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Moderne Ikonen

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Ikonen kennen wir als Kultgegenstand der orthodoxen Kirchen, und ebenso, wie eine geweihte Kerze, sind diese Sakramentale auch Symbole. Allerdings mit dem Unterschied, daß diesen Gegenständen aus Holz der Weiheakt allein nicht genügen wird, sondern sie müssen von sich aus, also durch die Darstellung, gewissermaßen berufen sein. Die Konstruktionsprinzipien der Ikone liegen nämlich nicht allein im künstlerischen Bereich, sondern sie sind begründet in der Doppelbewegung, die durch die Menschwerdung Gottes und der Vergöttlichung des Menschen begründet ist. Damit müssen Gesetze gewußt und Regeln eingehalten werden, die einem profanen oder irgendwie frommen Kunstwerk nicht auferlegt sind. Es ist eine bekannte Tatsache, daß die Kenntnis und das Befolgen der Naturgesetze, zum Beispiel bei der Konstruktion einer Maschine, einen entscheidenden Einfluß ausübt, nicht nur auf das Funktionieren, sondern auch auf ihre Schönheit. Ein Künstler wiederum findet diese Zuordnung weniger durch eine analytische Determination, sondern mehr durch eine ihm als Talent zugängliche Vision. Und auch der Beter sagt nicht nur fromme Worte, sondern wird im Sinne der religio Schwellen überschreiten und Gebiete betreten, wo die ratio klein geschrieben ist. *

Auf diese Weise ist der Zusammenhang zwischen Kunst und Religion zurückgeführt auf die tiefsten Anlagen des Menschen, und zeitweise sind beide Begriffe identisch. Schon in der Morgenröte der Menschheit gab es die Bilder von Gott und den Götzen, und das Judentum verweigerte beiden die Anerkennung. Als in der antiken Kirche die Ikone ein besonders wichtiges Ausdruckmittel des Glaubens wurde, hat nach schweren Auseinandersetzungen das siebente Konzil von Nicäa diesen Fragenkomplex theologisch gelöst durch die Feststellung: Götzenbild und Ikonen sind streng zu unterscheiden. Götzenbilder zeigen eine fiktive, nicht existierende Gottheit, Ikonen sind Darstellungen des wahrhaften Gottes und seiner Heiligen als christliche Glaubenslehre. Das Unterscheidungsmerkmal liegt also nicht im Bereich von Schönheit und Ausdruck, sondern die Ikone tritt als bildhafte Gottesverehrung neben das Evangelium und ist dadurch auch zeitlos.

Geschichtlich gesehen, sind die Ikonen mindestens vor dem 4. Jahrhundert nach Christus in den alten nichtrömischen Patriarchaten Alexandrien, Antiochien, Byzanz und Jerusalem entstanden. Sie sind später wegen der Dominanz von Byzanz besonders von dort aus beeinflußt und wunderbar gepflegt und entwickelt worden. Ihre Definition aber ausschließlich auf dieses Erbe anzulegen, würde nicht einmal geschichtlich korrekt sein, obwohl der geographische Ausbreitungsbereich ebenfalls zu dieser Auffassung verleiten könnte.

Eine solche Beschränkung würde vielleicht dem Kunsthändler entgegenkommen, weil ein endgültig Abgeschlossenes der Kauflust des säkular denkenden Kunden besonders förderlich Ist, sie würde aber nicht berücksichtigen, daß der symbolhafte Aussagewert der Ikone ihrem Wesen nach ganz unabhängig ist von der Nation, dem Ort und den Umständen ihrer Entstehung. Diese Unabhängigkeit leitet sich ab von der absoluten Invarianz, die dem Glauben des Christenmenschen innewohnt.

Wenn nun also seit etwa hundert Jahren die vorher eineinhalb Jahrtausend währende Ikonenkultur nicht mehr lebend existent, sondern museal geworden ist, so hängt das nur mit den bekannten Phänomenen des 19 Jahrhunderts zusammen. Vorläufer dieser Entwicklung sind allerdings bereits im 16. Jahrhundert erkennbar. Damit ist das Zeitalter der aus den spätantiken hervorgehenden klassischen Ikonen, die in der Dekadenzperiode in bäuerlichen Formen ausklangen, ohne Zweifel zu Ende gegangen. Mit der Substanz aber und ihrer Möglichkeit, auch in Zukunft unverändert und unvermindert da zu sein, hat diese Entwicklung nichts zu tun. Denn die Vorstellung, daß die Ikonen einer zwar sehr verehrungswürdigen, aber doch vergangenen Kultur angehören müssen, ist ein hauptsächlich westliches Mißverständnis: man sieht zu sehr die fast unendlich lange währende Verbindung der Idee der Ikone mit der byzantinischen Kultur und vergleicht sie mit den westlichen Stilperioden, die ja wirklich historisch genau begründet und begrenzt sind. Genauso aber wie Thema und Inhalt westlicher religiöser Kunst zum Beispiel von der Romantik zur Gotik usw. weitergetragen wurde bis heute, ist auch die Idee der Ikone lebensfähig und heu, solange Christus als Gott geglaubt wird. Da dieser Glaube zwar national entfaltet, aber niemals national beschränkt sein kann, ist nach der Definition jeder Christ Anwärter auf die Möglichkeit, diese Idee zu verstehen und zu verwirklichen.

Damit erscheint mir die Frage, ob die Schaffung von Ikonen in unserer Zeit möglich ist, bejahend beantwortet, und die weitere, aber nicht kleinere Aufgabe, besteht darin, es wirklich zu tun —, worum ich mich seit etwa 30 Jahren sehr bemühe. Es liegt in der Natur der Sache, daß der Beweis, der da zu erbringen ist, nicht mit einigen wenigen Arbeiten“ geführt werden kann, weshalb ich damit erst an die Öffentlichkeit trat, als eine genügend große Anzahl von Ikonen vorhanden war, die in einer Ausstellung gezeigt werden konnten. Dem Weitblick des Bürgermeisters von Baden bei Wien, Direktor Viktor Wallner, war es zu danken, daß 1967 das Kulturamt dieser Stadt hierfür das Beethovenhaus zur Verfügung stellte, und es war entscheidend, daß zuständige Kreise sowohl der römisch-katholischen als auch der orthodoxen Kirche hierfür ihr Einverständnis gegeben haben. Die empfindlichste Seite dieses Projektes ist ja die zwingende Notwendigkeit, daß sich diese Arbeiten in Übereinstimmung mit dem Glauben und der Lehre, mit dem Dogma und — aber nur zwingend, was die Substanz betrifft — auch mit der Tradition befinden müssen. Es wäre unmöglich und häretisch, eine so durch die Religion bestimmte Kunst neben, außerhalb oder gar gegen die Meinung der Kirche zu betreiben, zu zeigen oder zu verbreiten, *

Erzbischof-Koadjutor Dr. Jachym und der griechisch-orientalische Metropolit von Austria, Chrysosto-mos Dr. Tsiter, hatten durch Ihre gemeinsame Patronamz diesen modernen Ikonen den Weg geebnet. Insbesondere ist der griechische Erzbischof dem Herkommen und dem Thema nach für ein Urteil darüber besonders berufen, und seiine Förderung ist als Ermunterung aufzufassen für eine Arbeit, deren Konsequenzen von kulturgeschichtlicher, geistes- und religionsgeschichtlicher Bedeutung sind und die nicht zuletzt Auswirkungen auf das praktische christliche Leben haben können.

Deswegen hat auch der zuständige Fachprofessor und Inhaber der Lehrkanzel für Christliche Kunst an der Universität Saloniki, der Stadt mit dem am besten bewahrten byzantinischen Erbe, Dr. K. Kalo-kyris, das dem Deutschen Außenamt angegliederte Goethe-Institut In Griechenland empfohlen, diese Arbeiten dem Publikum zuerst vorzustellen, das hierfür besonders zuständig ist, nämlich der Kirch in Griechenland, den interessierten Kreisen der Universität und dem gläubigen orthodoxen Volk. Seit Mitte November 1968 finden diese Ausstellungen in Saloniki und Ka-vala, derzeit in Athen, anschließend in Chiania auf der Insel Kreta und vielleicht anschließend auch auf Cypern statt.

Allgemein sind dort diese „Modernen Ikonen“ außerordentlich gut aufgenommen worden, der Erfolg hat die Erwartungen weit übertroffen. Womit nicht gesagt ist, daß es vereinzelt nicht auch Zurückhaltung und Widerspruch geben würde, das geschieht hierzulande fast jeder modernen Bemühung im Kirchenbau ebenso. Ohne hier auf Einzelheiten dieser Ausstellungen einzugehen und deren endgültiges Ergebnis vorwegzunehmen, kann man doch bereits Jetzt feststellen,

daß erstens die Ikonen als Angelegenheit der ganzen Christenheit dort wirklich empfunden werden und nicht etwa nur beschränkt auf die Ostkirchen,

daß zweitens somit auch ein Christ, der seiner Herkunft nach nicht dem orthodoxen Raum entstammt, berufen sein kann, Ikonen in unserer Zeit zu erneuern,

daß drittens eine Erneuerung der Ikonen als in unserer Zeit durchführbar gehalten wird, daß viertens die vorliegenden Arbeiten als ein hierfür gangbarer Weg angesehen werden und diese daher als Ikonen akzeptiert werden und daß fünftens diese Arbeiten eine Hoffnung sind im Sinne der Ökumene, weil sie eine neue gemeinsame Bemühung begründen: so spricht auch das Organ der Deutschen Evangelischen Kirche von Griechenland davon, daß es ein ökumenisches Ereignis sei, „daß die Ikonentafeln eines katholischen Christen im Raum einer evangelischen Gemeinde ausgestellt werden, wobei die Einführung durch einen Professor der orthodoxen Theologie erfolgt“.

Zurückreichend bis in die Tage der Urkirche sind die Ikonen dem Gottesvolk Evangelium, Kultbild und Andachtsbild und im Kampf gegen die Ungläubigen auch Kirchenfahne gewesen — und in allem Gegenstand höchster Verehrung. Sie waren auch Zankapfel der Theologie und Widerpart der Häresie, aber jenseits des Schismas begründet im Credo. Es ist gut, daß wir versuchen, einander dadurch näher zu kommen, daß wir Mißverständnisse aufdecken und unsere Schuld bekennen. Überbleiben wird dann aber doch das in historischen Ereignissen begründete Selbstverstehen. Die Chancen für die Zukunft des Christen sind in der tätigen Liebe und in allem, was aus dem einzigen Ursprung durch gemeinsame Bemühung neu hervorgeht. In diesem Sinne kann die uralte Ikone ein Leitbild für morgen sein, und wenn es mir gelingt, dies anzuregen, wäre ich froh.

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