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Weltgeschichte ein Weltgericht

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So ist denn die mörderische Apparatur der „Schwarzen Hand“ aufgerichtet. Das benötigte Personal ist beisammen. Gavrilo Princip empfängt durch die Aufnahme in die „Crna ruka“ noch den letzteii Ansporn für seinen verbrecherischen Ehrgeiz. In einer intimen Verschwörerkonferenz — merkwürdig genug in Toulouse — oder war es in Tours, wie spätere Prozeßakten sagen? — werden die letzten Beschlüsse gefaßt. Das Datum der Tat ist der Auswahl der besten Gelegenheit überlassen. Da macht die Nachricht von dem Kommen des Erzherzogs Franz Ferdinand zu den Manövern in Bosnien den letzten Ungewißheiten ein Ende. Er — um dessen Gestalt die serbische Presse ein giftiges Spinnengewebe gezogen hat: „Feind des serbischen Volkes“, „Hasser der Slawen“, „Haupt der militärischen Clique, die Serbien überfallen und den serbischen Staat zertreten will“, ist für den 28. Juni zum feierlichen Empfang in Sarajewo angesagt. Jetzt gilt es! Die Führer des geplanten Anschlages sind bereit. Sie wissen, wer Franz Ferdinandist — besseralsdraußen die Menge. E ü r sie ist er der gefährliche Reformer, der einen großen Bund der autonomen Völker des Donauraumes im Habsburger Reiche aufbauen will. Aber sie, die Vollstrecker der großserbischen Idee an der Seite Rußlands denken an eine andere Zukunft. Caprinovic sagt am 13. Oktober als Angeklagter im Sarajewoer Prozeß von Franz Ferdinand: „Ich hielt ihn für einen Mann der Arbeit, der als künftiger Herrscher bestimmte Ideen und Reformen durchführen wollte, die uns im Wege Stande n.“

Deshalb mußte er weggeräumt werden. Und der Mordgehilfe freut sich noch im Gerichtssaal offen der vollbrachten Tat.

Der 28. Juni, für den der Besuch des Thronfolgers in der bosnischen Hauptstadt auf dem Programm stand, war dem Organisator des Attentats, Generalstabsoberst Dimitrijevic, erwünscht wie kein anderer

Wer dachte in Wien daran, daß der 28. Juni der makabre Gedenktag war, der „Vidovdan“, der nach serbischem Volksbrauch als Erinnerungstag an die Schlacht auf dem Amselfelde, dem Kossowo, begangen wird, an jene Schlacht, durch die am 28. Juni 1389 das mittelalterliche Balkankönigreich der Serben von der siegreichen Heeresmacht des Sultans Murad zerstört wurde? Aber schon am gleichen Tage wurde der Sultan von dem serbischen Gefangenen Milos Obilic, dem Rächer der Schande, in seinem Zelte ermordet. Zum serbischen Nationalheros erhoben, wurden Obilic und seine Tat in der großserbischen Mythologie der Jugend als Beispiel vor Augen gestellt. t

So konnte es auch nicht fehlen, daß die großserbische Propaganda auch im Auslande das Verbrechen von Sarajewo sofort mit dem blutrünstigen Mythos um den „Vidovdan“, dem Tag der Rache, verklärte, es Oesterreich-Ungarn als grobe Herausforderung anlastete, für den Einzug Franz Ferdinands in Sarajewo zur Demütigung des serbischen Volkes gerade diesen Tag gewählt zu haben. Und waren nicht die unter dem Oberbefehl Franz Ferdinands stehenden Manöver auf der Annahme eines Angriffs der österreichungarischen Truppen gegen Serbien auf gebaut gewesen? — So ging die Hetze. Tatsächlich führte der Erzherzog nicht den Oberbefehl, und die militärischen Ausgangspositionen waren — heute noch nachweisbar aus den erhalten gebliebenen militärischen Skizzen — gegen Südwesten, dem Meere zu, ausgerichtet. Die Manöver vollzogen sich im Raume von -Konjica mitten in Bosnien, von der serbischen und montenegrinischen Grenze je 100 Kilometer weit entfernt, mit der Aufgabe, den Ivansattel zum Schutze von Sarajewo gegen eine von Mostar her sich nähernde feindliche Kraft zu halten. Mit jedem Satz schlug die Propaganda der Wahrheit ins Gesicht.

Im Morgenglanz eines wolkenlosen Junitages, prangend im reichen Fahnenschmuck, lag am Sonntag, den 28. Juni 1914, die schöne bosnische Hauptstadt. Die Manöver waren tagszuvor abgeschlossen worden. In dem „Hotel Bosna“ des der Hauptstadt nahegelegenen Badeortes Ilidze hatte das Thronfolgerpaar Quartier genommen. Herzogin Hohenberg hatte gleich am Tage ihrer Ankunft, am 25. Juni, eine Autofahrt nach Sarajewo gemacht, hatte die Domkirche besucht und in der Carsija, mitten in dem malerischen Marktgedränge der offenen Verkaufsstände kleine Einkäufe für ihre Kinder gemacht, überall von der Bevölkerung sehr freundlich begrüßt. Frohen Sinnes kehrte sie nach Ilidze zurück, sie fuhr auch während der zwei nächsten Tage, nur von ihrer Gesellschaftsdame Gräfin Lanjus begleitet, in die Stadt und besichtigte mehrere Schulen und Wohlfahrtseinrichtungen. Am folgenden Sonntag trat nach einem Gottesdienst in Ilidze der Thronfolger mit seiner Gemahlin die Fahrt zum Empfang in der bosnischen Hauptstadt an. Die folgenden Stunden eröff-

neten eine welthistorische Katastrophe.

Die Begebenheiten dieses Tages sind so oft, auch jüngst noch, geschildert worden, daß sich die vorliegenden Aufzeichnungen auf einige weniger bekannte Details beschränken. Bei dem ersten Anschlag, als das hinter dem Wagen des Thronfolgerpaares krepierende Wurfgeschoß sechzehn Personen der Begleitung und des Publikums verwundet hatte, waren der Erzherzog und seine Gemahlin unverletzt geblieben. Die Herzogin Hohenberg war von einem kleinen Splitter im Gesicht leicht gestreift worden. Trotz des über- standenen Erlebnisses setzte das erzherzogliche Paar die Fahrt zu der geplanten Besichtigung des Rathauses fort. Die Herzogin machte dort einer im ersten Stock versammelten Gesellschaft moslimischer Damen einen Besuch. Im ersten Augenblick, unter dem Eindruck des Geschehnisses noch etwas befangen, gewann sie rasch ihre natürliche Liebenswürdigkeit wieder. Als sie sich verabschiedete, trat die Gattin des Landtagspräsidenten B a s a g i c auf die Herzogin zu mit den Worten: „Wie schön, wie lieblich bist du! Wir haben uns mit dir so gefreut! Komm doch oft, recht oft wieder zu uns!“ Die Herzogin war von den Worten, die man ihr übersetzte, sichtlich ergriffen.

Eine halbe Stunde später, auf der Rückfahrt vom Rathaus, trafen sie und ihren

Gemahl an der Lateinerbrücke über die Miljacka die tödlichen Schüsse des zweiten Attentäters, Gavrilo Princip

Der Erzherzog hatte, wie Dr. Andreas Baron M o r s e y in der „Reichspost“ (28. Juni 1924) berichtete, ihn, seinen Dienstkämmerer, mit dem Befehl in den ersten

Stock geschickt, nach dem Besuch der Herzo gin bei den moslimischen Damen ihr die Botschaft zu überbringen, sie möge nicht die weitere Wagenfahrt mitmachen, sondern in dem Wagen des steirischen Industriellen Grein in den Konak oder nach Ilidze zurückfahren. Die Herzogin antwortete freundlich, aber bestimmt: „Solange sich heute der Erzherzog in der Oeffent- lichkeit zeigt, verlasse ich ihn nicht!“ Sie ahnte eine neue Todesgefahr, aber sie wollte sie mit dem Gatten teilen. Inmitten dämonischer Gewalten die bis in den Tod getreue christliche Frau

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