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Der letzte Raum der Freiheit

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Als in der letzten Phase des Weltkrieges die Sowjets das Steuer ihrer Kirchenpolitik in scharfen Winkeln herumrissen, die Atheistenpropaganda mit strengen Verboten zurücktrieben, hunderte Kirchen wiedereröffneten und gegenüber dem orthodoxen Episkopat einen Modus vivendi schufen, der schließlich zu einer demonstrativen Versöhnung und der Errichtung einer Art Kirchenministerium führte, gingen die Urteile in der überraschten Welt über die Bedeutung des Geschehens weit auseinander. Die einen sahen darin die Merkmale einer nationalistischen Politik, die in einem Frieden mit der Kirche nach den Verheerungen des Weltkrieges für den inneren Wiederaufbau nun auch die religiösen Kräfte zu mobilisieren strebe, die anderen eine Folge einer innerlichen Begegnung des Ostens mit dem Westen in den schweren Jahren des gemeinsamen Existenzkampfes und das Morgendämmern über einem neuen Europa, in dem der Kulturkampf nicht mehr zum Werkzeug einer großzügigen Staatspolitik gehöre; die Skeptiker aber glaubten ein großes Konzept des Kremls zu erspüren, das sehr unsentimentale und wirklichkeitsnahe machtpolitische Ziele ins Auge fasse, zu denen der militärische Endsieg den Weg eröffne, wenn es gelinge, die sichtbaren kulturpolitischen Barrieren umzulegen, die bisher noch den Vormarsch zum Mittelmeer hemmten.

Die reale Lage würde bald klarer, als es sichtbar wurde, daß es nicht um einen grundsätzlichen Frieden der säkularen Macht mit dem religiösen Prinzip ging, da der Kampf gegen das mit Rom unierte katholische Kirchentum in der Ukraine und Weißrußland mit erhöhter Wucht weiterlief und mit denselben Mitteln, die zwei Jahrzehnte zuvor die Verfolgung gegen Erzbischof Cieplak und Msgr. Bud- kiewicz und ihre Gläubigengemeinden in Weißrußland bezeichnet hatten, jetzt bis zur Ausrottung geführt wurde. Der Friede galt allein der orthodoxen Kirche, der großen Geistesmacht der slawischen Welt des Ostens und Südostens, für die man Pläne hatte. Diese Kirche hat vor dreißig Jahren, in der Sturm- und Drangzeit des Bolschewismus, einen Heldenkampf bestanden, der sie physisch fast zerbrochen hat. Von den Inseln der Barentssee bis zu den Ufern des Ochotskischen Meeres füllten sich damals die Straflager mit Zwangsarbeitern, die, Priester, Mönche, Nonnen, der großen Offensive gegen die Kirche zum Opfer gefallen waren; Tausende haben damals mit ihrem Blute ihre christliche Treue besiegelt. Die Geschichte dieses Martyriums ist noch nicht ganz geschrieben. Es hinterließ von der einstigen glänzenden Nationalkirche des Zarenreiches nur einen Schatten. Der tapfere Patriarch Tychon, der 1917 in der letzten Stunde vor der Revolution auf dem Moskauer allrussischen Konzil die Wiederherstellung des Moskauer Patriarchats und seine Erhebung zu dieser höchsten Würde seiner Kirche und kurz darauf ihren abgrundtiefen Sturz erlebt und lange der geübten Gewalt Widerstand geleistet hatte, ging aus dem Kerker als ein halbgebrochener Mann hervor, der bestrebt war, vom Staate wenigstens ein ärmliches Notauskommen zu erreichen. Nicht besser erging es seinem Nachfolger Sergius. Eine Zeitlang schien aus der Mitte der in der Verfolgungszeit ins Ausland geflüchteten Bischöfe ein neues frisches Leben, ein Wiedersichfinden der orthodoxen Kirche zu kommen. Aber auch diese Anzeichen erloschen in dem Streitgetümmel rivalisierender Metropoliten, die der Ehrgeiz selbst in der Not ihrer Kirche nicht ruhen ließ.

Als man im Kreml nach einem Vierteljahrhundert eines konsequent und unerbittlich geführten Kulturkampfes die Kursänderung vollzog, wußte man dort sehr gut, daß die psychologische Situation in der orthodoxen Kirche reif war. In welchem Maße diese Berechnung zutraf, das hat mit überzeugender Eindeutigkeit die panorthodoxe Kirchenkonferenz dargetan, deren Schauplatz Moskau in der vorletzten Juliwoche war.

Für diese illustre Versammlung war eine Tagesordnung angekündigt, die das Verhältnis der orthodoxen Kirche zum Vatikan, die Beziehung zu der dem Zusammenschluß der christlichen Kirchen zugewandten Okurpenischen Bewegung und zur Hierarchie der anglikanischen Kirche behandeln sollte. Der Fernstehende hätte glauben können, daß ein altes Bemühen der Orthodoxie nach Anlehnung an Protestantismus und anglikanische Kirche hier wieder in Erscheinung trete. Aber auf diesem Kongreß bliesen ganz andere Flöten. Das Konferenzergebnis war eine schwere Anschuldigung an die ökumenische Bewegung und eine Absage an deren nach Amsterdam einberufenen Kongreß mit der Begründung, „sofern als diese Bewegung in der Hauptsache politische, antidemokratische und nichtkirchliche Ziele verfolgt“. Noch deutlicher und vehementer wurde die Attacke gegen den Heiligen Stuhl mit einer einstimmig angenommenen Entschließung formuliert, welche „die aktive Rolle des Vatikans bei der Schürung eines neuen Krieges wie überhaupt im politischen Kampf mit der Weltdemokratie verurteilt, die römischen Päpste seien „stets auf Seite der Mächtigen dieser Welt gestanden und gegen die Schwachen und Ausgebeuteten vorgegangen“. Die Tätigkeit des Vatikans richte sich auch heute gegen die Interessen der Werktätigen und sei „das Zentrum der Intrigen gegen die Interessen der Völker, vor allem der slawischen Völker, das Zentrum des internationalen Faschismus“. Diese Entschließung trägt bereits ohne Hülle die politische Marke, deren Herkunft jeder kennt. Das ist keine Kundgebung einer Kirchenversammlung mehr, sondern die Deklaration einer parteipolitischen Körperschaft eindeutiger Prägung.

Die Beschlüsse der Versammlung sind unterzeichnet von dem Moskauer Patriarchen Alexij, dem Patriarch-Katholtkos von Georgien Kallistrat, dem serbischen Patriarche Gavrilo, dem rumänischen Patriarchen Justinian, dem bulgarischen Exarchen von Sofia Stefan; dem Metropoliten Alexander von Emessa im Namen der orthodoxen Kirchen Alexandriens und Antiochiens auf Grund einer besonderen Vollmacht der Patriarchen Christophoros und Alexander, dem Bischof Paisij der albanischen Kirche, dem Erzbischof Timotheus von Bielostock und Belsk im Namen der polnischen Kirche sowie dem Prager Erzbischof Eleutherius namens der orthodoxen Kirche in der Tschechoslowakei.

Nadi den entsprechenden „Säuberungen“, Personenwechseln und sonstigen Vorkehrungen sind die orthodoxen Kirchenführer der Sowjetstaaten und Volksdemokratien und ihr Anhang befehlsgemäß in die politische Front eingerückt, bereits ausgezeichnet geschult und ausgezeichnet gehorsam, wie es sich für Instrumente des Staates, Glieder der staatlichen Totalität geziemt.

Die Bedeutung des Ereignisses darf ebensowenig vom allgemein christlichen, wie vom weltpolitischen Standpunkt aus unterschätzt werden. Der alten orthodoxen Kirche, durch viele Jahrhunderte herauf noch immer Bewahrerin kostbaren christlichen Glaubensgutes, ist der Führerappartt entwunden worden. Bedingungsloser als unter Konstantin Pobjedonoszew, diesem mächtigen Staatsmann, der als Oberproku-

rator des Hl. Synod das zaristische Staats- kirdientum verkörperte, ist sie der Staatsmacht verfallen. Nur das Patriarchat von Konstantinopel und die orthodoxe Kirche Griechenlands sind heute noch von der Umklammerung frei. Das bedeutet politisch, daß Moskau heute dem Goldenen Horn näher ist, als da seine Soldaten an der

Tschadaltschalinie standen, und geistesgeschichtlich, daß im Nahen Osten der letzte Bereich der Freiheit des Geistes und der Gewissen dem totalitären Staat erobert worden ist.

Aber auch das Eiszeitalter, das den Nahen Osten zu vergletschern droht, wird vorübergehen.

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