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Kleine Welt im Umbruch

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Ein Hauch von Sentimentalität und düsterer Romantik umweht das Streuvolk der schwarzäugigen, fremdartigen Menschen, die überall und nirgends zu Hause sind und auch einige Partikel ihres Stammes in Österreich zählen. „Romi“ nennen sich die Zigeuner in ihrer Sprache, die heute schon von der Sprachwissenschaft eindeutig als ein Idiom erkannt wurde, das mit dem Hindostanischen verwandt ist. Osten und Südosten Europas waren und sind ihre bevorzugten Wirtsländer, zum kleineren Teil sind sie als „Volksmusiker“ in Ungarn, der Slowakei, Rumänien und Jugoslawien seßhaft geworden, zum größeren Teil ziehen sie, dem unstillbaren Wandertriebe ihrer Art unterworfen, ruhelos dahin, so weit das endlose Band der Landstraße reicht.

Österreich hatte bis 1938 eine ziemlich große Zahl von Zigeunern, deren soziales Problem oft Gegenstand behördlicher Maßnahmen und Enqueten war. Mit dem Burgenland kamen als Erbe der ungarischen Zeit eine verhältnismäßig große Zahl des seltsamen Völkchens zu Österreich. Sie lebten mit all ihren Fehlern und Vorzügen dahin, eben nach ihrer Natur. Doch machten sich durch die Maßnahmen des österreichischen Staates langsame Emanzipationserscheinungen bemerkbar. Dieser Prozeß erfuhr erst durch das Regime Hitlers eine jähe Unterbrechung.

Im Burgenland waren 1934 bei amtlichen Zählungen 6578 Zigeuner festgestellt worden. Bezeichnend für die biologische Stärke dieses Volkes ist es, daß 1937 schon 7923 Köpfe gezählt wurden und von diesen über vierzig Prozent — 3553 — Kinder unter 14 Jahren waren. ' Ihre Hauptsiedlungen mit 3891 Köpfen befanden sich an den Rändern der Dörfer des Kreises Oberwart, andere waren 'über das ganze Burgenland verstreut. So besaßen auch die Gegenden von Güssing mit 779, Oberpullendorf mit 792, Mattersburg mit 500, Neusiedl am See mit 388 und zuletzt Eisenstadt mit 388 Köpfen burgen-ländische Zigeunersiedlungen. Die planmäßige Erziehungsarbeit des österreichischen Staates brachte es zustande, daß sich diese Menschen immer mehr einer geregelten Beschäftigung zuwandten, so daß im Jahre 1937 nur mehr rund 550 Personen des Burgenlandes als Wanderzigeuner anzu-spredien waren. Ein besonderes Verdienst erwarben sich hier die eigenen staatlichen Schulen in Stegersbach und Oberwart, die gewisse Lehrgegenstände im „Romani“ — dem Zigeunerischen — lehrten. Gewiß gab es immer wieder Rückschläge, da eben bei einem derartigen Naturvolk die Begriffe geordneten Lebens kaum entwickelt waren und als etwas höchst Merkwürdiges und Lästiges empfunden wurden. Besondere Maßnahmen waren für die Evidenzhaltung dieses quecksilbrigen Volkselements nötig, in dem bestimmte Familiennamen sich tausendfach wiederholen.

So gab es unter den Zigeunern des Burgenlandes nidit weniger als 3501 H o r-vath, 815 Sarközi, 647 Kärolys, 629 Baranyai, 442 P i p a i usw. Allerdings besaß jeder Zigeuner außer diesem und seinem Rufnamen noch einen Z i-geunernamen, den er aber in den seltensten Fällen preisgab und als Stammesgeheimnis bewahrte.

Gewisse Handwerke übertrugen sich in einer Sippe von Vater auf Sohn, jeder aber wußte mit der Fiedel trefflich umzugehen. Die Zigeuner von Sulzriegel, Wiesfleck und Unterwart zum Beispiel, waren und sind sehr geschickte und gesuchte Kettenschmiede, während die von Kemeten, Rumpersdorf, Glashütten Nagelschmiede sind und heute eine sehr gefragte Mangelware herstellen.

Unter der Hitlerherrschaft der Jahre 1938 bis 1945 drohte diesem Völkchen die Ausrottung. Wahllos waren sie zusammengefangen worden; die Befehle an die Gendarmen des Burgenkndes schrieben Globalkontingente von Einzufangenden vor. Väter kamen mit allen ihren Kindern. Den Lagerleitungen unterliefen bei diesen Scharen von Horvaths und Baranyais die tollsten Verwechslungen. Massenweise fiel diese gefangenen Wildvögel die Tuberkulose an. Schätzungsweise gingen mehr als 6000 Zigeuner in den Konzentrationslagern von Dachau und Auschwitz zugrunde. In Dachau bestanden eigene Kinderkommandos, bestehend aus 11- bis 14iährigen Zigeunerkindern; sie zogen wie die übrigen Gefangenen zur Arbeit aus. Als der Alpdruck schwand, kehrten bis zu Beginn des Jahres 1947 ungefähr 2000 Zigeuner in ihre ehemaligen Heimstätten zurück. Nun aber war eine nie geahnte psychologische Wandlung im Fühlen und Denken der jüngeren Generation feststellbar. Während vor 1938 die ungeschriebenen, jahrhundertealten Stammesgesetze galten, wie der so berüchtigte Zweikampf mit der kurzstieligen Peitsche, während noch nach einem uralten Ritual der Stammes- oder Sippenälteste Gericht hielt über Vergehen, die nach des Zigeuners Auffassung ahndenswert waren, hat sich das Bild von heute wesentlich modernisiert.

Die jungen Zigeuner waren in der jahrelangen Hölle der Konzentrationslager mit vielen charakterlich hochwertigsten Menschen in unmittelbarste Berührung gekommen. Ihre Jugend hatte viel Mitleid gefunden. In Dachau sammelten sie sich um den gefangenen Landeshauptmann des Burgenlandes, Dr. Sylvester, wie um einen Vater. Im Laufe der schrecklichen Zeit erlebten sie eine Umwertung aller ihrer Begriffe, ein geregeltes Leben, als Gleicher unter Gleichen, wurde ihnen nach und nach verständlich und erstrebenswert. Die Wirkungen dieses seelischen Prozesses äußern sich heute dann, daß die junge, überlebende Generation sich praktischen Berufen und einer geregelten Arbeit überhaupt zuwendet. So unglaublich es dem Kenner früherer Verhältnisse klingt: selbst einen jungen Zigeuner gab es, der sich zum Gendarmeriedienst meldete und den moralischen und physischen Eignungsanforderungen auch entsprach.

Was durch Jahrhunderte nicht gelungen, das scheint sich jetzt auf österreichischem Boden anzubahnen; die kulturelle — nicht die rassenmäßige — Assimilierung dieses einstigen Volkes der ruhelos Schweifenden.

Aber während in der Stube die Jungen im Radio den Klängen einer modernen Musikkapelle lauschten, ging die Großmutter der Sippe daran, das Mahl zu rüsten. Ein Huhn, der „Murdello“, war beschafft, aber es sollte nicht auf dem blitzblanken Emailsparherd schmoren. Draußen im Hofe wurde von der Alten eine Mulde gescharrt, zwei Steine geschlichtet, der Spieß mit dem „Murdello“ gedreht — und so geschah's, wie es die Ahnen taten, seit den fernen Tagen, da sie vom Ganges aufbrachen, um ruhelos in die weite Welt zu ziehen. Von der Stube drangen vereinzelte Töne eines amerikanischen Hots, die Alte aber murmelte das uralte Lied vom „sindenger romi tschawo.. ■“ (— vom armen Zigeunerkind —).

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