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Das neuaufgerollte Verfahren

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Das Verfahren gegen „Apis“ wurde 1953, also 36 Jahre später, wieder aufgenommen. Die Regierung der Volksrepublik Jugoslawien fand nämlich den Prozeß gegen „Apis“ Dimitrijevič „revisionsbedürftig“, und zwar „aus Gründen der Menschlichkeit und der Rechte“.

Das kommunistische Revisionsgericht kam zu folgendem Resultat: Ein Attentat auf den Thronfolger Alexander habe nie stattgefunden. Die Offiziersvereinigung „Weiße Hand“ (die Gegenorganisation zur „Schwarzen Hand“) wollte sich im Saloniki-Prozeß durch falsche Zeugenaussagen des Apis entledigen, da „Alexander fürchtete, es könne sich ein 1903 wiederholen“. (Mord an König Alexander und seiner Gattin Draga unter Mitwirkung des damaligen Hauptmanns Dimitrijevič.)

Über die „Schwarze Hand“ sagte das Revisionsgericht: „Sie war bei den zuständigen Behörden nicht registriert, aber die verantwortlichen Organe der Staatsmacht wußten von ihr. Mit Rücksicht auf die Erfordernisse der Grenzarbeit (Spionage- und Sabotagearbeit jenseits der Grenze, also auch in Bosnien) mußte die Gründung und das Bestehen im Staatsinteresse geheim bleiben, damit der Staat nicht für die Folgen dieser Arbeit verantwortlich gemacht werden könne. Die ,Schwarze Hand’ war eine geheime, aber keine illegale Organisation.“

Damit stellte auch das kommunistische Jugoslawien die Verantwortlichkeit Dimitrijevič’ und offizieller Kreise für den Mord in Sarajewo fest.

1917, beim Prozeß in Saloniki, durfte das Attentat allerdings nicht erwähnt werden. Der Brief, den der Angeklagte Dimitrijevič an das Gebricht schrieb, ist jedoch bekannt:

„Ich habe den Rade Malobabič (Versicherungsagent aus Agram) angeworben, das Attentat von Sarajewo zu organisieren. Malobabic hat meinen Auftrag ausgeführt und das Attentat organisiert ... den Rade Malobabic habe ich als Chef der Nachrichtenabteilung des Großen Generalstabes angeworben, damit er mir ein Nachrichtennetz in Österreich-Ungarn organisiere, und er hat sich dem unterzogen. Dies tat ich im Einverständnis mit dem russischen Militärattache, jetzigen General Artamanov ... Bevor ich den endgültigen Beschluß faßte, daß das Attentat verübt werden sollte, verlangte ich von Oberst Artamanov eine Meinungsäußerung, was Rußland tun würde, falls Österreich uns — Serbien — angreife. Artamanov antwortete mir, daß Rußland uns nicht im Stich lassen werde. Eine solche Meinungsäußerung verlangte ich mit dem Hinweis, daß Österreich diese unsere gemeinsame Tätigkeit merken könnte, und uns unter diesem Vorwand angreifen werde, ohne ihm meine Attentatsabsicht mitzuteilen. Die Hauptteilnehmer an dem Attentat waren alle meine Agenten und erhielten kleine Honorare, die ich ihnen durch die Vermittlung des Rade sandte. Einige von ihren Quittungen befinden sich in russischen Händen, da ich das Geld für diese Arbeit jenseits der Grenze in erster Zeit vom Oberst Artamanov erhielt, denn der Große Generalstab verfügte noch nicht über einen Kredit für diese verstärkte Tätigkeit!“

Der „Chefideologe“ berichtet

Das ist einer der Beweise, daß der serbische Generalstab die Mitglieder der Mlada Bosna (Jung-Bosnien) als šeire Agenten betrachtete. Ein detaillierter Bericht des „Chefideolo gen“ der Mlada Bosna, Vladimir Gacinovič, aus dem Jahre 1912 an einen serbischen Grenzoffizier zeigt, daß der Aufbau ihrer Organisation in Bosnien und der Herzegowina unter Belgrader militärischer Führung erfolgte. Gacinovič, Dichter, Partisane, natürlich Mitattentäter, entpuppte sich in diesem Bericht einwandfrei als beauftragter Spion und Vorbereiter eines Partisanenkrieges. Wie stark damals der bosnische Verwaltungsapparat bereits durchsetzt war, erkennt man an der Forderung des Gacinovič, man müsse bei der Landesregierung veranlassen, daß der Pächter des Hotels am Ivanpaß ausgewechselt werde, um an dieser strategisch so wichtigen Stelle eine Persönlichkeit des Vertrauens zu haben, die im Kriegsfall bei der Tunnelsprengung behilflich sein könnte.

Gacinovič verließ dann seine Heimat, studierte in Lausanne, wo ihn Danilo Ilič 1913 besuchte. Über die Arbeit der bosnischen Jugendbewegung referierte Gacinovič 1915 in Paris dem Kommunistenführer Leo Trotzki.

Mit 27 Jahren starb der „Chefideologe“ in einem Schweizer Krankenhaus ...

Sein Tod erfolgte zur gleichen Zeit, als man in Saloniki die Leitung der „Schwarzen Hand“ liquidierte. Ein Ereignis, das noch der Aufklärung bedürfte.

Die Strafen

Das Urteil gegen Princip und Genossen „im Namen Seiner kaiserlichen und königlichen apostolischen Majestät“ wurde am 28. Oktober 1914 verkündet, nachdem der Gerichtshof unter dem Vorsitz eines Dalmatiners, des Oberlandesgerichtsrates Alois Curinaldi, mit einer in Kriegszeiten erstaunlichen Sachlichkeit getagt hatte. Für den Vorsitzenden war dieses Urteil das letzte seiner Laufbahn. Curinaldi verließ unmittelbar darauf die Gerichtspraxis und trat ein Jahr darauf in den Jesuitenorden ein.

Princip, Čabrinovič und Grabež erhielten mit Rücksicht auf ihre Jugend 20 Jahre schweren Kerker, Danilo Ilič, ein Kinobesitzer aus Tuzla und ein Lehrer aus Priboj wurden zum Tod durch den Strang verurteilt. Die übrigen, meist Bauern, die mit dem Waffenschmuggel zu tun hatten, erhielten mit wenigen Ausnahmen Zuchthausstrafen.

Von den neun nach Möllersdorf in Niederösterreioh und Theresienstadt in Böhmen transportierten Häftlingen starben bis zum Kriegsende sechs, fünf an Tuberkulose, einer in einer Irrenanstalt...

Uber ihre Haftzeit und ihr Schicksal gibt es fast nur jugoslawische Literatur. Die darin gemachten Vorwürfe gegen die Behandlung in den k. u. k. Miltärstrafanstajten müßten überprüft werden. Bisher ist niemand den Vorwürfen entgegengetreten.

Richtig ist, daß fast sämtlichen Häftlingen bei ihrem Abgang in der bosnischen Strafanstalt ärztlich attestiert wurde, Anzeichen von Tuberkulose seien keine vorhanden.

Ebenso richtig aber ist, daß Bosnier, in eine Ansteckungszone gebracht, sich für Tuberkulose besonders anfällig zeigten.

Effendi Curcič, der Bürgermeister von Sarajewo, zum Beispiel starb 1916 in der Heilanstalt Grimmenstein in Niederösterreich.

Uber Gavrilo Princip in Theresienstadt berichtet ein prakti scher Arzt aus Petschau, der im Divisionskrankenhaus, wohin man den erkrankten Delinquenten gebracht hatte, Dienst machte: „Sicherlich hatte Princip den Keim der Tuberkulose schon vor seiner Verhaftung in sich, doch die zwei Jahre Kerker in den Kasematten der Festung Theresienstadt genügten, um. den Krankheitsherd so zum Aufflackern zu bringen, daß der Tod des Erkrankten in kürzester Zeit zu erwarten war. Man muß es jedoch den für die Person Princips ver antwortlichen militärischen Dienststellen hoch anrechnen, daß sie den Erkrankten, als sich die ersten schweren Symptome der Tuberkulose bemerkbar machten, ins Garnisonsspital bringen ließen, wo er dieselbe Behandlung und Verpflegung hatte, wie die verwundeten oder kranken Soldaten.

Trotz des strengen Verbotes, mit ihm zu sprechen, fand ich doch während der Behandlung mehrmals Gelegenheit, mich mit ihm kurze Zeit zu unterhalten. Ihm selbst war es ja, da er weder schreiben noch lesen, noch mit jemanden sprechen durfte, wie eine Erlösung, wenn er sich wenigstens mittėilen konnte... Er äußerte mir gegenüber nie Reue über seine Tat, im Gegenteil, er erklärte, er hätte sie auch begangen, wenn er die furchtbaren Auswirkungen des Attentats, die Entfesselung des Weltkrieges, geahnt hätte... Seinem Schicksal mit großer Geduld ergeben, hatte er mit allen irdischen Dingen abgeschlossen und sah mit skeptischer Ruhe seinem baldigen Ende entgegen ...

Während der zweijährigen Haft war ihm ein langer Bart gewachsen, so daß er um zehn Jahre älter aussah. Als ihm der Bart abgenommen war, hatte ich ein ausdrucksvolles, intelligentes, jugendliches Gesicht vor mir. Der schlanke, grazile Körper Princips hatte den typischen tuberkulösen Habitus. Wie schon erwähnt, war die Brust mit vielen handtellergroßen tuberkulösen, stark eiternden Geschwüren bedeckt. Das rechte Ellbogengelenk war von der Tuberkulose so zerstört, daß Oberund Unterarm mit einem Silberdraht zusammengehalten werden mußte. Warum den Ärzten die Amputation des Unterarms, der gänzlich wertlos war, verboten wurde, kann ich mir heute noch nicht erklären.

Princip kam gewöhnlich jeden zweiten Tag zu mir in den Operationsraum zum Verbandwechsel. Da der ganze Oberkörper verbunden werden mußte, benötigte ich zu diesen Verbänden mehr Verbandsmaterial als für fünf verwundete Soldaten...“

Princip starb noch vor dem Kriegsende, er erlebte die Verwirklichung seines nationalen Traumes nicht. Das Grauen, das er durch seine Schüsse heraufbeschworen hatte, war auch über ihn gekommen. ENDE

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