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Weltgeschichte — ein Weltgericht

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VII. Das Zerwürfnis zwischen Regierung und „Schwarzer Hand“ — Prozeß und Justifizierung in Saloniki Serbien bestraft seine Attentäter

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VII. Das Zerwürfnis zwischen Regierung und „Schwarzer Hand“ — Prozeß und Justifizierung in Saloniki Serbien bestraft seine Attentäter

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Kaum einer der Gegner des alten Habsburgerreiches hatte bis zur Stunde, da der erste Weltkrieg über Europa hereinbrach, daran gedacht, daß der Völkerstaat Oesterreich- Ungarn durch vier Jahre in Siegen und Niederlagen die schwerste Bestandprobe ablegen und schließlich an der Seite des Deutschen Reiches durch die ungeheure Ueber- macht der gegnerischen Verbündeten und eine bisher in dem militärischen Ehrenkodex der zivilisierten Welt verpönte Watte, eine Hungerblockade, die auch Nichtkombattanten, das ganze Volk bis zum Kinde in der Wiege; traf, überwältigt würde. Es war zuvor schon eine Redensart gewesen, daß nach dem Tode Kaiser Franz Josephs das Reich aus dem Innern heraus zerfallen würde. Aber das alte Reich bewies eine innere Widerstandskraft, die alle Berechnungen seiner Widersacher durchkreuzte. Bevor noch gegen den Habsburgerstaat auf den Schlachtfeldern die Würfel fielen, mußte das zaristische Rußland seinen gewaltsamen Absturz in den Bolschewismus und der serbische Balkanstaat die tiefste Demütigung in einer nationalen Katastrophe durchleben.

1916 waren die Siegesträume der Belgrader Verschwörergesellschaften in blutigen Schäumen zerronnen. Die Trümmer der zerschlagenen serbischen Armee waren, umschwärmt von albanischen Freischärlern, über die winterlichen albanischen Berge auf qualvollen Märschen an die Adria geflüchtet. Auf Korfu hatten die serbische Regierung und die Belgrader Skup- stina, soweit ihren Mitgliedern das Entkommen aus dem Debakel gelungen war, Unterstand gefunden, auf der Insel sammelte man auch die serbische Armee zur Retablierung, um sie von hier aus nach und nach in die Saloniki- Front der Entente einzuteilen. Dieses seltsame „Serbien im Ausland" trug eine unheimliche Last mit sich. Schwere Zerwürfnisse zwischen den Zivilgewalten und der Armee hatten Serbien schon 1914 in zwei feindliche Lager gespalten. Mit der Regierung, die gestützt war auf die Radikale Partei, rang in dem sogenannten Prioritätsstreit um den Vorrang und um die oberste Macht im Staate das Offizierskorps, in dem die alte militärische Verschwörerpartei die erste Rolle spielte. Die Gegensätze hatten sich 1916 auf das äußerste verschärft. Heftige Korruptionsbeschuldigungen richteten sich gegen die Regierung, zumal gegen den Ministerpräsidenten Pasic, dem vorgehalten wurde, daß er um ein Spottgeld große bisherige türkische Ländereien und Liegenschaften an sich gebracht habe. Der Ministerpräsident und die Männer seiner politischen Umgebung hatten diesmal Grund, sich persönlich vor den Terroristen zu fürchten, die um den alten Verschwörer und Führer in der Mordnacht des Juni 1903, Oberst Dragutin Dimitrijevic, geschart waren. Es reifte bei der Regierung der Entschluß, diese gefährliche Gesellschaft, die da im Finsteren über neuen Anschlägen brütete, unschädlich zu machen, sie als Feinde der staatlichen Ordnung und des Hochverrates anzuklagen. Keine bessere Gelegenheit, als jetzt, da die an der Saloniki-Front im Raume der Entente-Armee bestehenden geordneten Verhältnisse ein Vorgehen gegen die Unruhestifter und Terroristen gestatteten. Ueberfalls- artig wurden ihre Führer verhaftet. Es gelang der Regierung Pasic mit einem Schlag, die Geheimgesellschaft „Vereinigung oder Tod" — „Die Schwarze Hand" — ihrer Köpfe zu berauben. Glaubhaft haben spätere Kommentare in dem Vorgehen der Regierung gegen die „Schwarze Hand" als eines der Motive die Absicht des Ministerpräsidenten Pasic gefunden, nun, da Anfang 1917 die Rede ging von einem seitens Oesterreich-Ungarn zu erreichenden Sonderfriedens für Serbien, eine günstigere Situation dadurch zu gewinnen, daß man die Organisatoren des Mordkomplottes von Sarajewo der Justiz ausliefere, ihnen rücksichtslos den Prozeß mache und damit die Forderung der österreichischen Begehrnote nach gebührender Bestrafung der Schuldigen erfülle. Pasic hatte einen Verbündeten in dem Kronprinzen Alexander, der noch vor ein paar Jahren mit den Häuptlingen der „Schwarzen Hand" auf mehr als nur auf recht gutem Fuße gestanden und ihnen seine Sympathien gezeigt hatte; er war es ja gewesen, der kurz nach Entstehen des Bundes „Vereinigung oder Tod" diesem ein Wiegengeschenk mit der Widmung von 28.000 Dinar zur Gründung der Zeitung „Pijemont" gemacht hatte. Aber nun hatte er es mit der Angst bekommen. Ob die Schüsse, die am 29. August 1916 bei dem griechischen Dorf Ostrowo an der Saloniki-Front über das Auto des Kronprinzen hinweggegangen waren, ein wirklicher Mordanschlag gewesen waren oder ein zweckdienliches Theater für die Regie des planreichen Ministerpräsidenten Pasic, ist eine von Zweifeln umdunkelte Affäre geblieben. Aber sie genügte, die Häupter der rebellischen Prätorianeroffiziere auf die Anklagebank zu bringen, vor das Militärgericht, das, neu zusammengesetzt und mit besonderen Aufträgen seitens des Ministerpräsidenten und des Justizministers für seine Aufgabe ausgerüstet, in Saloniki am 20. März 1917 zusammentrat.

Im Mittelpunkt des Prozesses stand Dimitrijevic, der mächtige Dirigent der „Schwarzen Hand". Der offiziöse Historiker der Regierung, der Belgrader Universitätsprofessor Stanoje Stanojevic, widmete in einer 1923 erschienenen Broschüre diesem Gründer der „Schwarzen Hand" eine Charakteristik, die dem Angeklagten schöne männliche Eigenschaften nachsagt, aber doch beifügt, er sei „eingebildet, affektiert und ehrgeizig" gewesen; Stanojevic weiß auch von einem ganzen Verbrechenregister des Generalstabsobersten zu berichten: Mit Major Tankosic, diesem düsteren Burschen, der, ein Schrecken aller anständigen Menschen, bei jeder blutigen Affäre dabei war und immer auch in Offiziersuniform ein mazedonischer Bandenführer blieb, habe Dimitrijevic eine ganze Reihe von Verschwörungen und Attentaten in Szene gesetzt, so das Komplott gegen das Königshaus Obrenovic 1903, eine Verschwörung „gegen den österreichischen Kaiser und Thronfolger" im Jahre 1911, ferner das Attentat von Sarajewo sowieden Anschlag auf den bulgarischen König Ferdinand im Jahre 1914 und das Attentat auf den griechischen König Konstantin, zuletzt aber auch auf' den serbischen Thronfolger Alexander im Jahre 1916.

Nur gelegentlich streifte die Prozeßführung in Saloniki, ganz auf die Fakten der Anklage: „Hochverrat und Mordanschlag auf den Kron-prinzen Alexander" gerichtet, am Rande das Verbrechen von Sarajewo, denn es sollte ja der Fiktion gedient werden, daß Serbien wenig mit dieser „ausländischen bosnischen Angelegenheit" zu tun habe. Aber auch die episodenhaften Berührungen im Prozeß erbrachten für die Geschichte um das Drama von Sarajewo wichtige Ergänzungen, so durch die schon berichtete Vorlage eines Notizbuches aus dem Jahre 1911, in dem von einem in Wien von dem Studenten Peter N i n k 0 v i c auszuführendes Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand die Rede war.

Als im Laufe des Saloniki-Prozesses Dimitrijevic wahrnimmt, daß seine intimen Mitarbeiter mit ihren Aussagen in der Einvernahme weit gegangen waren, entschließt er sich am 28. März 1917 zu einem schriftlichen Teilgeständnis, mit dem der fanatische serbische Patriot das offizielle Serbien — vermutlich auch seine Dynastie — entlastet und „die größte Schuld an all den Erschütterungen, die sich zugetragen haben", sich selbst zumißt. Er machte folgende interessante Angaben:

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