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SALT- Konferenz in Wien

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Etwas fast Unwahrscheinliches ist geschehen: Seit einigen Tagen sitzen Amerikaner und Russen im Wiener Belvedere einander gegenüber, um eine gemeinsame Rüstungskontrolle zu besprechen. Vereinbart werden soll:• die Begrenzung der Zahl von Raketen,• die Begrenzung der Leistungsfähigkeit von Raketen,• die Reduzierung der Offensivstreitkräfte.Während die SALT-Konferenz, dieses Zusammentreffen von Amerikanern und Russen in Wien, mit vielen Feierlichkeiten begann und die zwei Supermächte der Welt sich gemeinsam an einem Tisch fanden, stritten sich die zwei Supermächte der kleinen österreichischen Welt, nämlich die beiden großen Parteien des Landes, über die Frage, ob sie sich an einem Tisch zusammensetzen sollen oder nicht. Der Bundespräsident muß dieses beschämende Beispiel geahnt haben, sonst hätte er den designierten Bundeskanzler nicht so intensiv aufgefordert, noch vor Beginn der SALT-Konferenz eine neue Regierung auf der Basis der Großen Koalition zusammenzubringen. Aber was den Großen zu gelingen scheint, scheinen die Österreicher kaum oder nur mühsam zu erreichen.

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Etwas fast Unwahrscheinliches ist geschehen: Seit einigen Tagen sitzen Amerikaner und Russen im Wiener Belvedere einander gegenüber, um eine gemeinsame Rüstungskontrolle zu besprechen. Vereinbart werden soll:• die Begrenzung der Zahl von Raketen,• die Begrenzung der Leistungsfähigkeit von Raketen,• die Reduzierung der Offensivstreitkräfte.Während die SALT-Konferenz, dieses Zusammentreffen von Amerikanern und Russen in Wien, mit vielen Feierlichkeiten begann und die zwei Supermächte der Welt sich gemeinsam an einem Tisch fanden, stritten sich die zwei Supermächte der kleinen österreichischen Welt, nämlich die beiden großen Parteien des Landes, über die Frage, ob sie sich an einem Tisch zusammensetzen sollen oder nicht. Der Bundespräsident muß dieses beschämende Beispiel geahnt haben, sonst hätte er den designierten Bundeskanzler nicht so intensiv aufgefordert, noch vor Beginn der SALT-Konferenz eine neue Regierung auf der Basis der Großen Koalition zusammenzubringen. Aber was den Großen zu gelingen scheint, scheinen die Österreicher kaum oder nur mühsam zu erreichen.

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Wie aber kam es zu dieser SALT-Konferenz in Wien? Innerhalb der USA gab es immer zwei politische Strömungen, die sich keineswegs mit den beiden großen politischen Parteien der Staaten deckten. Sie vertraten eine isolationistische und eine interventionistische Politik. Die eine Richtung wünschte, daß sich Amerika nicht in die Händel der Welt mische, sondern nur sein eigenes Heil vor Augen habe. Und die andere Richtung wünschte, daß aus Weltverbesserungsgründen oder anderen Ursachen sich die USA sehr wohl in die Händel der Welt mischen, um eben diese Welt vor dem Bösen zu bewahren und sie — diese Welt — in ein irdisches Paradies zu verwandeln, das es angeblich in den Staaten schon gibt. Die isolationistische Politik in den Staaten war immer von großem Gewicht. Nur mit Mühe konnte Wilson die Amerikaner überreden, an der Seite der Alliierten in den ersten Weltkrieg einzutreten. Viel Zeit benötigte er für diese Überredungskünste. Und hätten die Japaner nicht Pearl Habour überfallen, hätte wahrscheinlich nicht einmal Roose-velt die Staaten in den zweiten Weltkrieg schicken können. Truman, Eisenhower, Kennedy und auch der frühe Johnson setzten diese Interventionspolitik fort. Kennedy begann aus diesen Gründen den Vietnamkrieg, und eben das Debakel dieses Krieges ist es, das die Staaten wieder auf eine Isolationspolitik einschwenken läßt. Denn der Vietnamkrieg ist trotz der enormen Opfer an Menschen, Material und Geld kein zu gewinnender Krieg, und die USA haben nur noch den einen Wunsch: sich aus diesem Debakel zurückzuziehen. Zurückzuziehen aber heißt gleichzeitig Eintreten für Isolationspolitik.

Neben all diesen Ideen über Kreuzzüge für eine bessere Welt gibt es noch einen geheimen Grund dafür, daß sich die Staaten immer wieder in die Händel dieser Weilt mischen. Die USA, eine abgefallene britische Kolonie, fühlen sich, obwohl unbewußt, zutiefst der britischen Welt verbunden. Zweimal schon traten die Staaten in einen Krieg ein, um dieses britische Reich, aus dem sie einst ausgetreten waren, zu retten: Im ersten und im zweiten Weltkrieg. Obwohl beide Kriege offiziell als Kreuzzüge der Staaten für eine bessere Welt gelten, sind sie im Geheimen Kriege zur Verteidigung der britischen Welt. Die deutschen Politiker bis Adolf Hitler unterschätzten immer wieder das Zusammengehörigkeitsgefühl dieser britischen Welt. Sie mußten aus einem bösen Traum erwachen. Was aber hat all dies mit der SALT-Konferenz in Wien zu tun? Sehr viel. Diese Konferenz wurde seinerzeit noch von Johnson initiiert, der im letzten Teil seiner Präsidentschaft schon in den isolationistische Politik der Staaten einschwenkte. Als dann Nixon Präsident wurde und sich der isolationistische Zug der amerikanischen Politik verstärkte, traten auch die Russen für diese Konferenz ein. Und nach langen Vorverhandlungen in Helsinki trafen sich die beiden Supermächte nun in Wien. Diese Konferenz stellt eine Art Waffenstillstand der beiden Supermächte dar, mit dem sie sich den Rücken freimachen wollen. Warum dies? Damit beide Mächte in Ruhe einer Auseinandersetzung mit einer dritten Supermacht entgegensehen können. Diese dritte Macht heißt China. Seit Jahren ist die russische Politik darauf ausgerichtet, alles zu tun, um ein Überrollen Rußlands durch China zu verhindern. Es hat sich in Europa durch die Satellitenstaaten ein Glacis geschaffen, das seine westliche Flanke schützt, es unterstützt Nasser, damit es im Mittelmeer Flottenstützpunkte halten kann, die wiederum Albanien, den Vasallen Chinas, in Schach halten. Es hat Kontakte mit Tschiangkai-schek, dem Todfeind Maos, es hat Kontakte mit Südkorea, und würde sich mit dem Teufel verbunden, wenn seine Stärke gegen China dadurch wüchse. Die Angst Rußlands vor China ist begreiflich. China ist übervölkert, und wenn einmal der Überdruck zur Explosion führt, dann kann sich diese nur in zwei menschenleere Gebiete entladen: in das menschenleere Sibirien und in das menschenleere Australien und NeuSeeland. Wenn die Chinesen einmal in Australien und Neuseeland sitzen, ist der Weg in die USA nicht mehr weit. Außerdem: Australien und Neuseeland gehören zur britischen Welt, und die USA, diese abgefallene britische Kolonie mit dem unausrottbaren britischen Solidaritätsgefühl, wird si^h auch noch ein drittes Mal — wenn es notwendig sein sollte — für die britische Welt schlagen. Die Interessen der USA und Rußlands treffen sich hier in einem sehr wesentlichen Punkt. Um sich den Rücken freizumachen und sich das Leben nicht gegenseitig zu erschweren, kam es zur SALT-Konferenz in Wien. Diese Konferenz kann, wenn sie positiv ausgeht — und beide Teile wollen diese große Koalition —, Europa für lange Jahre den Frieden bescheren und ihn vielleicht sogar auch in der Weit sichern.

Dieser Waffenstillstand wird in Wien geschlossen werden. In jenem Wien, in dem der Sage nach König Etzel sich mit Kriemhild vermählte. Geschichtliche Tatsache ist es, daß die Völker des Ostens und Westens, von Wien aus regiert, jahrhundertelang in Frieden miteinander lebten. Geschichtliche Tatsache ist, daß Russen und Amerikaner hier in Wien sich die Hände schüttelten, während sie sich in Korea feindlich gegenüberstanden. Tatsache ist, daß Kennedy und Chruschtschow sich in Wien trafen. Langsam scheint Wien die Rolle von Genf zu übernehmen, das bisher fast immer für solche internationale Treffen gewählt wurde. Aber diese Treffen von Genf, angefangen mit den Tagungen des Völkerbundes, waren fast immer steril. Vielleicht wird es der völkerverbindende Untergrund Wiens sein, der von nun an solche Tagungen zu einem positiven Ende führen kann. Und so wird vielleicht Wien eine neue große Rolle in der Weltpolitik spielen. Eine Rolle als die machtlose urbs, die dennoch die Mächte der Welt an einen Tisch bringt. Nur wissen die Österreicher nicht, welches Kapital sie mit ihrer Kapitale besitzen. Sonst würden sis nicht soviel auf diese Kapitale chimpfen.

Fortsetzung auf Seite 2

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