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Moskau und die russische Kirche im Ausland

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Die Moskauer Patriarchatskirche bemüht sich in den letzten Jahren eifrig, die auf der ganzen Welt zerstreuten Auslandsrussen wieder unter ihre Jurisdiktion zu bekommen. Dieses Bestreben war zwar von einigen Erfolgen begleitet, stieß aber doch in weiten Kreisen auf heftigen Widerstand.

Die mehr als zwei Millionen Auslandsnissen, gegen Ende des zweiten Weltkrieges durch eine Flut von neuen Auswanderern verstärkt, sind kirchlich bereits seit gut 20 Jahren in zwei Hauptgruppen gespalten: die sogenannte Pariser Richtung und die Anhänger der Synode von Karlowitz. Dieser Spaltung liegen entgegengesetzte Ideologien zugrunde, die bereits im Schoß der russischen Kirche zur Zarenzeit latent waren. Die Pariser vertreten eine liberale, demokratische Richtung, auch in der Regierung der Kirche; sie neigen in dogmatischen Fragen zu Neuerungen und sind einem engen Zusammengehen mit den Protestanten, besonders den Anglikanern, nicht entgegen. Die Karlowitzer sind streng konservativ und halten die Monarchie für einen wesentlichen Bestandteil der orthodoxen Weltordnung. Die kirchliche Organisation der Auslandsrussen wurde nach dem Zusammenbruch des Regimes der Weißen in Südrußland (1920) geschaffen. Es wurde eine „Höchste Kirchen Verwaltung im Ausland” gebildet, die ihren Sitz in Karlowitz, Jugoslawien, nahm. Diese Kirchenverwaltung ernannte im Einverständnis mit dem Patriarchen Tichon den Erzbischof Eulogius zum Leiter der westeuropäischen Gemeinden. Er nahm seinen Sitz in Paris. Zum Bruch zwischen Eulogius und der Karlowitzer Kirchenleitung kam es im Jahre 1926. Somit war die russische Emigration dauernd gespalten.

Die beiden Richtungen unter den Auslandrussen unterscheiden sich auch in ihrer Stellungnahme gegenüber der russischen Patriarchatskirche. Beide wollen zwar Bestandteile der einen russischen Kirche sein. Karlowitz entzog sich jedoch schon bald der Autorität des Patriarchen, indem es dessen Bestimmungen, weil unfrei und nur unter Druck erlassen, für ungültig erklärte. So kam es schon 1922 zum Bruch mit dem Patriarchen Tichon. Eulogius dagegen war für bedingungslose Unterordnung unter den Patriarchen, mußte aber schließlich doch seine Haltung modifizieren. Auch er lehnte sich im Jahre 1930 gegen den Patriarchatsverweser Sergius auf und erklärte, er könne dessen Befehlen nicht Folge leisten, weil sie unter dem Druck der Sowjetmacht erlassen seien. Eulogius unterstellte sich 1931 dem Patriarchen von Konstantinopel, der ihn als seinen Exarchen anerkannte.

Durch den für Rußland siegreichen Ausgang des zweiten Weltkrieges wurde eine völlig neue Lage geschaffen. Statt der um ihre Existenz ringenden russischen Kirche, die sich um das Ausland nur wenig kümmern konnte, haben wir es nun mit einem von den Sowjets anerkannten, ja in gewissem Umfang protegierten Patriarchat zu tun, das sehr bald begann, eine höchst aktive Außenpolitik zu treiben. Zunächst wurden natürlich die Auslandsrussen der sowjetischen Einflußzone der Moskauer Patriarchatskirche untergeordnet. Die scharf antisowjetisch eingestellte Karlowitzer Kirchenleitung floh vor dem Umschwung aus Jugoslawien nach Genf und verlegte später ihren Sitz nach München. Ihr Haupt ist heute der Metropolit Anastasius. In der russischen Zone Deutschlands mußte selbstverständlich die von der nationalsozialistischen Regierung gestützte, von Karlowitz abhängige Kirchenleitung weichen. Moskau ernannte einen neuen Erzbischof von Berlin mit Namen Alexander und machte ihn zum Haupt aller Gemeinden in Deutschland. Sein Einfluß ist aber auf die russische Zone beschränkt. Für Österreich wurde der bisherige Vertreter des Moskauer Patriarchen in der Tschechoslowakei, Erzbischof Sergius, zum Oberhaupt der orthodoxen Russen ernannt. Er traf am 1. August 1946 in Wien ein.

Im Fernen Osten, wo unter der Oberhoheit der Karlowitzer Kirchenleitung in Charbin, Mandschurei, eine orthodoxe Universität bestand, mußten die dortigen orthodoxen Russen bald nach dem Einmarsch der russischen Truppen den Patriarchen von Moskau anerkennen. Der Metropolit Mele- tios und drei andere Bischöfe unterwarfen sich dem Patriarchen. Nach dem Tode des Meletios (April 1946) erhielt sein Nachfolger Nestor vom Patriarchen den Titel „Exarch von Ostasien”.

Auch außerhalb der russischen Einflußzone konnte das Moskauer Patriarchat zunächst nicht unbedeutende Erfolge erzielen.

Die Siege der Roten Armee weckten bei vielen Russen das vaterländische Gefühl und verschafften den Sowjets und damit auch der von ihnen protegierten Kirche auch unter bisherigen erbitterten Gegnern nicht wenig Sympathie. Der Haupterfolg war ohne Zweifel di.e Versöhnung der Pariser Emigranten mit Moskau. Der Metropolit Eulogius wurde am 11. September 1945 wieder in die Moskauer Patriarchatskirche aufgenommen. Noch überraschender war es, daß auch der Vertreter der Karlowitzer Richtung in Paris, Erzbischof Seraphim, sich mit Moskau versöhnte. Eulogius und Seraphim feierten zusammen mit dem Vertreter des Moskauer Patriarchen, Nikolaus von Krutitsy, zum Zeichen der Verbrüderung eine gemeinsame Liturgie (am 2. September 1945).

Im Vorderen Orient konnte der Patriarch Alexius selbst bei seiner Reise im Sommer 1945 unter den dortigen Auslandsrussen nicht wenige Anhänger gewinnen.

Nur in Jerusalem predigte er tauben Ohren. Im Fernen Osten trat der Erzbischof Viktor von Peking, bisher ein Anhänger der Karlowitzer Richtung, zu Moskau über. Die bedeutende russische Kirche Nordamerikas loste auf einer in Cleveland im November 1946 abgehaltenen Synode die Verbindung mit Karlowitz und erkannte den Patriarchen von Moskau als „geistliches”, nicht aber als „administratives” Oberhaupt an.

Trotz all dieser Erfolge ist jedoch der Widerstand gegen das Moskauer Patriarchat unter den russischen Emigranten durchaus nicht erstorben. Ja es ist in letzter Zeit ein beträchtliches Anwachsen der Opposition festzustellen. Die vormals Karlowitzer Kirchenleitung hielt im April 1946 in München eine Synode ab, auf der 16 Bischöfe persönlich erschienen waren und weitere 10 Vertreter entsandt hatten. Es waren auch Vertreter aus Nord- und Südamerika. aus Westeuropa, Palästina, dem Fernen Osten und Australien erschienen. Die Synode weigerte sich, das Moskauer Patriarchat anzuerkennen, solange dieses seiner Freiheit beraubt sei und die Verbindung mit der Sowjetmacht nicht löse. Dem Metropoliten Anastasius unterstehen in Deutschland 121 Pfarreien und in Österreich 50. In der amerikanischen Zone in Deutschland i st seine Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt. In Österreich befindet sich das Zentrum dieser Richtung in Salzburg-Parsch. Sie ist außerhalb der russischen Zone alleinherrschend. Anastasius hat Pfarreien unter anderem auch in Frankreich, Belgien, der Schweiz, London, Rom und Jerusalem. Auch die Synode der Ukrainischen Kirche im Ausland hat sich ihm angeschlossen. Die Zahl seiner Anhänger wird im ganzen auf eine Million geschätzt.

Im Fernen Osten steht der Erzbischof Johannes von Schanghai zu der Münchener Synode. Sein Gegner, der Erzbischof Viktor, der den Patriarchen anerkannte, wurde von der chinesischen Regierung nach Rußland ausgewiesen. In Nordamerika fand der Beschluß der Clevelander Synode bei einer Anzahl von Bischöfen heftigen Widerspruch. Die oppositionellen Bischöfe hielten im Mai 1947 im Trinitätskloster, zu Jordanville bei New York eine Synode ab. Hier waren vier Bischöfe anwesend und ein fünfter vertreten. Die Synode erklärte, die Anerkennung des Patriarchen von Moskau sei wegen der Versklavung der russischen Kirche prinzipiell unmöglich, auch bei weitgehender Autonomie für die. amerikanische Kirche. Der Abbruch der Beziehungen zu Anastasius verstoße gegen eidlich übernommene Verpflichtungen. Die oppositionellen Bischöfe wurden vom Metropoliten der amerikanischen Kirche, Theophilus, aus der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen. — In Südamerika ist die Richtung des Anastasius durchaus vorherrschend. Auch die Ankunft eines Vertreters des Moskauer Patriarchen in Buenos Aires (April 1947) wird daran kaum etwas ändern.

So gewinnt also die Opposition gegen den Patriarchen an Boden. Noch bedeutungsvoller ist aber die Tatsache, daß auch die anfänglichen Erfolge der Patriarchatskirche in Frankreich und Nordamerika bereits sehr problematisch geworden sind. In Paris entstand in der kaum geeinten Gemeinde nach dem Tode des Metropoliten Eulogius (8. August 1946) eine neue Spaltung. Eulogius hatte in seinem Testament, das allerdings vor der Versöhnung mit Moskau abgefaßt war, den Erzbischof Wladimir von Nizza zu seinem Nachfolger designiert. Moskau bestellte aber für die Nachfolgerschaft den Erzbischof Seraphim. Die Anhänger des Wladimir hielten vom 16. bis 20. Oktober 1946 eine Versammlung ab, wo man die Unterordnung des Eulogius unter Moskau als hinfällig bezeichnete. Eulogius habe als Bedingung gestellt, daß ihn der Patriarch von Konstantinopel aus seiner Jurisdiktion entlasse, was aber nicht geschehen sei. Wladimir und seine Anhänger brachen mit dem Moskauer Patriarchen und unterstellten sich wiederum Konstantinopel. Moskau stieß den oppositionellen Erzbischof mitsamt seinem Anhang am 16. Mai 1947 aus der russischen Kirche aus. Der ökumenische Patriarch dagegen erkannte Wladimir am 6. März 1947 als seinen Exarchen an und ernannte ihn überdies am 8. Juli desselben Jahres zum Metropoliten. EKe Mehrzahl der Emigranten Frankreichs hält zu Wladimir. Auch das theologische Institut des hl. Sergius von Paris steht auf seiner Seite. Er unterhält mit dem Metropoliten Anastasius gute Beziehungen und konzelebrierte mit dessen Vertreter in Paris, Bischof Nathanael.

In Amerika hält zwar die Mehrheit der dortigen Kirche die Anerkennung des Moskauer Patriarchen als ihres „geistlichen Oberhauptes” aufrecht. Man verlangte aber von vornherein weitgehende Autonomie. Es wird immer klarer, daß die orthodoxen Russen Nordamerikas in keiner Weise gewillt sind, dem Moskauer Patriarchen in Amerika irgendwelchen realen Einfluß zuzugestehen. Um über das Ausmaß der verlangten Autonomie zu verhandeln, wurde im Juli 1947 der Metropolit Gregor von Leningrad vom Patriarchen nach Amerika geschickt. Die Verhandlungen blieben vollständig ergebnislos. Gregor erklärte selbst Pressevertretern, seine Sendung sei gescheitert, und zwar wegen sowjetfeindlicher Einflüsse. Die amerikanischen Bischöfe verlangten nicht bloß Autonomie, sondern volle Unabhängigkeit. Diese Forderung widerspreche den heiligen Kanones. Kurz nach der Rückkehr des Metropoliten Gregor nach Rußland wurde im November 1947 eine Synode der amerikanischen Kirche in San Franzisko gehalten, an der fünf Bischöfe teilnahmen. Diese Synode erklärte die administrative Unabhängigkeit der amerikanischen Kirche von Moskau. Das schließt zwar die vorher gegebene Anerkennung des Moskauer Patriarchen als’ des „geistlichen Oberhaup-es” nicht aus, beweist aber deren rein platonischen Charakter.

Es ist nach allem der russischen Patriarchatskirche nicht gelungen, die große Mehrheit der russischen Emigranten außerhalb der sowjetischen Einflußzone unter ihre Jurisdiktion zu bringen. Die russische Emigration bleibt gespalten, und zwar in drei Richtungen: die Anhänger des Patriarchen, die scharf antisowjetische Gruppe unter Anastasius und die vermittelnde Richtung des Wladimir von Paris.

Nach den letzten Berichten des „ökumenischen Pressedienstes” hat der Patriarch der russischen orthodoxen Kirche in Moskau beschlossen, den Metropoliten der nord- amerikanischen orthodoxen Kirche, Theophil, vor dem Bischofsrat, die geistliche Gerichtsinstanz der Patriarchatskirche, zur Verantwortung zu ziehen, mit der Begründung, er habe die Beziehungen zu der Mutterkirche abgebrochen. Die gleiche Maßnahme erstreckt sich auf die Erzbischöfe L e o n t i j von Chikago, Johannes von Alaska, Johannes von Brooklyn und den kürzlich nach Amerika übergesiedelten Bischof Nikon. Es wird ihnen zur Last gelegt, daß sie sich dem „Clevelander Beschluß”, der die Anerkennung des Patriarchen als geistliches Oberhaupt unter Wahrung der kirchlichen Autonomie vor- säh, widersetzt hätten. Das Sendeschreiben schließt mit einem Aufruf an die Gläubigen in Amerika, sich dem Exarchen der Moskauer Patriarchatskirche, Erzbischof Makarius in New York, unterzuordnen.

„D. F.”

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