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Heimsuchung und Bewährung

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Als das kleine Altserbien nach dem ersten Weltkrieg zu einem Großreich der Serben, Kroaten und Slowenen („SHS“, später Jugoslawien) angeschwollen war, sah sich die serbische Orthodoxie neben der verwirrenden neuen Nationalitätenproblematik auch einer komplexen konfessionellen Situation gegenüber.

Was das Verhältnis zur katholischen Kirche betrifft, waren auf dem Territorium des neuentstandenen Staates verschiedene Vereinbarungen mit dem Vatikan geltend,' als sich schon am ersten Regierungsentwurf für ein neues Konkordat, 1922, tiefgreifende Gegensätze entzündeten: das serbische Konkordat von 1914 war für Serbien und Mazedonien gültig, das Konkordat von 1886 für Montenegro, das österreichische Konkordat von 1855 für Kroatien und Slowenien und ein Abkommen über die Regelung der kirchlichen Verhältnisse von 1881 für die Katholiken in Bosnien-Herzegowina. Nach langwierigen Verhandlungen scheiterten die ersten amtlichen Verhandlungen mit Rom 1925 zunächst daran, daß der katholische Episkopat den im Regierungsentwurf vorgesehenen Gebrauch der altkirchenslawischen Sprache in allen katholischen Kirchen, auch dort, wo das Altkirchenslawische traditionsgemäß keine Verankerung hatte, entschieden ablehnte. Es entbehrt nicht einer gewissen politischen Pikanterie, daß es die antiklerikale Haltung des Kroatenführers Stjepan Radi c war, der 1925 noch in der Regierung saß, daß die Konkordatsfrage damals für lange Jahre von der Tagesordnung abgesetzt wurde.

Als 1935 die Regierung Boboljub Jevtid einen neuen Vertragsentwurf vorlegen konnte, der den katholischen Forderungen weitgehend entgegenkam, war die politische Atmosphäre zwischen Serben und Kroaten schon so weitgehend getrübt, daß serbischerseits jedes Zugeständnis auf kirchlichem Gebiet als Kapitulation vor dem kroatischen Irredentismus empfunden wurde. Wenn inzwischen die von Milan S t o j a d i n o vi d gebildete neue jugoslawische Regierüng ihre' Zustimmung für die Unterzeich1 nuiigTdes Konkordats am 25. Juli 1935 in Rom auch gab, so läßt schon die Tatsache, daß sie erst 17 Monate darauf das Vertragswerk zur Ratifizierung der Belgrader Sküpstina vorlegte, erkennen, welche Spannungen die zunächst als Akt der politischen Räson geplante Befriedungsaktion ausgelöst hatte. Hinzu kam, daß der damalige Innenminister, der Slowene Doktor K o r o š e c, ein katholischer Priester war, so daß die orthodoxe Hierarchie im Namen von rund acht Millionen „Pravoslawen“ unter der Parole einer Benachteiligung gegenüber den sechs Millionen Katholiken, ihre Gläubigen zur offenen Revolte aufmunterte.

Die orthodoxe Kirchenhierarchie, an deren Spitze damals Patriarch V a r n a v a, ein persönlicher Freund der Dynastie Karadjordjevic stand, erfreute sich großer Volkstümlichkeit in serbischen Kreisen. Ihre politische Position war stärker denn je und galt als schlechthin unerschütterlich. Die Gegensätze entluden sich bald, zunächst in Belgrad selbst, dann aber auch in der Provinz, in Unruhen, Gewalttätigkeiten und blutigen Exzessen.

Dieses Wetterleuchten leitete das schicksalsschwere Jahr 1941 ein.

Den Thron der serbischen Patriarchen hatte inzwischen der Montenegriner Dr. Gavrilo D o- ž i 6 bestiegen. Die kroatisch-serbischen nationalen Spannungen blieben, besonders im neuentstandenen unabhängigen Staat Kroatien, auch aus der interkonfessionellen christlichen Sphäre leider nicht ausgeklammert, und es darf heute wohl ausgesprochen werden, daß das von Kultusminister Dr. Mile B u d a k verkörperte nationalistische Konzept einer Lösung der Frage der Orthodoxie in Kroatien einer christlichen Begegnung nicht förderlich war. Erst wenn eine solche Feststellung nicht die Reaktion auslöst, daß man gleich als serbophil — und das bedeutet immer noch „kroatenfeindlich“ — abgestempelt wird, dürfen wir hoffen, daß aus der düsteren Vergangenheit die richtige Lehre gezogen wird.

Feststeht, daß nach 1941 der Metropolit von Zagreb (Agram), der greise Dositej Vasič, so verprügelt wurde, daß er in Wahnsinn verfiel, gerade noch ins Sanatorium Zivkovič nach Belgrad übergeführt werden konnte, um dort eines qualvollen Todes zu sterben; daß der Episkop von Banja Luka Vladika Platon, der Weihbischof Sava Trląjic, der Metropolit von Sarajewo Petar ZimoüiC u. a. das Martyrium erlitten.

Patriarch Gavrilo selbst entschied sich für einen Kampf an der Seite des legendären Tschetnikgenerals Draža M i h a j 1 o v i č. der damals noch einen Privatkrieg gegen die Okku-

patoren führte und erst später ein Bündnis mit den Deutschen gegen die gemeinsame Bedrohung durch die Tito-Partisanen einging. Die deutsche Besatzung hoffte, seinen Einfluß auf das Volk zu neutralisieren, wenn sie ihn internierte, und verbannte den Patriarchen ins Kloster Vojlovica im Banat. Aber auch sein stärkster Gegenspieler bei der Patriarchenwähl, der als mächtiger Orator gerühmte und durch seine philosophischen Schriften bekannte Vladika Nikolaj Velimirovic, Bischof von Ž i č a bei Kraljevo, wurde im Kloster Ljubo- stinja bei Trstenik festgehalten. Beide kamen 1943 ins KZ Dachau.

Serbische kirchliche Kreise behaupten noch heute, der Vatikan habe aus einer echt humanitären Gesinnung wohl vielen in der Nazi-Zeit verfolgten Kirchenmännern und Politikern geholfen, sich aber am Schicksal des serbischen Patriarchen Gavrilo uninteressiert gezeigt. Das ist nicht richtig. Man weiß heute vielmehr, daß — offensichtlich im Aufträge vatikanischer Kreise — ein französischer Jesuitenpater mit Gavrilo noch während dessen Internierung in Dachau in Verbindung stand und kurz nach der Kapitulation 1945 den Patriarchen in Kitzbühel,

wo auch Episkop Nikolaj weilte, aufsuchte, um ihnen die Gastfreundschaft des Vatikans anzubieten. Von den potentiellen kirchlichen Würdenträgern der serbischen Orthodoxie hielt sich zu dieser Zeit außer den beiden erwähnten Bischöfen noch der dalmatinische Episkop Irinej Djordjevič, der eine Rückkehr nach Jugoslawien strikte ablehnte, in London auf. Bischof Nikolaj traf dann 1946 in einem westfälischen Kriegsgefangenenlager mit Exkönig Peter II. zusammen, flog mit ihm nach London weiter, um dort die Taufe am Thronfolger Alexander vorzunehmen, wanderte nach den USA aus und starb dort 1956. Patriarch Gavrilo, von der Sorge und Verantwortung um seine Kirche getrieben, bewegte sich zwischen Rom, Kitzbühel, Salzburg, Paris und London, um sich mit Freunden zu beraten. Noch schwankend über seine weitere Entscheidung, erreichte ihn in Salzburg das Vermittlungsangebot Beneš’ und er reiste kurz entschlossen nach Prag.

Was dann geschah, weist alle Entwicklungsstadien einer dramatischen Handlung auf: Die Serben im Exil sprechen glatt von einer „Entführung“ des Patriarchen nach Moskau. Patriarch Alexej von Moskau war schon vor der Begegnung mit Gavrilo bemüht gewesen, einen

Kontakt zur serbischen Orthodoxie herzustellen, ohne Erfolg. Jetzt also begegneten sie einander sozusagen persönlich.

lieber die Begegnung Alexej—Gavrilo weiß man verständlicherweise wenig. Engere Bindungen, die einer Abdankung des inneren Menschen gleichgekommen wären, Scheint Gavrilo jedenfalls riifcht eihgegangen zu sein. Er sei zwar Patriarch der serbischen Kirche, könne aber ohne den „Arhijerejski Sabor“ (Rat seiner Di- özesanbischöfe) nicht entscheiden, soll der Grundtenor seiner in vollendetem Stil byzantinischer Diplomatie geführten Abwehrtaktik dem Moskauer Liebeswerben gegenüber gewesen sein.

Seine Rückkehr nach Belgrad ist auch heute

Žoch von politischen Geheimnissen umwittert.

s kam bald zu Mißstimmungen mit Tito, der dem Patriarchen kurzerhand Hausarrest auferlegte und in das Patriarchenpalais bewaffnete UDBA-Leute abkommandierte.

Nach schweren Auseinandersetzungen mit Tito selbst starb Gavrilo 1947 vereinsamt und verbittert.

Gavrilos Tod war das Alarmzeichen für die Partei. Nun galt es, den dem Regime gefügigen zukünftigen Patriarchen zu favorisieren, nachdem bereits offenkundig war, daß hei einer freien Wahl der Metropolit von Skoplje-Ues- küb, Josif C v i j o v i 6, der als Personifizierung der Standhaftigkeit den politischen Uebergriffen des Regimes gegenüber galt, als Patriarch hervorgehen würde. Nach beschämenden Vorgängen von Intrigen bis zur brutalen Gewaltanwendung — der designierte Patriarch Metropolit Cvijovič selbst wurde verhaftet und dadurch als wählbarer Kandidat ausgeschaltet — wurde der Parteigünstling Vikentije Prodanov, bishin

Episköp der Diözese Zletovo-Strumica mit dem Sitz in Stip, zum Patriarchen aller Serben ausgerufen.

Prodanov blieb es Vorbehalten, nolens volens die i durch die Partei vorangetriebene Aushöhlung der serbischen Orthodoxie auch in ihrer organisatorischen Form zu sanktionieren, beginnend'voh der Liquidierung der Theologien und Seminarien über die Drosselung der kirchlichen Presse bis zur Duldung der staatlichen Priestergewerkschaften. Geschmückt mit einem hohen Orden der UdSSR, verband er seinen letzten Besuch beim Moskauer Patriarchen mit einer Ehrenerweisung vor dem Grab Lenins, verwirrte vollends die Geister und trug damit in das gläubige und kirchentreue Volk einen schweren Zwiespalt.

Als Vikentije im Spätsommer 1958 starb, schälten sich aus der etwas mysteriösen Balancepolitik Titos zwischen Ost und West bereits die Umrisse einer neuen Konstellation heraus. Die Entwicklung einer mazedonischen kirchlichen Autokephalie schien unter dem Aspekt des verschärften Drucks des Moskauer Kommunismus, der sich zunehmend des ursprünglich von Tito geschnürten mazedonischen Irridentismus zu bedienen begann, nicht mehr vertretbar, so daß mit der Wahl des Patriarchen German, Ende 1958, die auch Tito zu befürworten schien, eine ausgesprochene Zwischenlösung erfolgte, die in bezug auf die weitere Taktik Titos der Orthodoxie gegenüber alle Wege offen läßt.

Wie immer sich die Dinge entwickeln mögen, das Schicksal der serbischen Orthodoxie ist mit ein Kapitel zeitgeschichtlicher Prüfung, Heimsuchung und Bewährung, das möglicherweise durch neue Konstellationen, nicht zuletzt vielleicht auch durch die jüngste Initiative Papst Johannes’ XXIII., in eine neue Phase treten kann.

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