Gewitterwolken über der Kaiservilla

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Nach der Überführung des in Sarajevo ermordeten Thronfolgerpaares nach Schloss Artstetten stand für die damalige politische Elite eine drängende Frage im Raum: Wie sollte Österreich-Ungarn auf diesen heimtückischen Mord letztendlich reagieren? Graf Leopold Berchtolds Kabinettchef im k. u. k. Ministerium des Äußeren, Alexander Graf Hoyos, wurde nach Berlin entsandt, um zu klären, wie der deutsche Verbündete die höchst angespannte Situation einschätzte. Nebst anderen Kontakten sprach Hoyos auch mit Reichskanzler Bethmann Hollweg, der Hoyos im Namen des Kaisers versicherte, dass Deutschland der Monarchie den Rücken decken und seine Bündnispflicht in jeder Hinsicht, auch im Falle einer drohenden europäischen Komplikation, erfüllen werde. Im deutschen Kaiserreich war man zu diesem Zeitpunkt allerdings der Ansicht, dass ein möglichst zeitnahes militärisches Losschlagen der Österreicher von allen anderen Großmächten noch klar im Zusammenhang mit der Ermordung des Thronfolgers als eine Art "Straffeldzug" gesehen werden würde -und demnach sich Russland durch ein militärisches Eingreifen nicht auf das "Schutzbündnis" mit Serbien berufen könnte.

Euphorische Stimmung in Serbien

In Belgrad war man sich der gefährlich-heiklen Lage durchaus bewusst, und die königliche Regierung bemühte sich, irgendwie "guten Willen" zur Kooperation zu demonstrieren. Dabei blieben jedoch die serbischen Verantwortlichen unverbindlich, da sie weder den in den Mord verwickelten Geheimdienstchef bloßstellen, noch offiziell eingestehen wollten, dass sich direkt unter den Augen der Regierung ein nationalradikales Netzwerk etabliert hatte, das mit dem klaren Ziel der Schädigung Österreich-Ungarns unterwegs war. Die euphorische Stimmung in der Bevölkerung ließ sich durch die Beileidstelegramme und die Ausrufung der Hoftrauer des Königs Petar I. von Serbien und des Königs Nikola von Montenegro nicht übertünchen: In beiden Ländern herrschte Begeisterung darüber, dass der Doppelmord in Sarajevo gelungen war. In Belgrad wusste man auch recht bald, wer die Bomben und Pistolen für die Attentäter beschafft hatte, sah jedoch offensichtlich keine Veranlassung, die serbischen Verantwortlichen zu verhaften, geschweige denn, dass gegen die radikale nationalistische Geheimorganisation "Narodna Odbrana"(Volkswehr) gezielt vorgegangen worden wäre.

Am 19. Juli wurde im "gemeinsamen Ministerrat" der definitive Text des Ultimatums an Belgrad beschlossen. Mit dieser geringen Friedenschance war auch der Widerstand des einflussreichsten Kriegsgegners, des ungarischen Ministerpräsidenten Graf Tisza, geschwunden. Am 23. Juli übergab Wladimir Freiherr Giesl von Gieslingen, der österreichisch-ungarische Gesandte in Belgrad, die "befristete Begehrnote" der serbischen Regierung.

Damit hatte der Kaiser auch eine weit schärfere Formulierung des Ministeriums betreffend den Punkt 6 der "Begehrnote" akzeptiert, die lautete: "Die königlich serbische Regierung verpflichtet sich, eine Untersuchung gegen jene Teilnehmer des Komplottes vom 28. Juni einzuleiten, die sich auf serbischen Territorium befinden; von der k. u. k. Regierung hierzu delegierte Organe werden an den bezüglichen Erhebungen teilnehmen." Es ging also nicht darum, österreichische Organe an der serbischen Rechtsprechung teilnehmen zu lassen, wie das die serbische Regierung in ihrer Antwortnote anklingen ließ, sondern nur um die Teilnahme an der Untersuchung. Von der vielfach behaupteten "Verletzung" der serbischen Verfassung bzw. des serbischen Strafprozessgesetzes konnte daher keine Rede sein! Im übrigen hatte es Österreich-Ungarn 1868 -nach dem Mord am serbischen Fürsten Mihailo III. - serbischen Beamten ermöglicht, auch auf dem Gebiet der Monarchie Erhebungen durchzuführen.

Was man in Wien und Bad Ischl jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, war die Tatsache, dass Russland Serbien seine militärische Unterstützung schon vor Ablauf des Ultimatums zugesichert hatte und keinesfalls so unvorbereitet war, wie man glauben mochte.

Wiederum nahm Berchtold Legationsrat Graf Hoyos mit nach Bad Ischl, in dessen Begleitung er am 25. Juli um 15.45 Uhr, also noch einige Stunden vor Ablauf des Ultimatums, eintraf. In Berchtolds Reisetasche lag der vorbereitete Entwurf zu jenem Papier, das die Alte Welt vernichten sollte: die Kriegserklärung an das Königreich Serbien. Die Spannung stieg Stunde um Stunde, denn die Frist für das Ultimatum lief um 18 Uhr ab. Um etwa 18.30 Uhr läutet in Ischl im Arbeitszimmer des Flügeladjutanten Oberst von Margutti das Feldtelefon. Am anderen Ende der Leitung vermeldet der Flügeladjutant des Kriegsministers: "Unmittelbar vor 6 Uhr wurde unserem Gesandten in Belgrad die serbische Antwortnote überreicht. Der Gesandte hat sie für unannehmbar befunden und unverzüglich mit seinem Personal Belgrad verlassen."

"Ich kann nicht anders"

Da Margutti Berchtold nicht erreichen konnte, eilte er in die Kaiservilla und wurde bei Franz Joseph avisiert: "Fragenden Blickes kam mir der Kaiser entgegen. Ich meldete, was ich soeben aus Wien erfahren hatte. Mit fest auf mich gerichteten Augen und starrer Miene hörte mich der Kaiser an. Dann sagte er mit einer umflorten, gedrosselten Stimme, die sich kaum durch die Kehle durchkämpfen vermochte und die mir bei ihm ganz ungewohnt war: 'Also doch!' [ ] Nunmehr überlas der Kaiser noch einmal das Blatt mit der Belgrader Nachricht, um schließlich, wie im Selbstgespräche, aber laut und vernehmlich zu sagen: 'Nun, der Abbruch der diplomatischen Beziehungen bedeutet noch immer nicht den Konflikt.' - Also selbst in dieser Stunde war der Kaiser unleugbar von der Hoffnung beseelt, dass der Krieg doch noch zu vermeiden sein würde." Manfried Rauchensteiner ist hingegen überzeugt, dass die Schilderung dieses Augenzeugen wohl "eine der vielen nachträglichen Beschönigungen" gewesen sein müsse.

Zurück zur Stunde der Entscheidung in Ischl: Berchtold vermerkt in seinen Aufzeichnungen, dass es nun für den Kaiser "kein Schwanken" mehr gab. Kriegsminister Krobatin berichtet hingegen, dass der Kaiser lange gezögert habe, ehe er den Befehl zur Mobilmachung gegeben habe. Um 21.30 Uhr erreichte der "Allerhöchste Befehl für den Kriegsfall B" das Büro von Generalstabschef Conrad im k. u. k. Kriegsministerium. Die Würfel waren gefallen, oder wie der Kaiser seine Entscheidung gemäß Krobatin formuliert hatte: "Ich kann nicht anders."

Graf Berchtold hatte der Entschlusskraft des Kaisers zur Unterschrift doch nicht ganz über den Weg getraut. Denn zwei Tage zuvor hatte er Franz Joseph eine überzeugend formulierte "Fehlmeldung" untergeschoben: Serbische Soldaten hätten bereits bei der Ortschaft "Temes-Kubin" das Feuer auf k. u. k. Truppen eröffnet. Der Hinweis auf dieses Gefecht wurde auch in den Text der Kriegserklärung aufgenommen. Berchtold kam am 26. Juli von Bad Ischl gemeinsam mit Hoyos nach Wien zurück und ließ die Passage über Temes-Kubin aus der sodann Serbien übermittelten formellen Kriegserklärung ganz einfach verschwinden. Erst einen Tag nach Absendung der Kriegserklärung, demnach am 29. Juli, meldete Graf Berchtold dem Kaiser den tatsächlichen Sachverhalt. Bedenklich war, dass 48 Stunden lang niemand daran gedacht hatte, den Allerhöchsten Kriegsherren darüber zu informieren, dass die von ihm unterzeichnete Kriegserklärung nachträglich manipuliert worden war! Dieser Vertrauensbruch blieb jedoch ohne Folgen.

Am frühen Morgen des 30. Juli 1914 verließ Kaiser Franz Joseph die Kaiservilla um nach Wien zu reisen. Um Punkt 7 Uhr dampfte der Zug aus der Station. Das Pfeifsignal des Zuges beim Überrollen der Traunbrücke bedeutete nicht nur für Bad Ischl ein Memento für das Ende einer glänzenden Epoche: Nach 66 Jahren in Bad Ischl wurde es auch des Kaisers Abschied vom "geliebten Ischl" für immer

Fataler Bündnismechanismus

Nun setzte ein fataler Mechanismus der schlagend gewordenen Bündnisse ein. Doch während die Entente ihre Gruppierung voll zum Einsatz bringen konnte, fielen für den Dreibund sowohl Italien, als auch das de facto verbündete Rumänien aus.

Es war schließlich die Donauflottille der k. u. k. Kriegsmarine, die den Krieg tatsächlich beginnen und die ersten Granaten auf serbisches Gebiet abfeuern sollte. Die "Klar zum Gefecht"-Meldung war für den 29. Juli festgelegt worden: Drei Monitore und Patrouillenboote sollten knapp nach Mitternacht bei Semlin (Grenzort und Zollstation, heute Zemun) auslaufen. Dann, rund zwanzig Minuten nach 2 Uhr des 29. Juli, hatten sich die Monitore "Temes","Bodrog" und "Számos" auf der Donau talwärts bis zur Einmündung der Save fahrend, Belgrad nach Bewältigung einiger Probleme so weit genähert, dass sie auf eine Distanz von rund 3,5 Kilometern die ersten vier 12-cm-Granaten dieses Krieges auf die serbische Seite abfeuern konnten. Um etwa 4 Uhr früh schossen sodann die Serben von den Festungswällen Belgrads zurück. Die Monitore wiederum antworteten mit Schrapnells. Im aberwitzigen Gegensatz zu den relativ geringen Schäden, welche die paar Zündgranaten in dieser Nacht angerichtet hatten, zerstörten die nachfolgenden Abermillionen großkalibrigen Geschosse das alte Europa. Der Feldzug gegen Serbien hatte - zunächst scheinbar eher harmlos - begonnen.

Der Autor, geb. 1948 in Bad Ischl, ist Geschäftsführer einer PR-Agentur, Publizist, Militärhistoriker sowie Ehrenritter des Souveränen Malteser Ritterordens

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