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Nach sechzig Jahren unter der Sowjetmacht

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Im Mai feiert die russische orthodoxe Kirche den 60. Jahrestag der Wiederherstellung des Pa-triarchiats. Als Oberhaupt der Kirche galt unter den Zaren dieser selbst. Bald nach der Veröffentlichung des Dekrets über die Trennung der Kirche vom Sowjetstaat und der Schule von der Kirche wurde auf der Kirchenversammlung der Patriarch Tichon gewählt Nach der Oktoberrevolution 1917 galt der orthodoxe Glaube nicht mehr als die herrschende Religion. Von nun an durfte jeder Bürger sich

zu einer beliebigen oder zu keiner Religion bekennen. Wenn früher jemand die Kirche nicht besuchte, hatte er Schwierigkeiten in seiner Laufbahn, bei der Aufnahme des Studiums an einer Lehranstalt Mit der Errichtung der Sowjetmacht wurde derartigen Willkürakten ein Ende gesetzt.

In den ersten nachrevolutionären Jahren schlugen sich viele kirchliche Würdenträger offen auf die Seite der Konterrevolution und animierten die Gläubigen, mit der Waffe in der Hand gegen die Sowjetmacht zu kämpfen. Einige Geistliche haben nicht nur auf die Nationalisierung der kirchlichen Ländereien und die Beschlagnahme wertvoller Gegenstände zur Bekämpfung des Hungers im Lande gereizt reagiert, sondern auch auf die Tatsache, daß Millionen Gläubige, vor allem solche, die die Kirche unter Druck oder aus Opportunismus besucht hatten, ihr den Rücken kehrten.

Weitblickende Geistliche nahmen jedoch Kurs auf die Normalisierung der Beziehungen zu den Machtorganen. In der letzten Periode seines Lebens hat auch Patriarch Tichon seine früheren Positionen aufgegeben.

Während des zweiten Weltkrieges trat die orthodoxe Kirche entschieden gegen die faschistischen Eindringlinge auf und appellierte an die Gläubigen, alle ihre Kräfte im Kampf gegen den Feind einzusetzen. Diese patriotische Haltung hob das Ansehen des Priestervorstandes. Nach dem Krieg wurden einige Kirchen, die früher geschlossen oder zerstört worden waren, wiederaufgebaut.

Wie ist nun die heutige Lage der russischen orthodoxen Kirche? Der Patriarch von Moskau und Rußland, Pimen, antwortet auf diese Frage: „Die Gewissensfreiheit wurde durch das Grundgesetz, die Verfassung der UdSSR, garantiert. Alle religiösen Gemeinden, darunter auch die russische orthodoxe Kirche, besitzen gleiche Rechte gegenüber dem Staat, jede hat ihre Selbstverwaltung. In der Sowjetunion werden die Bürger nicht nach Glaubensmerkmalen statistisch er-

faßt Bei der Einstellung in ein Arbeitsverhältnis, bei der Volkszählung, der Ausstellung des Passes wird nicht nach dem Glaubensbekenntnis gefragt. Die sowjetische Gesetzgebung sieht eine strenge Verantwortung wegen jeglicher Schmälerung der Bürgerrechte des gläubigen Teils der Bevölkerung vor. Sie, ebenso wie die Geistlichen, sind vollberechtigte Bürger des Sowjetstaates, beteüigen sich aktiv am politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben des Landes.“

Der Metropolit von Tallinn und Estland, Alexij, Geschäftsträger des Moskauer Patriarchats, ergänzt: „Die russische orthodoxe Kirche hat 73 Eparchien, einige davon zählen an die 1000 Kirchen. Sie besitzt drei geistliche Seminare und zwei Akademien, die von rund 1200 jungen Leuten und Geistlichen besucht werden. Die Kinder erhalten ihre christliche Erziehung und Bildung in den gläubigen Familien. Daß diese effektiv ist, zeigt das Leben: Die meisten unserer Gläubigen, die die Kirchen besuchen, hatten keine spezielle religiöse Ausbildung an den Schulen, dennoch sind sie überzeugte Gläubige.“

„Die Verlagsabteilung des Moskauer Patriarchats gibt eine Monatsschrift heraus, in der die Entschließungen und Verfügungen der höchsten kirchlichen Macht, Meldungen aus den Eparchien, Predigten und theologische Beiträge veröffentlicht werden“, fährt der Metropolit fort. „Jährlich kommen an die 15 Titel theologischer Schriften des Patriarchen Pimen, orthodoxe Kalender sowie Hilfsmaterial für die Geistlichen heraus. Vor kurzem wurden in russischer Sprache in Massenauflagen die Bibel und das Evangelium gedruckt Religiöse Ausgaben werden über die Eparchienzentren und Kirchen in den Gemeinden ungehindert vertrieben.“

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