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Der Klub der Sterne

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1968 sagte Malraux vor einer Wahl, bei der es für oder gegen de Gaulle ging: „Frankreich muß sich entscheiden: für de Gaulle oder die Kommunisten.“ Der ehemalige Spanienkämpfer und Linssozialist Malraux hätte noch hinzufügen müssen: „Rußland hat sich bereits entschieden: für de Gaulle und gegen die Kommunisten.“ Die Nichteinmischung Rußlands in den damaligen französischen Wahlkampf war evident und so mußten denn die französischen Kommunisten die bittere Pille schlucken und als Verlierer aus dem Wahlkampf gehen. Die Entscheidung Rußlands war, so merkwürdig es klingt, vom russischen Standpunkt aus richtig: ein graullistisches Frankreich war für die Sowjetunion ein viel sicherer Partner als ein kommunistisches Frankreich, das vom Bürgerkriegsfieber durchschüttelt worden wäre. — Diesmal könnte Malraux sagen, die USA hätten sich für oder gegen Nixon zu entscheiden. Die Sowjetunion hat sich bereits entschieden: nämlich für Nixon.

Nixon kann in seine Heimat mit der Gewißheit zurückkehren, daß er den Wahlkampf im Spätherbst gewinnen wird. Denn er bringt von dieser Reise nicht nur ein Bündel von Verträgen ein, er bringt viel mehr nach Hause. Die Sicherheit, daß es zwischen den USA und der Sowjetunion keinen Krieg geben wird. Mit anderen Worten: daß ein dritter Weltkrieg der Welt erspart bleibt.

Was zwar nicht prophezeit werden konnte, aber was jeder, der die Geschichte der USA und die Geschichte Rußlands kennt, vorausberechnen konnte, ist eingetreten: die beiden Weltmächte haben sich geeinigt, einen gemeinsamen Klub zu gründen, in dem gewisse Verkehrsregeln gelten sollen. Der rote Stern — Rußland — und der weiße Stern — das Zeichen der USA — sind übereingekommen, um es auf eine kurze Formel zu bringen, keinen Krieg zu führen, zumindest vorderhand. Zumindest so lange, als Nixon Präsident ist. Sicherstes Zeichen für diese Übereinkunft ist die Rüstungsbeschränkung, zu der sich beide verpflichten. Wenn zwei Mächte gleich stark sind, beginnt keine von ihnen einen Krieg. Denn nur dann, wenn eine Macht glaubt, daß sie stärker ist als die andere, geht sie auf das Wagnis eines Krieges ein. Das ist ein uralter Grundsatz jeder Politik. Und damit auch Nebenkriegsschauplätze in der Welt nicht zum Funken im Pulverfaß werden, sind die beiden Mächte übereingekommen, auch auf den Meeren keine bewaffnete Konfrontation zu unternehmen. Unwillkürlich denkt man an den Minengürtel, den die USA vor den nordvietnamesischen Häfen gelegt haben, der somit eigentlich von der Sowjetunion akzeptiert wurde. Damit gewinnen die Gerüchte, die besagen, daß dieser Minengürtel, nicht ohne vorherige Konsultation der Sowjetunion gelegt wurde, an Wahrscheinlichkeit. Durch diese Übereinkunft geben sich die beiden Klubmitglieder die Versicherung, daß jeder die Freiheit hat, an Nebenkriegsschauplätzen sich einzumischen, daß aber diese Nebenkriegsschauplätze niemals zu Keimzellen eines neuen Weltkriegs werden dürfen. Die beiden Klubmitglieder geben einander somit die Chance, das Gesicht nicht zu verlieren (und denken dabei eigentlich nicht an die vielen Menschen, die, zum Beispiel in Vietnam, nicht ihr Gesicht, sondern ihr Leben verloren haben).

Die Entscheidung Rußlands für

Nixon ist ebenso verständlich wie seinerzeit die Entscheidung Rußlands für de Gaulle. Rußland ging in die Gespräche mit Nixon hinein knapp nach Abschluß der Ostverträge. Es hatte endlich das erreicht, was es 25 Jahre vergeblich zu erreichen versuchte: Es hatte seine Westgrenze international gesichert. Die Wiedervereinigung Deutschlands ist so gut wie unmöglich gemacht, außer, sie erfolgt einmal von der DDR aus. Ost-Berlin ist endgültig geopfert. West-Berlin keine Gefahr, sondern höchstens ein wertvoller Brückenkopf für die Sowjetunion. Die Politik der drei skandinavischen Musketiere, Palme, Brandt und Kreisky, wird es vielleicht möglich machen, von Schweden über Westdeutschland bis Österreich dereinst eine neutrale Zone vor das Festungsfeld Rußlands zu legen.

Die Entscheidung Rußlands für Nixon ist begreiflich. In seiner großen Rede über das russische Fernsehen, hat Nixon dargelegt, warum. Er hat sich im Prinzip zu einer isolationistischen Politik Amerikas bekannt. Er hat erklärt, daß sich die USA in die Händel der Welt nur in friedlicher Weise und nur, um den Völkern zu helfen, einmischen werden. Er hat sich zu einer friedlichen Politik gegenüber der Sowjetunion bekannt und das Trauma der Russen, die stärkste Macht der Welt könnte pich mit Deutschen oder Chinesen verbinden, was das Ende Rußlands bedeuten würde, zerstreut. Nixon kehrt mit einem ungeheuren Erfolg nach Hause zurück, einem Erfolg, der ihm zweifellos die Chance gibt, als überlegener Sieger aus dem Wahlkampf hervorzugehen. Seine Politik, zuerst nach China zu gehen und die Russen dadurch nervös zu machen, um sie dann erst recht zu beruhigen, war richtig.

Bei dieser großen Schachpartie hat jeder seinen Sieg errungen: Die Russen haben ihre Westgrenze gesichert und ebenso ihre Ostgrenze. Sie haben die Versicherung, daß der kommende Präsident eine isolationistische Politik machen wird. Nixon hat die Versicherung, daß er dank der Unterstützung der Russen so gut wie sicher seinen Wahlkampf gewinnen wird.

Und Vietnam? Von dem wurde öffentlich fast nicht gesprochen. Während der Gespräche in Moskau gingen die schrecklichen Kämpfe weiter. Eines Tages wird dieser Krieg remis enden, wie der Krieg in Korea. Nordvietnamesische Truppen werden weiter Gebiete von Südvietnam erobern und südvietnamesische Truppen in Nordvietnam eindringen. Erst wenn beide Teile erschöpft sind, werden, sie sich endlich an den Verhandlungstisch setzen, um eine Demarkationslinie festzulegen, die der früheren Grenze entsprechen wird. Ein Land wird dann endgültig zerstört sein, aber beide Teile haben ihr „Gesicht gewahrt“.

Der Friede ist — zumindest vorderhand — wieder gerettet. Aber diese Sternstunde sollten die freien Völker Europas nicht ungenützt vorübergehen lassen. Denn immer noch ist Europa nicht nur geistig, sondern auch wirtschaftlich eine der stärksten Mächte der Welt. Allerdings nur ein Europa, das sich endlich auch zu einem Klub zusammenfindet, der diese geistigen und wirtschaftlichen Kräfte in ihrer Gesamtheit mobilisieren kann. Dann wird der Friede nicht nur für einige Jahre, sondern für lange Zeit gesichert sein.

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