Wie kann es nach Havanna weitergehen?

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Das seit Langem überfällige Treffen eines Papstes mit dem Patriarchen von Moskau, das am 12. Februar in Havanna stattgefunden hat, ließ viele Fragen zwischen beiden Kirchen weiter ungeklärt. Vor allem eine konservative Kirchenachse Rom-Moskau wäre bedenklich.

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Das seit Langem überfällige Treffen eines Papstes mit dem Patriarchen von Moskau, das am 12. Februar in Havanna stattgefunden hat, ließ viele Fragen zwischen beiden Kirchen weiter ungeklärt. Vor allem eine konservative Kirchenachse Rom-Moskau wäre bedenklich.

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Langsam verebbt die allgemeine Euphorie um das Treffen von Papst Franziskus mit dem Moskauer Patriarchen Kirill. Nun zeichnen sich klarer die bleibende, ja zukunftsweisende Bedeutung dieser Begegnung, aber auch manche Bedenklichkeit ab.

Vor allem wurde von Seiten der russischen Orthodoxie die Berührungsangst mit dem Oberhirten der katholischen Westchristen und Oberhaupt des im Osten über den Kommunismus hinaus verteufelten Vatikanstaates überwunden. Das könnte jetzt zu einer Kettenreaktion führen: In der Gefolgschaft ihrer russischen Glaubensbrüder hatten auch die orthodoxen Serben und andere bisher allen römischen Avancen für Begegnungen mit dem Heiligen Vater oder gar von dessen Besuchen in ihren Ländern getrotzt. Auch auf der nächsten Runde im katholisch-orthodoxen Dialog, die kommenden Herbst stattfinden soll, wird es für die russisch-orthodoxen Unterhändler schwerer als bisher sein, gegen das Papsttum aufzutreten, nachdem ihr Patriarch sich mit dem Bischof von Rom zusammengefunden hat.

Appell für die Christen in Nahost

Vor dem dramatischen Hintergrund der Entwicklung in Syrien und dem Irak haben aus Havanna Papst und Patriarch einen Friedensappell für die Beendung des Blutvergießens und der Christenvernichtung an die Mächtigen der Welt gerichtet. Man mag die Bedeutung ihrer erstmals vereinigten Stimmen in Zweifel ziehen. Doch schon ein Stalin hatte sich den Fehler geleistet, die Durchsetzungskraft des Bischofs von Rom wegen der ihm fehlenden Divisionen zu unterschätzen. Der Heilige Stuhl war und ist gerade im Orient ein auch politisch wichtiger Faktor. Die meisten der heute zwischen den Mühlen von Diktatur-Regimes und islamistischen Terrormilizen zermalmten oder in die Flucht getriebenen Nahostchristen sind orientalische Katholiken. Dazu genießt die Politik des Heiligen Stuhls hohes Ansehen in allen Lagern: Rom hatte als erster durchblickt, dass die westliche Kreuzzugsmentalität gegen Saddam Hussein in Bagdad oder dann gegen Baschar al-Assad in Damaskus keine Patentlösungen waren und sind.

Für die Päpste war es seit Langem ein Herzensanliegen, auch vom jeweiligen russischen Amtsbruder als Gesprächspartner akzeptiert zu werden. Dass dieser gerade jetzt so überraschend darauf einging, verweist auf eine nicht uninteressante Vorgeschichte: Patriarch Kirill hatte noch beim gesamtorthodoxen Gipfeltreffen (Synaxis) in Chambésy am Genfer See Ende Jänner ausdrücklich dementiert, dass es bei Gelegenheit seines Kuba-Besuches und der Pastoralreise von Franziskus nach Mexiko zu einer persönlichen Aussprache kommen könnte. Nachdem sich die russisch-orthodoxe Kirche auf der Synaxis aber nicht mit ihrem Bemühen durchsetzen konnte, das vom Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. für Juni einberufene gesamtorthodoxe Konzil zu verhindern oder zumindest aufzuschieben, wollte sich Kirill daher durch den spektakulären Schritt des Treffens mit dem Papst wieder in den Vordergrund schieben. Diese Vermutung herrscht jedenfalls in griechischorthodoxen Kirchenkreisen vor.

Fürs plötzliche Eingehen von Kirill auf Roms beharrliches Drängen nach einem Treffen mit dem Papst dürfte es aber auch kirchenpolitische Gründe geben. Das Nahverhältnis des Moskauer Patriarchen zu Wladimir Putin scheint nicht mehr so gut zu sein, wie es einmal war. Beide hatten gemeinsam für dieses Jahr große Feiern in der Klosterrepublik Athos zum 1000-jährigen Jubiläum des Eintreffens der ersten Mönche aus der Kiewer Rus am Heiligen Berg der Orthodoxie vorbereitet. Putin setzte dafür eine Arbeitsgruppe ein, der russische Staat übernahm die Kosten der Jubelfeiern sowie der Renovierung während der Sowjet-Ära verfallener Russen-Klöster der Halbinsel. Wie Putins Athos-Beauftragter, der Architekt Aleksandr Beglow, ankündigte, würden dort der russische Präsident und Patriarch Seite an Seite die Festlichkeiten im Mai eröffnen. Inzwischen hat aber Putins Pressesprecher Dmitri Peskow aus scheinbar heiterem Himmel die Teilnahme des Staatschefs abgesagt. Auch liegen die Hintergründe des Sturzes von Kirills Mediengewaltigem, Erzpriester Wsewolod Tschaplin, zum Jahreswechsel noch immer im Unklaren. Jedenfalls knistert es im Gebälk von Russlands kirchlichen Machtstrukturen. Das alles mag zur Flucht des Patriarchen nach vorn in die Arme des Papstes beigetragen haben.

Doch auch Franziskus ließ sich den Durchbruch am Flughafen von Havanna einiges an Zugeständnissen kosten. War man sich zu Nahost von vornherein einig, so hat der Papst doch in Sachen Ukraine und EU beachtliche Konzessionen gemacht. Er bestätigte die kirchliche und politische Legitimität Moskaus Kiew gegenüber und machte sich die russische Europa-Kritik zu eigen, dass Brüssels "aggressiver Säkularismus" christliche Werte untergrabe.

Apokalyptische Fantasien

In Sachen der Ablehnung von Frauenordination, kirchlicher Akzeptanz von Homosexualität, künstlichen bis kriminellen Praktiken gegen die Fruchtbarkeit der Frauen oder von sogenannter Sterbehilfe findet der russische Standpunkt zwar viele Entsprechungen bei den katholischen Positionen. Unterschiedlich ist jedoch die Billigung staatlicher Verbote und Bestrafungen solcher Verhaltensund Vorgangsweisen durch die Moskauer Orthodoxie. Das wird auch eine der Hauptfragen auf der ersten gesamtorthodoxen Konzilssession Ende Juni auf Kreta sein.

Die russische Schreckensvision einer libertinistischen Zukunft wurde von Wsewolod Tschaplin noch vor seiner Absetzung in einer apokalyptischen Erzählung gezeichnet, die das, was ein Jean Raspail schon vor 40 Jahren im Roman "Heerlager der Heiligen" vom Untergang des Abendlandes im Migrantenansturm fantasiert hatte, weiterdenkt: Russland wird da von Ukrainern, Schwulen und Islamisten überrannt. Sie erzwingen vegane Ernährung, Umbau von Kirchen zu "Sexodromen", Betverbote, geschlechtslose "Bioobjekte" anstelle von Frauen und Männern. Tschaplins Novelle endet damit, dass diese Diktatur die letzten wahren Russen im Osten des Landes durch einen nuklearen Angriff vernichtet und sich dabei selbst auslöscht. Mit solchen Propheten als Gesprächspartnern muss auch ein Papst auf der Hut sein.

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