"Es war, weil es nicht war ..."

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Märchen und Lieder der Roma.

Es ist eine phantastische, unbekannte Welt. Da gibt es Vampire, die nachts Gräber plündern. Untote, die als Mulo menschliche Gestalt annehmen. Da können Tiere sprechen wie die Menschen. Da gibt es Nachtigallen, die das Schicksal voraussagen. Da gibt es Könige und Königstöchter, reiche Gutsbesitzer und bettelarme, aber listige und starke Romaburschen und wunderschöne Romamädchen. Da gibt es Meisterdiebe und Meisterlügner. Da gibt es Königstöchter, die man nach bestandenen Prüfungen zur Frau bekommt. Da gibt es Gold. Mord und Totschlag auch. Und stets die Große Liebe. Ein Mädchen, nach dem sich sehnsuchtsvoll ein junger Rom verzehrt, doch das schon einem anderen versprochen ist. Da werden Menschenopfer dargebracht beim Brückenbau, damit er hält. Da können manche die Hexen und die Teufel sehen. Da sind die Weißen, die Gadze, oft nur Ausbeuter und Betrüger. Da fährt ein Rom zur Arbeit auch nach Wien und hinterlässt die wehklagende Frau und ihre Kinder. Da nähert man sich schon der Wirklichkeit. Geschichten beginnen manchmal mit der Formel: "Es war, weil es war" oder auch mit "Es war, weil es nicht war." Und der Erzähler oder die Erzählerin endet mit einem Wunsch für Gesundheit und Wohlergehen jener, die beim Erzählen aufmerksam zugehört haben.

Alle Geschichten und Lieder wurden mündlich weitergegeben, sie waren nicht aufgeschrieben. In verschiedenen Varianten, je nach Zugehörigkeit zu einer Roma-Gruppe, waren und sind sie seit Jahrhunderten in Mittel- und Südosteuropa verbreitet, vor allem auf dem Balkan und in der Türkei. Immer wurden und werden die Geschichten in der Roma-Sprache, dem Romani, in einem der Romadialekte erzählt und die Lieder so gesungen. Das traditionelle Erzähl- und Liedgut ist vielen Romagruppen gemeinsam und bekannt. In diesen Erzählungen und Liedern wird auf die Kultur und Lebensweise, aber auch auf die Lebensbedingungen der Roma hingewiesen. Manches wird aus dem regionalen Lebensraum aufgenommen.

Hat man die Märchen und Liedertexte gelesen, sich vielleicht noch die beigegebene Notation angeschaut, darüber hinaus auch in die Romani-Fassung hineingelesen, dann kann man sich in den wissenschaftlichen Exkurs der Herausgeber am Ende des Buches vertiefen, der vieles, was einem unbekannt oder unverständlich war, ausführlich erklärt. Ein hervorragendes, ein wichtiges Buch, weil es ein Sammelwerk ist, das die Erzähl- und Liedkultur der Roma darstellt. Und somit eine Brücke ist zu einer uns fremden, aber interessanten Lebenskultur, von Menschen, die oft mit uns leben, ohne dass sie uns nahe sind oder wir ihnen wirklich näherkommen.

Die schlaue Romni - E bengali Romni Märchen und Lieder der Roma

Hg. von Petra Cech, Christiane Fennesz-Juhasz, Dieter W. Halwachs, Mozes F. Heinschink. Deutsch-Romani.

Drava Verlag, Klagenfurt / Celovec 2004. 352 Seiten, geb., e 23,70

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