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Das Wort Kavaliersdelikt läßt sich natürlich nicht steigern. Steigern läßt sich hingegen durchaus — nicht sprachlich, aber wirklich— die Unverfrorenheit, mit der ein Verbrechen als Kavaliersdelikt behandelt wird. Versteht nun ein Gericht seine sprachlich nicht steigerungsfähige Unabhängigkeit als Recht, auf Gerechtigkeit zu pfeifen, kann die Unverfrorenheit das Maß erreichen, angesichts dessen nur noch Schreck und Beschämung möglich sind. Wo aber nur noch mit Schreck und Beschämung reagiert werden kann, zieht es der Österreicher — nicht nur er, er aber besonders konsequent-vor, zu jenen aktuellen Problemen überzugehen, bei denen es sich als Ubergangsstadium zum Vergessen trefflich ver-weüen läßt.

Hier ist nicht die Rede von dem, was den Zigeunern von den Nazis angetan wurde, sondern von dem, was ihnen Österreichs Justiz nach dem Krieg angetan hat, indem sie an Zigeunern begangene Untaten in einem nur als Skandal zu bezeichnenden Prozeß als Kavaliersdelikt behandelte.

Auch den Zigeunern galt eine der Gedenkfeiern dieses Jahres. Bundeskanzler Franz Vranitzky besuchte Lackenbach im Burgenland, wo in der Nazizeit ein Zigeuner-KZ errichtet wurde, fand würdige Worte für die sozial schwächste Gruppe der Naziopfer und damit der Schutzlosesten der Schutzlosen.

Worüber bei dieser Gelegenheit nicht gesprochen wurde: Das Zigeuner-KZ Lackenbach hatte selbstverständlich auch Kommandanten. Einer von ihnen stand am 15. Oktober 1948 in Wien vor Gericht. Auch dieses Verfahren ist ein Ereignis, dessen im Interesse der Glaubwürdigkeit all des 38-88-Gedenkens gedacht werden muß.

Franz L. war zum Zeitpunkt des Prozesses 49 Jahre alt. Er war einer jener ehemaligen österreichischen Kriminalbeamten, die nach der Annexion Österreichs in die Nazi-Kriminalpolizei übernommen wurden, was nur solche österreichische Beamte erreichten, die sich den Nazis gegenüber vor dem 12. März 1938 zumindest nicht ablehnend verhalten hatten. Im Sommer 1941 wurde er von der Kriminalpolizeileitstelle Wien in das „Arbeits- und Anhaltelager“ für Zigeuner in Lackenbach beordert. Wie viele andere kleinere Lager unterstand auch Lackenbach nicht der Berliner Zentralverwaltung der Konzentrations lager, sondern der örtlichen Gestapo, im konkreten Fall: „dem Morzinplatz“. Die Zustände in solchen Lagern waren mitunter noch grauenhafter als in großen Lagern wie Mauthausen oder Dachau.

Die örtlichen Verantwortlichen kamen nach dem Krieg zum Teil vor Gericht, diese Schuld der Gestapochefs vom Morzinplatz wurde in den Gestapo-Prozessen niemals adäquat behandelt. Immerhin wurden etwa die Kommandanten des „Ausländer-Arbeitslagers Oberlanzendorf“ bei Maria-Lanzendorf, wo sich unfaßbare sadistische Exzesse ereignet hatten, im Juni 1950 zu Lebenslang beziehungsweise 12 Jahren verurteilt.

Franz L. in Lackenbach aber hätte ja „nur“ Zigeuner gequält.

Er ersetzte einen während einer Fleckfieber- und Typhus-Epidemie gestorbenen Kommandanten. 287 Zigeuner waren dieser Epidemie zum Opfer gefallen, sie war Folge grauenhafter sanitärer Verhältnisse, welche die Häftlingszahlen vieler Konzentrationslager planmäßig dezimierten.

Kommandant L. hat in Lackenbach die Prügelstrafe und eine ganze Reihe von ihm erdachter unmenschlicher Prozeduren und Strafen eingeführt. Stockhiebe gab es bei den geringsten Verfehlungen, zum Vollzug wurden eigens dazu eingesetzte Kapos gezwungen, aber auch der Kommandant selbst prügelte die wehrlosen Gefangenen mit Stock und Ochsenziemer. Das gehörte generell zum Alltag der KZ's. In Lakkenbach wurde er um die besonderen Einfälle des Kommandanten bereichert. So wurden etwa die Zigeunerinnen gezwungen, im Winter barfuß durch tiefen Schnee zu waten oder, wenn es dem Kommandanten einfiel, sich nackt im Schnee zu wälzen. Männer und Frauen mußten mit bloßen Händen die Latrinen ausschöpfen. Als Franz L. einmal feststellte, ein Kind habe auf der Landstraße seine Notdurft verrichtet, zwang er eine Gruppe von Zigeunern, auf dem Bauch kriechend die Exkremente mit der Nase zu entfernen.

Alles das kam am 15. Oktober 1950 vor einem österreichischen Volksgericht zur Sprache. Es waren auch zahlreiche Zigeuner gekommen, „teils als Zeugen, teils als Zuhörer, letztere kommentierten die Aussagen ihrer damals inhaftierten Landsleute mit leise geführten Zwiegesprächen und lebhaften Gebärden“, schreibt eine Wiener Zeitung und läßt offen, ob es sich denn nicht bei den in Lackenbach inhaftierten „Landsleuten“ der Zeugen und Zuhörer um unsere Landsleute gehandelt habe.

Volksgerichte waren aus zwei Berufsrichtern und drei Schöffen zusammengesetzte Senate, die insgesamt rund 13.000 NS-Straftä-ter schuldig sprachen und zu mehr oder weniger harten Strafen verurteüten. Der Senat, der sich mit der gegen Franz L. erhobenen Anklage wegen Quälerei und Mißhandlung sowie wegen Verletzung der Menschlichkeit und der Menschenwürde befaßte, meinte keineswegs, daß solche Maßnahmen für eine Disziplinierung geeignet gewesen seien. Andererseits, erklärte der Vorsitzende in seiner Urteüsbegrün-dung, habe sich der Angeklagte selbst in einer „Zwangslage“ befunden, habe die Befehle seiner Vorgesetzten ausführen und „andererseits im Interesse der Angehaltenen streng sein müssen“, auch seien den Betroffenen (gemeint war wohl: soweit sie überhaupt überlebten) „gesundheitliche Nachteile erwiesenermaßen nicht entstanden“.

Zigeuner sind ja robuste Leut', haben sich die Mitglieder des Senats wohl gedacht.

Sie verurteüten Franz L. zu einem Jahr Kerker. Der in solchen Fällen sonst obligate Vermögensverfall wurde nicht ausgesprochen. Man darf wohl guten Gewissens sagen, daß dieses Urteil ein noch schlimmerer Hohn auf die Gerechtigkeit war als so mancher dubiose Freispruch.

Übrigens — auch die in das KZ Ravensbrück eingelieferte, dort zur „Stubenältesten“ aufgerückte und dann als „Blockälteste“ im Zigeunerblock eingesetzte Johanna H., die die Zigeunerinnen mit Fausthieben, Fußtritten und einem Gummiknüttel mißhandelte, kolonnenweise bei jedem Wetter im Freien stehen ließ und ihnen mit Vorliebe „zur Strafe“ das Essen entzog und nach ihrer Absetzung (sie hatte es selbst der Lagerleitung zu arg getrieben) als Freiwillige bei der Vollstreckung von Züchtigungsstrafen eingesetzt wurde, kam mit zwei Jahren Kerker milder davon als viele andere Kapos.

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