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Tauziehen

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Aus der politischen Gipfeltour wird es in diesem Sommer also nichts, Und das ist ganz gut so. Der zünftige Bergsteiger weiß es: man geht nicht auf einen Berg, wenn Gewitter drohen, wenn die Luft schwül und drückend ist...

Chruschtschows überraschender Verzicht auf eine Gipfelkonferenz, seine und Eisenhowers Zustimmung zu einer großen Debatte in der UNO-Vollversammlung bestätigen das, was aufmerksame Beobachter schon seit Jahren festgestellt haben: die beiden großen Gegner, UdSSR und USA, richten sich behutsam ein auf einen Ringkampf über Generationen. Da kommt es für jeden von ihnen darauf an, eine möglichst große Zahl von Partnern zu gewinnen, die am selben Tauende mitziehen: In diesem Sinne sind die Bemühungen der USA um eine Aktivierung der südamerikanischen Beziehungen ebenso zu sehen wie Eisenhowers letzte Erklärungen zugunsten des arabischen Nationalismus, die eine Wendung der amerikanischen Politik um 180 Grad ankündigen können. Der Weltkampf erfaßt dergestalt alle Kontinente in einer intensiven Weise, wobei Chancen und Gefahren gleichermaßen gegeben sind. In Afrika, in Südamerika, in Europa stehen sich heute die beiden stärksten Weltmächte gegenüber und bieten nicht nur ihre Worte, ihre Waffen, sondern auch ihre Waren und vielleicht noch einiges mehr an.

Seit geraumer Zeit hat sich gezeigt, daß die Völker zwischen den beiden Sphären sehr behutsam angefaßt werden müssen, von beiden Seiten: Es ist eindrucksvoll, zu sehen, wie vorsichtig Amerikaner, Engländer und Russen die Araber angehen. Mag man in Moskau mit dem Gedanken einer Intervention in Nahost gespielt haben, allzu ernst dürfte er nicht erwogen worden sein: der Kreml muß die Brände in den arabischen Ländern genau so fürchten wie die Westmächte. Im Falle einer allzu massiven freundschaftlichen Annäherung an die islamischen Völker müßte Moskau befürchten, daß die islamischen Völker innerhalb seines Imperiums unruhig werden: eine Vorstellung, die die arg geplagte asiatische Position der UdSSR hart strapazieren würde. Nun genügt für Moskau gegenwärtig seine Ueberanstrengung durch China vollauf. Mao Tsetung will in die UNO: und Chruschtschow soll endlich, endlich Rotchinas Sache vor der Weltöffentlichkeit stärker vertreten! Deshalb die plötzliche Zusage Moskaus, bei der UNO-Vollversammlung das Wort zu ergreifen. Also ist es soweit:

West und Ost werden in der UNO großangelegte Propagandareden halten und sich um die Gunst der Araber, Afrikaner, Südamerikaner und Asiaten bemühen. Das ist, recht besehen, vielleicht gar nicht so übel. Beide werden dadurch gezwungen, ihre Politik tagtäglich neu zu durchdenken und zu korrigieren. Denn es steht nicht zu erwarten — vor wenigen Jahren war das noch anders —, daß die Völker der Erde ihren großen Beschützern eben diese Politik und diese Worte so leicht abnehmen werden. Die Russen haben seit der Bandung-Konferenz und den innerafrikanischen Konferenzen manches erfahren müssen, was ihrerseits den Amerikanern in Südamerika, Afrika und neuerdings auch in Europa — so aus Paris - entgegenspricht. Beide Weltmächte werden demnächst bereits mit Leistungen aufwarten müssen. Der amerikanische Wirtschaftsplan für Nahost will dieser Forderung der Stunde als erster Rechnung tragen ...

Ade, wolkenumdüsterter Gipfel — hinein in die vielen großen und kleinen Konferenzsäle.

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