arabische Musiker von heute seinen Weg. Den markanten Akzent einer Volksmusik, die heimatliche Erde noch spüren ließ, setzten Musiker aus Nord-Jemen; sie brachten mit ruhiger Selbstverständlichkeit, mit ihrer Strenge und Kunstlosigkeit des tänzerisch-instrumentalen Ausdrucks ein Moment kraftvoller Unmittelbarkeit ein. Die Sufi-Zeremonie des tunesischen Sulamiyah-Ordens riß mit durch den gleichsam szenischen Aufbau und das zündende Ineinander von Gesang, Rahmentrommel und „Naqqarat“ (aus zwei kleinen Pauken bestehend). Das Brehi-Ensemble aus dem marokkanischen Fez endlich suggerierte mit der andalusischen Nubah - einer überlieferten komponierten Musikform - das Volksnahe einer traditionsreichen Hochkunst; die Nubah ist ein rundes Jahrtausend alt und hinterließ ihre Spuren im maurisch beeinflußten Spanien. Wie im Zeitraffer wurde die Abfolge der Jahrhunderte deutlich, der europäische und der afrikanische Kontinent rückten zusammen.

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