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Erzfeind als Schicksalsgefährte

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Vor dem Gipfeltreffen zwischen Bill Clinton und Boris Jelzin am 3. und 4. April im kanadischen Vancouver warnt Richard Nixon die neue amerikanische Regierung vor einer politischen Katastrophe: Sollte Jelzin mit seinen Reformen in Rußland scheitern, könne Clinton seine eigenen Reformen für die USA vergessen; Rußland sei immer noch groß genug, um die USA und ihre Verbündeten ins Chaos zu stürzen.

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Vor dem Gipfeltreffen zwischen Bill Clinton und Boris Jelzin am 3. und 4. April im kanadischen Vancouver warnt Richard Nixon die neue amerikanische Regierung vor einer politischen Katastrophe: Sollte Jelzin mit seinen Reformen in Rußland scheitern, könne Clinton seine eigenen Reformen für die USA vergessen; Rußland sei immer noch groß genug, um die USA und ihre Verbündeten ins Chaos zu stürzen.

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Rußland - und nicht Bosnien, der Nahe Osten, Irak oder Iran - sei die wahre welthistorische Herausforderung für den jungen US-Präsidenten. Clinton hat nach den eindrucksvollen Medienauftritten von ExPräsident Richard Nixon - mit seinen 80 Jahren noch immer der große Altmeister im außenpolitischen Strategiedenken der USA -schnell begriffen und ebenso schnell reagiert: Bei seinem Treffen mit Jelzin will er dem bedrängten russischen Präsidenten (FURCHE 8/1993) mit „einigen innovativen Lösungen” und konkreten Hilfsangeboten unter die Arme greifen. Unter dem Motto, daß nur rasche Hilfe für Jelzin gute Hilfe bedeutet.

Dabei geht es darum, so ein Mitarbeiter des Außenministeriums, „den echten Märkten und den Privatunternehmen, dem Kapitalismus an der Basis, zu helfen. Auch wenn die russische Regierung Probleme hat, müssen wir ihre erfolgreichen Ansätze zur Privatisierung unterstützen.” Zu den ambitionierten Angeboten, die Clinton dem russischen Präsidenten in Vancouver auf den Tisch legen will, zählt daher ein fetter „Fonds zur privaten Unternehmensgründung”, ähnlich dem Fonds, der für Polen von der Regierung Bush eingerichtet worden war. Clinton will dem Kongreß in seinem neuen Budget zusätzliche 300 Millionen Dollar für sein Hilfspaket abgewinnen.

Und für die dringend notwendige Errichtung von Wohnungen für die Hunderttausenden Soldaten, die ehedem von der UdSSR in Osteuropa stationiert waren, will die US-Regierung Kreditgarantien beistellen, zu ähnlichen Bedingungen, wie sie die Regierung von Israel für ihre Wohnbauprogramme für Einwanderer in Anspruch nehmen kann; eine Maßnahme, die der russischen Regierung erlauben würde, billige Kredite auf dem internationalen Kapitalmarkt aufzunehmen.

Zusätzlich kündigte Bill Clinton eine Ausweitung der Tätigkeit des US-Friedenscorps an. Und die US-Regierung will einige tausend Agrarexperten und Juristen nach Rußland entsenden, die vor Ort bei der Errichtung von Unternehmen, Lösung von juristischen Problemen und der Ausweitung der landwirtschaftlichen Produktion behilflich sein sollen.

Niedrigere Latte für Rußland?

Präsident Clinton will sich gegenüber Boris Jelzin auch verpflichten, sich bei einem Gipfeltreffen mit den „Großen Sieben” der Weltwirtschaft für eine Umschuldung der 80 Milliarden Dollar Auslandsschulden Rußlands einzusetzen. Das Problem besteht nur darin, daß im Westen keine Einigkeit darüber besteht, ob Rußland zuerst größere Fortschritte bei seinen Reformbemühungen vorzeigen muß, damit etwa der Internationale Währungsfonds die bereits im vergangenen Jahr zugesagten, aber noch ausstehenden sechs Milliarden Dollar zur Stabilisierung des Rubels an Moskau ausbezahlen kann. In diplomatischen Kreisen in Washington wird daher bereits laut darüber diskutiert, die „Latte” für Rußland etwas herabzusenken, und mehr Risikofreude zu zeigen.

Richard Nixon, der nach einer seiner zahlreichen Rußlandreisen am Montag dieser Woche von Bill Clinton ins Weiße Haus eingeladen worden war, seine Vorschläge zu unterbreiten, begründet die Notwendigkeit von verstärkten außenpolitischen Aktivitäten der USA in Rußland mit der unmittelbaren Gefahr, daß die demokratisch gesinnte Regierung von Jelzin scheitern könnte. Trete an ihre Stelle eine aggressive nationalistische Regierung, hätte dies, memt Nixon, einen weit größeren Einfluß auf die amerikanische

Wirtschaft als alle wirtschaftspolitischen Bemühungen von Clinton zusammengenommen: „Die erhoffte Friedensdividende schwimmt uns den Bach hinunter. Das Verteidigungsbudget müssen wir wieder um viele Milliarden Dollar erhöhen. Und das heißt, daß Clinton seine ganzen Vorschläge zur Kürzung unserer Staatsverschuldung vergessen kann.”

Der Westen müsse Jelzins Reformen endlich beherzter unterstützen. Bereits heute trage der private Sektor 20 Prozent zum BNP in Rußland bei; 30 Prozent aller Arbeitnehmer seien in der Privatwirtschaft beschäftigt. Das zeige die Richtigkeit von Jelzins Reformmaßnahmen.

Die USA müßten zudem darauf bestehen, so Nixon, daß jene westlichen Verbündeten, „denen wir nach dem Zweiten Weltkrieg geholfen haben”, einen größeren Anteil am Aufbau Rußlands übernehmen. „Besonders Japans Beitrag an der multilateralen Hilfe ist erschreckend inadäquat. Die Japaner sollen endlich aufhören, ihre Hilfsleistung an Rußland von der Rückgabe von vier kleinen nördlichen Inseln abhängig zu machen. Wenn Jelzin scheitert, werden sie die sowieso nie zurückbekommen.”

Plausibilität der Demokratie

Das Scheitern des Kommunismus in der ehemaligen Sowjetunion zählt für den strammen Antikommunisten Nixon zur großen Genugtuung in der jüngsten Geschichte. Umsomehr bedeute ein Scheitern der Reformen in Rußland - ist sich der alte Weltstratege sicher - einen tragischen Rückschlag für die Glaubwürdigkeit der Demokratie in jenen Ländern, die gerade mit ihren demokratischen Reformen begonnen hätten. Das treffe in besonderem Maß auf den politischen Reformprozeß in China zu, wo die „reaktionären Kräfte” allen Reformen widerstünden.

Die Amerikaner müßten daher begreifen, Rußland nicht als den besiegten Erzfeind zu betrachten, sondern als ein mächtiges Beispiel für die Plausibilität von Demokratie und Marktwirtschaft.

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