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Vorstoß nach Prag

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Am zweiten Adventsonntag weilte ein hoher Würdenträger der russischen Orthodoxen Kirche, Metropolit Nikolaus, neuerlich in Prag — diesmal ausdrücklich als Vertreter einer „ausländischen“ Orthodoxen Kirche willkommen geheißen. War doch der Anlaß seines Besuches die Verselbständigung der Orthodoxen Kirche in der Tschechoslowakei, ihre Umwandlung in eine autokephale Kirche, und die Inthronisation ihres Metropoliten Eleutherius.

Damit tritt die Orthodoxe Kirche in der Tschechoslowakei, die 1929 mit der Umwandlung der kleinen Prager orthodoxen Gemeinde in ein Bistum ihren eigentlichen Anfang genommen hat, in ein neues Stadium. Während der ersten zehn Jahre ihres Bestehens hatte sie keinerlei Bedeutung zu erlangen vermocht. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung überschritt nie ein Prozent; in Böhmen und Mähren, wo sie nur 24.000 Seelen zählte, betrug ihr Anteil gar nur etwas über zwei Promille.

Erst die Zeit nach 1945 brachte für die bis dahin dem serbischen Patriarchen unterstellte Kirche, die nach dem Hey- drich-Attentat verboten worden war, drei bedeutsame Wandlungen:

1. die Abtrennung der Karpatenukraine verursachte 1945 eine Schwächung, befanden sich doch hier, im Bistum Munkatsch, mehr als drei Viertel ihrer Anhänger;

2. die Überleitung des Unterstellungsverhältnisses vom serbischen unter den Moskauer Patriarchen, ein Schritt, der sich angesichts der späteren politischen Auseinandersetzung zwischen Moskau und Belgrad für Moskau als äußerst zweckmäßig erwies;

3. eine sehr wesentliche, von außen her durchgeführte Stützung und Stärkung der Orthodoxie in der Tschechoslowakei durch die im Mai 1946 erfolgte Erhebung des Prager Bistums in den Rang eines Erzbistums, durch die Errichtung eines eigenen Exarchats für das gesamte Gebiet der Tschechoslowakei, dem schließlich am 27. Juli 1948 die Erhebung zur Metropolie folgte.

Es wäre falsch, diese Maßnahmen zu überschätzen, denn durch die Aufstellung, Erweiterung und Durchbildung einer Organisation hat man noch keine Anhänger gewonnen, und die Zahl der Mitglieder der Orthodoxen Kirche hat seit der letzten Zählung kaum zugenommen, lediglich durch die Ausweisung der Deutschen, die fast ausschließlich dem katholischen Glauben angehörten, hat sich eine prozentuelle Verschiebung ergeben. Ein kleiner Zuwachs ergab sich durch die Anhänger der Orthodoxen Kirche in der Reihe der Immigranten, vor allem der Wolhynientschechen, die im Grenzgebiet angesiedelt wurden. So erklärt es sich, daß nicht nur Karlsbad über eine prächtige orthodoxe Kirche verfügt — sie wurde seinerzeit für die ausländischen Kurgäste errichtet, ähnlich wie das Gotteshaus der anglikanischen Hochkirche —, sondern auch in vielen, einst deutschen Städten und Dörfern des Böhmerwaldes orthodoxe Gottesdienste abgehalten und orthodoxer Religionsunterricht erteilt wird.

In erster Linie aber scheinen sich die Hoffnungen der Orthodoxen Kirche auf eine Tatsache zu konzentrieren: in der Tschechoslowakei leben fast eine Million Anhänger der nach dem ersten Weltkrieg gegründeten tschechoslowakischen Nationalkirche, deren Rolle mit einer autokephalen Kirche zu vergleichen ist und deren Mitglieder bei zu starker Betonung ihrer Selbständigkeit zweifellos bald als Titoisten verdächtigt und unmöglich werden, so daß auf diesem Wege eine Stärkung der Orthodoxen Kirche, die durch die Liquidierung der griechisch- unierten Kirche eingeleitet wurde, zu erwarten ist.

Das Jahr 1951 brachte einen weiteren entscheidenden Schritt: Ende Jänner kam der Patriarch von Kolomea, Nikolaus, in Begleitung des Lemberger Erzbischofs Makarius und dreier weiterer hoher Würdenträger der russischen Orthodoxen Kirche zu einem vierzehntägigen Besuch in die Tschechoslowakei, um hier zwei neue Bischöfe zu weihen und in ihr Amt einzuführen. Am 5. Februar wurde in der St.-Gorazd-Kirche zu Olmütz der Archi- mandrit Cestmi'r Kračmar zum Bischof der Olmütz - Brünner Diözese geweiht, am Sonntag darauf in Preschov der Archimandrit Alexej Dečhterev.

Daß Moskau beide Male den Patriarchen Nikolaus nach Prag entsendet hatte, hat auch gewichtige politische Gründe: der Patriarch, der während des letzten Krieges unter den orthodoxen Gläubigen Rußlands Sammlungen durchgeführt und der Roten Armee in kritischster Zeit eine aus diesem Erlös gekaufte Tankkolonne zur Verfügung gestellt hatte, ist heute Mitglied des Weltausschusses der Friedensverteidiger und war in dieser Eigenschaft auch bei der Pariser kommunistischen Friedenstagung anwesend. In Prag sprach er bei seinem ersten Aufenthalt in Anwesenheit zahlreicher tschechischer Minister und hoher Würdenträger, unter anderen des Patriarchen der tschechoslowakischen Kirche, Doktor Kovar, und des Prager Oberrabiners Dr. Sicher über die Bemühungen der russisch-orthodoxen Kirche zur Erhaltung des Friedens. Er ist Mitglied des Slawischen Ausschusses in Moskau und hat in dieser Eigenschaft 1946 Rußland auf dem Belgrader Slawenkongreß vertreten, ja er gehörte sogar dem Exekutivausschuß des Kongresses an.

Hat Plojhar versagt? Oder arbeitet er für seine Moskauer Auftraggeber zu langsam? Will man sich auf halbem Weg entgegenkommen? Der 1947 errichtete Rat der orthodoxen Missionen, dessen Leiter der Erzbischof von Tula ist, hat jedenfalls bewiesen, daß er sich ein umfangreiches Programm gestellt Hat. Nach den Erfolgen in der Ukraine, in Rumänien und in Ungarn holt er nun in seinem Vorstoß in westslawisches Gebiet weit aus.

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