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Die Idee von Weltmusik
Nach wenigen Tagen fühlte man sich in der Berliner Nationalgalerie zu Hause, fast allabendlich für zweimal zwei Stunden, drei Wochen lang. Mütter kamen mit kleinen Kindern; eine junge Frau wickelte in der Pause ihr Baby. „Metamusik“: das ist zunächst nur ein Reizwort. Es verheißt eine ganz andere Musik, als sie normalerweise im Konzertsaal erklingt; es beseitigt Schwellenangst, weil es die Neugier weckt. Walter Bachauer vom Sender RIAS hat es sich ausgedacht, die Berliner Festspiele haben es (in Zusammenarbeit mit dem „Berliner Künstlerprogramm“ des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und dem RIAS) aufgegriffen, zum zweiten Mal jetzt und mit einem Erfolg, der auf ein Bedürfnis schließen läßt, zumindest auf ein großstädtisches.
Das Festival vermittelte aufschlußreiche Erfahrungen und es warf genauso viele Fragen auf. Eine Vorstellung von Weltmusik stand zur Diskussion, Musik ferner Völker im Vergleich, und das (so war versprochen) „authentisch“; aber was auf Tournee geschickt wird, ist immer „Bearbeitung, Verkürzung, Anpassung an fremde, unbekannte Räume, Versuch einer Übersetzung“ durch Abschleifen der Kanten. Wann wird Folklore zur gut verkäuflichen Ware, zum bloßen Abbild, zum Talmi? Die Frage blieb unbeantwortet. Mit einer zweiten mag man sich arrangieren: Wie definiert sich nach alledem „Metamusik“? „Meta“ bedeutet auch hier: über und zwischen den gewohnten Einteilungen, Normen, Wertvorstellungen. Eine „ÜberMusik“ — oder Musik über alles? Von beidem etwas. Die Nationalgalerie wurde zur „Oper“, in der sich Bürger und Intellektuelle anti-bürgerlich und relaxed gaben.scher und musikalischer Elemente in dem faszinierenden Vortrag einer südkoreanischen Geschichten-Erzählerin; Instrumentalisten, Tänzer und Sänger aus Ghana und Senegal — die Ghanesen boten perfekte Show, kaum zu erkennen als die beabsichtigte Erweckung nationaler Kultur.
Drei Wochen Metamusik: ästhetische Neuerung zeigte sich da ebenso wie Trendbewußtsein. Hämmernder bis dröhnender Perkussionsklang, vermeintliche Re-Vitalisierung, war konfrontiert mit harmonischen, zur Heilung der Psyche ausersehenen Klangwogen, in kühler Perfektion changierenden Klangflächen. Das Neue bestand darin, daß zwischen sogenannter Hochkunst und Unterhaltung bis „herunter“ zu dem, was wir nach unseren (vielleicht falschen) Kriterien als „trivial“ bezeichnen müssen, ferner zwischen dramatischem oder sprachnahem oder auf irgendeine Art theatralisch dargestelltem Ausdruck und sozusagen „reiner“ Musik, endlich zwischen den Ritualen aus fernen Ländern und strukturbetonter Musik westlicher Machart gleitende Übergänge entstanden, die den Zugang zu dem einen oder anderen Pol vorbereiteten und erleichterten.
Ein Generalnenner dieser 33 Veranstaltungen — manchmal ärgerlich, mitunter begeisternd, doch nur sehr selten langweilend —, ein Generalnenner war das in der Musik vieler Länder aufgespürte Gefühlsmoment, eine in der westlichen Neuen Musik der Nachkriegszeit aus Gründen geschichtlicher Erfahrung häufig verdrängte, risikoreiche, aber zuverlässig das Ohr und die Sinne der Hörer erreichende emotionelle Überzeugungskraft. Dazu kam die Berührung mit einem Zeitempfinden, das dem materialistischen Streß unserer Tage entgegengesetzt ist: Klänge waren in den Raum gesetzt, Klänge gliederten Raum und Zeit. Metamusik steht, zeigte sich am Ende, nicht nur für die Bereitschaft zu einer anderen Musik, sondern auch für die zu einer ganz anderen Kultur. Einer haut- und körpernahen gleichsam — statt der permanenten Berieselung, der akustischen Umweltverschmutzung.
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