Keine Hölle auf Erden!

Werbung
Werbung
Werbung

Der geistlich-geistige Erneuerer Ioann Ekonomzew berichtet über die orthodoxe Kirche Russlands und deren Bildungsinitiativen.

Es ist nicht einfach nur Kulturpessimissmus: Archimandrit Ioann Ekonomzew, 66, Gründer und Rektor der orthodoxen Universität "Hl. Johannes der Theologe" in Moskau, hat seine Diagnose der gegenwärtigen säkularen Krise auf die frohe Aussicht ihrer Überwindung gestützt. Sein eigenes Leben gibt ihm dazu berechtigte Hoffnung: Vor 15 Jahren noch habe er sich als Priester wie ein Aussätziger gefühlt. Eine Fremdheit, keine Feindseligkeit, betont er, die nun völlig verschwunden ist. "Auch Kommunisten kommen in die Kirche, gehen zur Beichte , gehen zur Kommunion. Der Einfluss der Kirche ist in hohem Maß gewachsen."

Putin, der Gläubige

40 Kirchen gab es damals in Moskau - jetzt sind es schon über 600 und die Zahl wächst weiter. 70 Prozent der Bevölkerung bekennen sich zur orthodoxen Kirche. Auch Präsident Putin gilt als gläubiger Christ. "Daran gibt es keinen Zweifel, selbst als er noch im Dienst des kgb war - ich kenne den Priester, der ihn betreut hat, war er ein gläubiger Christ, der in die Kirche ging und zur Beichte ging. Er ist nicht Christ geworden erst als er Präsident wurde." Putin war es auch, der die Gründung der Universität unterstützte, indem er ehemalige Gebäude der Staatssicherheit zur Verfügung stellte.

Igor Ekonomzew, Altphilologe, Kulturdiplomat und bedeutender Byzantinist, der während seines mehrjährigen Dienstes in Griechenland bei einem Besuch der Klöster des heiligen Berges Athos und durch die Begegnung mit Aleksij, dem damaligen Metropoliten von Tallinn und Estland und heutigen Patriarchen von Moskau, seine geistliche Berufung erfuhr und 1986 zum Priester geweiht wurde, drei Jahre später Priestermönch Ioann wurde und bald Archimandrit - Erzpriester -, konnte aber erst nach der Wende diese Vision realisieren. "Damals hatten wir noch keine staatliche Anerkennung, wir stellten einfach Sessel in eine Kirche und begannen, natürlich mit dem Segen des Patriarchen, im ersten Jahr mit 60 Leuten" erzählt er lächelnd der Furche.

Erste orthodoxe Universität

Die erste orthodoxe Universität - eine Pionierleistung! Schnell benötigte man mehr Platz, man adaptierte einen Teil des Petrowski-Klosters, bevor dann der Präsident mit seinem Geschenk eingriff, das er inzwischen um weitere zwei Gebäude vergrößert hat. Rund 700 Studenten sind nun inskribiert, durchwegs Laien, die in fünf jährigen Regelstudienzeiten mit staatlich anerkannten Abschlüssen historische, philologische, theologische, und wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge absolvieren können.

Auch eine zweite bemerkenswerte Initiative ging von Vater Ioann aus: Seit seiner Bestellung zum Leiter der Abteilung für Katechetik und religiöse Erziehung des Patriarchats vor 14 Jahren finden alljährlich in der orthodoxen Weihnachtswoche kirchliche Konferenzen statt, die so genannten "Weihnachtslesungen", in denen die Teilnehmer ihre Anliegen und Fragen frei besprechen können.

Zu Beginn kamen 400 Menschen aus allen Teilen Russlands. Inzwischen ist daraus die bedeutendste religiöse Veranstaltung des Jahres geworden, bis zu 10.000 Menschen nehmen teil. Patriarch Aleksij leitet den Eröffnungsgottesdienst. Über 20 (Erz-)Bischöfe, an die 500 Priester, Laien-Mitarbeiter und andere interessierte Gläubige hören stundenlang aufmerksam den Referaten und Kommentaren zu.

Ekonomzew ist einer der bedeutendsten geistig-geistlichen Erneuerer im heutigen Russland. Bei Abendvorträgen in Wien und Graz aus Anlass einer orthodox- katholischen theologischen Studientagung veranstaltet von der Stiftung Pro Oriente, die 2002 diese Gesprächsreihe in Kooperation mit seiner orthodoxen Universität und dem Adam-Möhler-Institut für Ökumenik, Paderborn, initiiert hatte, kritisierte er die "amorphe Zivilgesellschaft" mit ihren "fragwürdigen oft sogar letalen Auswüchsen falsch verstandener Freiheit".

Er warb für eine enge Zusammenarbeit von Schule, Familie und Kirche als "Kooperation im Dienste des Lebens". Die Projekte der Schaffung eines "neuen Menschen" durch Faschisten wie Kommunisten würden heute in bestimmter Hinsicht noch überboten! Durch die Manipulation der Massenkultur "zu einem Leben nach den niedrigsten Instinkten auf der ständigen Suche nach unbegrenztem Konsum!" Dass dies zu einer Versklavung von Millionen Menschen geführt hat - auch mitten in Europa! - durch millionenschwere Geschäfte um Sex, Drogen, Waffen erwähnt er nicht ausdrücklich, nennt aber Bedrohungen wie: Extremismus, Terrorismus, atomare Sicherheit, Beschränkung der verfügbaren Ressourcen, gewaltige ökologische Probleme, neue Seuchen und Drogensucht.

Säkularismus als Ideologie

Sie lassen, meint Ekonomzew, die "Menschheit immer mehr erkennen, dass Beständigkeit, Stabilität und Sicherheit nicht nur vom Grad der Verbreitung aller möglichen neuesten Technologien abhängen, sondern ebenso von der Fähigkeit, soziale, kulturelle und geistig- ethische (seelisch-moralische) Ideale wiederherzustellen, die früher die Völker verbunden haben." Die Kirche Jesu Christi habe die Kraft und den Auftrag, die Menschheit zur Freiheit zu führen. Die Auffassung nur ein strikt säkularer Lebensstil garantiere die Freiheit aller, "das ist bereits eine Ideologie", zitiert er den verstorbenen Gelehrten Sergej Awerinzew.

Über "Sinn und Grenzen menschlicher Freiheit" diskutierten junge Theologen am runden Tisch im kleinen Kreis in Anwesenheit von Vater Ioann Fragen orthodoxer und katholischer Theologie, etwa: Wie lässt sich Religionsfreiheit christlich anthropologisch begründen? Das entsprechende Dokument des 2. Vatikanums war in einem Vortrag präsent. Wie geht ein Seelsorger mit der Gewissensfreiheit seiner Gläubigen um?

Psychologie der Seele

Priester Andrej Lorgus ist nicht nur Dekan der von ihm gegründeten psychologischen Fakultät an der orthodoxen Universität, er ist auch zuständig für Priesterseelsorge und arbeitet derzeit an einem Curriculum orthodoxer Psychologie für Seminaristen, um sie für pastorale Gespräche vorzubereiten. Eine Psychologie der Seele, keine Psychik, betont er. Wie soll er leben, der christliche Mensch. Woran erkennt man ihn? Ist er anders als die anderen? Ist er freier? Eher doch verklemmter, bei so viel Ethik und Sexualmoral - hört man meistens.

"Den Gläubigen zeigen zu können, dass der christliche Glaube der Raum der Freiheit ist, nicht die Enge von Regeln und Normen", hält er für vordringlich. Das Christentum ist die Religion der Freiheit, sind sich die Theologen am Ende der Tagung einig. Einer Freiheit die nicht beliebig ist, sondern verantwortet werden will. "Für etwas", nämlich die Liebe, "von etwas", nämlich den Begrenzungen durch die Schatten der Erbsünde, die das Bild und Gleichnis Gottes, zu dem der Mensch einst geschaffen wurde, verdunkelt, aber nicht ausgelöscht hat, das durch Christus wiederhergestellt wurde.

"Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe" - die westliche Theologie unterstreicht hier die Verwirklichung des wahren Menschseins, während für die östliche Theologie die Vergöttlichung des Menschen durch die Nachfolge Christi dazu die Voraussetzung ist: Beides ist vom Menschen als Abbild Gottes in Gemeinschaftlichkeit, als Person zu leben.

www.prooriente.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung