7029619-1989_25_10.jpg
Digital In Arbeit

In der Falle der Bündnissysteme

Werbung
Werbung
Werbung

Niemand wird je mit Sicherheit behaupten können, daß ein Krieg, der schon in den ersten Julitagen ausgebrochen wäre, nicht ausgeartet wäre. Es ist allerdings wahrscheinlich, daß das Risiko eines allgemeinen Weltenbrandes dann geringer gewesen wäre. Die österreichisch-ungarische Monarchie hätte den Überraschungseffekt auf ihrer Seite gehabt. Vor die vollendete Tatsache einer Invasion Sej> biens gestellt, hätte Rußland es wahrscheinlich bei einem Protest belassen. War aber erst einmal eine gewisse Zeit verstrichen, wurde dieser Ausgang von Tag zu Tag unwahrscheinlicher. Die Großmächte faßten sich, und die Gruppierungen bildeten sich wieder. Von da an konnten die Chancen der Monarchie, eine europaweite Ausbreitung der Krise zu verhindern, nur noch schwinden.

Erst am 19. Juli wurde der Entwurf eines Ultimatums im Ministerrat diskutiert. Die der Belgrader Regierung gestellten Forderungen zielten auf die Gewährleistung der Sicherheit der Monarchie ab. Würden sie befolgt werden, käme dies aber auch einer Ausschaltung Serbiens als politischer Machtfaktor gleich. Es wurde verlangt, daß Serbien zunächst öffentlich Abbitte leisten und später drastische Maßnahmen eigreifen sollte, um die Fortsetzung feindlicher Umtriebe gegen Österreich-Ungarn zu verhindern, all dies unter der strengen Kontrolle der Doppelmonarchie.

Belgrad akzeptierte acht der zehn Forderungen, allerdings nicht ohne diese in abschwächender Form abzuändem. Die Serben lehnten aber jene Bedingungen ab, die sie als Verletzung ihrer Souveränität betrachteten, es war dies in erster Linie das Eingreifen von österreichisch-ungarischen Beamten in Serbien. Nach dieser seiner Meinung nach unbefriedigenden Antwort hatte Baron Giesl (der österreichische Gesandte, Red.) augenblicklich die diplomatischen Beziehungen abgebrochen und unverzüglich Belgrad verlassen. Die serbische Regierung ihrerseits hatte die Generalmobilmachung verfügt, außerdem hatten Regierung und Hof beschlossen, 6ich aus der grenznahen Hauptstadt nach Nis zurückzuziehen.

Während man nach dem Attentat drei Wochen verstreichen ließ, bevor man reagierte, vergingen nun nur drei Tage zwischen dem Mobilisierungsbefehl und der Kriegserklärung an Serbien. Am 28. Juli klammerte die österreichisch-ungarische Führung sichnoch an die Hoffnung, eine Ausbreitung des Konfliktes könnte vermieden werden. Doch bereits nach 24 Stunden zwangen die Ereignisse sie, ihre Meinung zu ändern. Denn schon am 29. Juli reagierte Rußland auf die Wiener Entscheidving mit der Mobilisierung von dreizehn Armeekorps.

Es muß festgestellt werden, daß die Verantwortlichen der Monarchie die Reaktionsfähigkeit Rußlands unterschätzt hatten. Selbst wenn sie nicht von den Abmachungen zwischen St. Petersburg und Belgrad gewußt hätten, hätte die

Zurückweisung des Ultimatums sie aufhorchen lassen und den Gedanken nahelegen müssen, daß sich die Serben vor der Formulierung ihrer Antwort einer deutlichen Unterstützung versichert hatten. Zweifellos sprach eine ganze Reihe von rationalen Argumenten gegen einen Kriegseintritt Rußlands. Ein neuerlicher Krieg könnte den Weg für die Revolution bereiten, könnte sogar den Fortbestand ihres Reiches gefährden.

Im Augenblick aber wurde diesen Argumenten wenig Gewicht beigemessen. Es überwog die Angst, das Ansehen Rußlands könnte unwiderruflich zerstört werden, wenn man zuließe, daß Österreich-Ungarn Serbien vernichtete. Nachdem die Russen schon 1909 und 1913 den Serben ihre Militärhilfe verweigert hatten, glaubten sie, sich keinen neuerlichenRückziehererlaubenzu können.

Unavisweichlich nahm das Schicksal seinen Lauf. Das Gefüge der einzelnen Allianzen wurde durch die Krise aktuell, und daraus entwik- kelten sich die Konsequenzen. Von Anfang an hatte Deutschland Österreich-Ungarn Unterstützung zugesichert. Angesichts der Gefahr einer großräumigen Ausweitung des Konfliktes schienen die Deutschen zwar zunächst zu zögern, die Zweifel wurden aber sofort zerstreut, als Rußland die Generalmobilmachung verfügte und der Konflikt dadurch eskalierte. Frankreich hätte die Möglichkeit gehabt, Rußland zurückzuhalten, indem die Franzosen zu verstehen hätten geben können, daß sie nicht in einen Krieg ein treten würden, bei dem keine lebenswichtigen Interessen Frankreichs auf dem Spiel stehen würden. Sie hatten jedoch bereits anläßlich der bosnischen Krise in dieser Richtung in St. Petersburg interveniert Man könnte diese Geste nun nicht wiederholen, ohne das Bündnis mit Rußland zu gefährden.

Antwort erhalten hatte, erklärte Deutschland Rußland den Krieg. Frankreich hatte sich darauf beschränkt, lakonisch zu antworten, man würde im Falle eines deutschrussischen Konfliktes den französischen Interessen gemäß handeln. Dem mußte man entnehmen, daß die Franzosen ihr Abkommen mit Rußland einhalten würden. Folglich erklärte Deutschland am 3. August Frankreich den Krieg. England seinerseits hatte nie verhehlt, daß man nicht untätig Zusehen würde, falls Deutschland Frankreich angreifen würde. Die Verletzung der belgischen Neutralität durch die Ausführung des Schlief- fen-Planes beseitigte die letzten Zweifel. Der Kreis schloß sich, als Österreich Deutschland folgte und am 6. August Rußland den Krieg erklärte.

Gekürzt au : „Franz Joseph - Der letzte Monarch der alten Schule von Jean Paul Bled. Böhlau Verlag, Wien 1968.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung