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Afrikas„Klang-Galerie“

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Jeden Morgen wird bei den Mossis in Obervolta die Sonne mit Musik begrüßt. Die Melodie, die vier Musiker auf einsaitigen Fideln spielen, ist dieser Stunde, diesem Anlaß Vorbehalten; sie weckt den „Sonnenkönig“, den Morho Naba, den „König des Universums“, und kein anderer Musiker darf dieses Stück spielen. Der französische Musikwissenschaftler und Kritiker Maurice Fleuret berichtete bei einem der Sahel-Zone (Afrika) gewidmeten musikethnologischen Seminar in Royan über seine Forschungen; eines der aufgezeichneten Beispiele: die „Sonnen“-Melodie. Bewundernswert die Balance und die Frische dieser Musik: einschmeichelndes Melos und logische Konstruktion sind im Einklang, der durch einen Refrain bekräftigt wird. Diese Ausgeglichenheit ist kein Zufall; eine Aufführung ist wie die andere, es gibt nicht die geringsten Abweichungen.

Die Hierarchie der Instrumente ist unverrückbar; in ihr spiegelt sich die gesellschaftliche Ordnung wider. Die Fidel; sudanesischen Ursprungs und

Dudga genannt, hat im volkstümlichen Bereich eher eine Unterhaltungsfunktion. Anders eine Trommel, die Bendre: Sie spricht,wörtlich; durch sie werden Geschichte und Geschichten erzählt, über weite Entfernungen Botschaften übermittelt, auch solche, die mit Worten nicht ausgesprochen werden dürften, und sie stellt die Kommunikation mit den Ahnen her.

Frei von äußeren Einflüssen, roh im Klang, spontan in der Wirkung, tönt die nigerianische Trompete Kakaki. Was sie erzählt, kann in Sprache übersetzt werden. Sie führt signalhaft das Wort in Ensembles der Hofmusik aus dem Sultanat Zinder, im Wechsel etwa mit Antilopenhömem, mit einem Oboen-Instrument, mit Trommelschlägen. Sprache, Tanz - mit ekstatischen Gesten - und. erzählerische Elemente mischen sich ein: ein Rufer geht voran.

Ein Modell wird geprobt: Dialog mit der Dritten Welt - eine neue Festival- und Kulturaktivität. Die Provinz Charente-Maritime ging voran. Schwarzafrika kratzt an unserem abendländi- sehen Selbstbewvßtsein: Es gibt Ahnung von intakten Kulturen reicher Tradition, wie sie sich in unseren Breiten kaum jemand träumen läßt. Das neu gewonnene afrikanische Selbstverständnis führt nicht mehr die ,JNėgri- tude“ im Schild; das war ein Schlagwort, als es darum ging, die Wunden der Kolonisation abzustreifen. Nėgri- tude - das sind jetzt Probleme, Komplexe der Weißen. Die Gäste aus dem Sahel sind Partner, für die sich Tradition ungebrochen mit Gegenwart verbindet. An uns ist es, Fragen zu stellen. Denn es zeigte sich auch in der wissenschaftlichen Arbeit: Unsere Kenntnis ist spärlich.

Die „Griots“ aus dem Sahel, Berufsmusiker, die eine wichtige Funktion im afrikanischen Leben erfüllen, waren kaum je außerhalb ihrer Länder - Mali, Mauretanien, N iger, Senegal und Obervolta - zu hören. Freilich geht es um „gelehrte“ Musik, um Kunstmusik. Sie ist in der Gesellschaft verankert, obwohl sie keineswegs von der Allgemeinheit ausgeübt wird.

Dieses Moment des Artifiziellen, des Gelehrten, ist am deutlichsten ausgeprägt in der Hassanya-Musik aus Mauretanien. In dem Land zwischen arabischer und schwarz-afrikanischer Welt entwickelte sich eine homophone Musik arabisch-berberischen Ursprungs von unvergleichlicher Eigenart. Sie hebt an mit dem ,Modus der Freude“: Er richtet sich an den Propheten, der dem Spiel gnädig gestimmt sein soll. Fünf Modi bilden das Grundmaterial, das teilweise improvisatorisch verarbeitet wird. Enstanden in einem Land, das Scharnier ist zwischen Orient und Afrika, besitzt diese Musik den Reiz des Schwebenden: scheinbar ausbrechend, Musiker und Hörer mit sich reißend und genauso unvermittelt zurückfallend in die Form, denn sie gibt nicht ein idealisiertes Bild des Lebens, sondern ruht bei allem Paroxysmus in sich selbst. Sichtbarer Ausdruck dessen ist der Tanz, bei den Frauen meist in sitzender Haltung mit anmutigen Bewegungen des Oberkörpers und winzigen, expressiv aufge- ladenen Gesten; die Männer vollführen atemberaubende artistische Kapriolen, erfüllt von Kraft und Energie.

In Mali ist die kostbare Kora beheimatet, unverändert seit dem 13. Jahrhundert; mit ihren 21 Saiten, einem Time-Potential, das durch die mystische Zahl Sieben mit der menschlichen Existenz verbunden ist. Jeder Kora- Spieler baut sich sein Instrument selbst nach individuellen Erfordernissen, denn es ist zugleich mehr als ein Instrument, nämlich Teil seiner Persönlichkeit. Die „Klang-Galerie“, eine Sammlung von etwa tausend afrikanischen und asiatischen Instrumenten, wurde - veranlaßt durch die Jeunesses Musicales - auf Reisen geschickt. Die Instrumente waren nicht tabu, konnten erprobt werden: Ganze Schulklassen, Erwachsene nicht minder, gewannen zumindest eine Ahnung von der fremden Klangwelt, aber auch von der Beziehung zwischen Klang und Empfindung. Denn der rationale Zugang ist ohnehin begrenzt; auch die Musikethnologie steht immer wieder vor dem Phänomen, daß ihre Analyse- und Erfahrungsmethoden vor den Ohren der afrikanischen Musiker versagen.

Der „Dialog“ setzt Information voraus. Aufgezeigt wurde in Royan der Zusammenhang zwischen künstlerischen, sozialen und politischen Problemen: Sie summieren sich zum Spannungsfeld einer Kultur, in der feste Strukturen und Hierarchien konfrontiert sind mit einer „Entwicklungshilfe“ die orientiert ist am ,JIelfer“ und nicht am Hilfsbedürftigen. Die Französin Claude Defarge beschreibt in ihrem Film „Plünderung in Gabon“ den Ausverkauf eines Landes mit großen, doch nicht unbegrenzten Reservaten. Die exportorientierte Industrialisierung zerstört die inneren soziokulturellen Bindungen, basierend auf der Selbstversorgung, und treibt damit in die Abhängigkeit von den großen Industrienationen.

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