6532186-1945_02_12.jpg
Digital In Arbeit

Die Bildkunst des christlichen Ostens

Werbung
Werbung
Werbung

Die Kriegsjahre haben viele in Rumänien, Polen, Rußland mit den Schöpfungen der Inkonenmalerei bekanntgemacht, ohne daß sich den meisten der Beschauer völlig Sinn und Wesen dieses fremdartigen Bildschaffens erschlossen hätte. So mag es mancher vieleicht willkommen heißen, wenn hier einiges über Geschichte und Erklärung der Ikonen gesagt wird.

Es war eine der großen Taten des Christentums, daß es im Leben des Glaubens die Kunst bejahte. Dieses Wagnis Jiat seine tiefe Begründung im Heilsdogma, daß die zweite Person Gottes auch wahrer Mensch wurde.'Das wurde auch die geistige Grundlage, auf der im Ikonoklastenstreit des 8. Jahrhunderts im christlichen Osten die bilderfreundliche Partei den Sieg davontrug. Diese Auseinandersetzung begann mit dem Verbot, Bilder in das Kultleben einzube-ziehen, das im Jahre 725 von Kaiser Leo III. erlassen wurde. Beendet wurde der Konflikt von Theodora 843 durch die Wiederaufstellung der Kultbilder. Was dieses Ereignis für den Osten bedeutete, zeigt die Tatsache, daß noch heute ein kirchliches Fest daran erinnert, das „Fest der Orthodoxie“. Dieser Streit der Ikonoklasten und Ikonodulen bildete den Ausgangspunkt, die breite geistige Fundierung, auf der dann der große Reichtum eigenartigster ostkirchlicher Bildkunst einsetzte, die durch weite Jahrhunderte das ' Dämmer der Kirchen mit der Leuchtkraft ihrer Farben durchglüht. Diese Kunst hat wohl auch zeitweise in einzelnen mit dem Osten in regerer Verbindung stehenden Gegenden der Westkirche Fuß gefaßt, aber sie ist hier nie völlig heimisch geworden. Die Bildkunst des christlichen Ostens und die des Westens gingen gesonderte Wege. Während im Westen die Formen sich wandelten und jeder Künstler aus eigener Kraft Neues zu schaffen suchte, schwingen sich im Osten zwischen Darstellungen des gleichen Themas Brücken über weite Zeiträume.

Die Ikonenmalerei ist „heilige“ Kunst in zweifacher Weise. Als Privatikone gibt sie dem christlichen Heim seine Weihe und im Gotteshaus ist sie dem Leben der Liturgie eingegliedert. Sie hat ihren Platz an der Ikonostase, der Bilderwand, die den Altarraum gegen die Gemeinde abschließt. Die Türen, durch die der Gläubige den Altar erblickt, sind gerade während der Hechmesse geschlossen. So hat die Gemeinde beim heiligsten Geschehen der Liturgie die geschlossene Bilderwand vor sich und empfängt von dort her die Formung zum Muleben mit dem Mysterium der Meßhandlung.

Nur Themen, die mit der Liturgie engstens zusammenhängen und das Wesen der neuen Seinssphäre verkörpern, sind der Darstellung wert. Die Bilder der göttlichen Dreieinigkeit, der Engel und die Hauptereignisse des Heilsgeschehens, des Lebens Jesu auf Erden, stellen die Hauptthemen. Besonders liebevolle Verwendung findet das Bild Mariens. Auch die Heiligengestalten der- Ostkirche werden oft gemalt. Da die Themen einem theologischen Programm entsprechen und die Ikonen in der heiligen Liturgie ihren Platz haben, ist ihre Herstellung eine heilige Handlung und mit gewissen Vorschriften verbunden. Nicht jeder darf Ikonen malen, nur eigens bestellte Malermönche. Unter Beten und Fasten gehen sie ans Werk und nur an bestimmten Tagen der Woche malen sie das heilige Bild. Die Farbe wird mit geweihtem Wasser und unter Berühren mit Heiligenreliquien bereitet und der profanen Dingwelt entzogen für den Gottesdienst. So schreibt es das Malerhandbuch vor, das von Generation zu Generation weitergegeben wird und durch Jahrhunderte die Anleitung für die Ikonenmaler bietet. Das berühmteste, das uns erhalten ist, ist die „Hermeneia“ vom Athosberge, diesem Hauptpunkte mönchischen Lebens der Ostkirche, auf dem abgeschnürten Vorgebirge der Halbinsel Chal-kidike begründet, das weit ins tiefblaue griechische Meer hineinragt, von einer unglaublichen Pracht der Vegetation erfüllt. Die Malerhandbücher enthalten nicht nur die Aufzeichnung der Zeremonien, unter denen die Ikonen gemalt werden müssen, sondern sie geben auch Anweisung, wie das Bild auszusehen hat. Denn dieses Bild ist nicht Abbild des Lebens der Welt, die zeitlichem Wandel unterworfen ist, sondern es ist in das Leben des erlösten Menschen hineingenommen, also einbezogen in das Leben der Gottesgemeinschaft. Dort aber lebt die unveränderliche Ewigkeit. Denn Gott ist der Seiende. Und daher muß auch die Ikone der Form nach unverändert bleiben. Dem Denken der Ostkirche im Dogmatischen konnte nur dieses theologisch durchformte Bild entsprechen. Damit die Ikonen immer dem theologisch-dogmatischen Inhalt getreu blieben, mußte auch die Bildform genau umschrieben sein.

Das aber brachte mit sich, daß der Ikone eine große Bewegungslosigkeit eignen mußte. Sie wird durch Beschränkung auf wesentlichste und einfachste Mittel der Darstellung erreicht. Die Personen werden frontal zum Beschauer gestellt. Durch das Bild zieht eine Symmetrieachse, der die Komposition eingeordnet wird. Handelt es sich um die Darstellung von mehreren Personen, so werden diese entweder frontal nebeneinander aufgereiht oder zu einfachen Gruppe zusammengefaßt, die ihrerseits wieder einer symmetrischen Komposition eingeordnet sind. Das Kompositionsprinzip besteht meistens aus einfachen mathematisch klaren Formen, .etwa Kreis oder Ellipse. Die Körperbewegungen werden auf ein Minimum beschränkt; wo sie aber zum klaren Ausdruck des Bildes notwendig sind, erlangen sie eine hieratische Starrheit.

Gemeinsam mit diesem Ausdruck des Ewigen wird die Ikone vom Geistigen geformt. Dadurch gewinnen die beseeltesten Organe des Körpers — Antlitz und Hand — ihre Ausdruckskraft. Es geht der Ikonenmalerei daher nicht um Porträttreue, sondern um Betonung des Geistigen im Gesicht. Die persönlichen Züge sind vollends zurückgedrängt und die das Antlitz durchziehenden Linien wirken in ihrer Beschränkung auf Wesentlichstes und völlige Vermeidung jedes, auch nur des geringsten persönlichen Zeichens, wie gemeißelt. Der bildbeherrschende Mittelpunkt wird das Auge, das darum auch oftmals übergroß gezeichnet wird. Dieser Ausdruck des Geistigen ist das primäre Anliegen der Ikone. Ihm dienen auch Körper, Gewand, Natur und Kultur. Denn alles ist durch die Menschwerdung Gottes erlöst und zu einem neuen Sein berufen. Der Körper verliert die starke Betonung seiner Körperlichkeit und ordnet sich den Kräftebahnen der Komposition unter. Das Gewand umspielt nicht mehr den Körper, sondern nimmt durch die geistige Durchformung ein scheinbar höchst eigenartig unstoffliches Leben an. Auch Landschaft und Architektur ordnen sich dem neuen Prinzip ein. Wieder geht es nicht um getreue Wiedergabe einer bestimmten Gegend oder örtlichkeit, sondern Landschaft und Architektur haben zwei Aufgaben: die Dareilung des Bildes zu verdeutlichen und bei größeren Kompositionen eine feste, zusammenfassende Klammer zu bilden. Sie schließen sich daher auch dem Charakter der Thematik an und gewinnen von da her oft eine veränderte, aber ausdrucksgesättigte Form. Rein linear flächig ist die Malweise als Ausdruck der geistigen Welt gegenüber der plastisch körperlichen. Daher sind Schatten bei Ikonen niemals berücksichtigt.

Dabei aber kann die Ikone niemals auf Körper und Landschaft verzichten. Denn nicht die Auflösung oder Verneinung des irdischen Lebens bejaht der Christ der Ostkirche, sondern eine Umformung infolge der Erlösung durch die Inkarnation Gottes.

Von diesem der abendländischen Malerei fremden Gestaltungsprinzip her rückt auch die Bedeutung der Farbe in ein neues Licht. Durch die Farbe erlangt die Ikone erst ihr wunderbar geheimnisvolles Leben. Dadurch, daß nur wenige reine, ungemischte Farben verwendet werden, die gleichmäßig größere Flächen füllen, gewinnen diese eine Art mystische Geistigkeit und eine geheimnisvolle Leuchtkraft, die im Dämmerlicht der Kirchen eigenartig aufglüht. Diese Farben werden thematisch genau angewendet. Jeder eignet eine eigene Symbolkraft. Genau sind die einzelnen Farben für die Kleidung bestimmter Personen vorgeschrieben. Und dem Kompositionsgesetz der lebendigen Ruhe der Ikone als Ausdruck des Ewigen unterwirft sich auch die Farbanordnung in einer bestimmten symmetrischen Ausgewogenheit. Die Ikone ist eine theologische Kunst. Über Jahrhunderte hinweg haben sich ihre Darstellungen nur wenig verändert, so wie auch die geistige Welt ewig unveränderlich ist und wie auch die Theologie auf gleichbleibender Grundlage fußt. Art und Anliegen der Ikonenmalerei sind wesentlich christlich, mag auch ihr formeller Ursprung sich aus dem Mumienporträt der Spätantike herleiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung