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WARUM KEINE AUFERSTEHUNG?

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Cieht man von den dekorativen, mehrdeutigen *^ und ungegenständlichen „7 Lithos sur le theme de Päques“ Manessiers ab, so ist es beinahe erstaunlich, wie in der zeitgenössischen Kunst seit 1900 das Thema der Auferstehung aus der Darstellung in der Malerei ausgeschieden erscheint. Wohl erinnert man sich an Bilder von Maria und Karl Caspar (München), die unter dem Einfluß von Münch stehende Versionen des „Noli me tangere“ und der „Auferstehung aus dem Grabe“ schufen, sie sind aber künstlerisch nicht so bedeutend, daß sie zu zeitgemäßen Formulierungen des Themas gezählt werden können. Chagalls „Auferstehung am Flußufer“, eines seiner schwächeren Werke, drängt sich der Erinnerung auf, erweist sich aber mit dem österlichen Thema der Auferstehung des Herrn bei näherer Betrachtung nur lose und indirekt verknüpft. In diesem Bilde schwebt nämlich der gekreuzigte Christus waagrecht über einer Flußlandschaft, die sich in die Häuserzeilen einer östlichen Stadt verliert, und von unten drängt eine Fülle von Gestalten zum linken Arm des Gekreuzigten empor, dem ein Blumenstrauß dargebracht wird. In der Verknüpfung dieses aufstrebenden Motivs mit einer Selbstdarstellung des Künstlers vor der Staffelei, ist wahrscheinlich eher das poetische Gleichnis der geistigen und seelischen Auferstehung der Menschen — zu Christus hin — zu sehen, als eine Darstellung des österlichen Geheimnisses.

Die „Biblische Landschaft“ von Georges Rouault könnte wohl als ein Emmausbild verstanden werden, sö augenfällig scheint in den drei Figuren Christus mit den beiden Jüngern durch die Landschaft zu schreiten. Nimmt das Bild aber schon durch sein Sujet nur indirekt auf die Auferstehung Bezug, so sind in Wirklichkeit die drei Personen auch nicht der eigentliche Gegenstand des Bildes. Nur blockhaft, andeutend im Vordergrund hingesetzt, verschmelzen sie fast mit der Landschaft, über deren wie aus Lava gebildeten Strukturen eine gelbrot glühende Sonne steht Was dieses Bild im eigentlichen zur Darstellung bringt, ist ein merkwürdiger Friede, der trotz aller scheinbaren Erregtheit des malerischen Vortrages von ihm ausgeht, ein Friede, der ähnlich und ganz verschieden aus den Bildern Lorrains strahlt und der hier den österlichen Charakter des Bildes suggeriert.

Der deutsche Expressionismus hat vor allem in der Graphik zahlreiche religiöse Motive zur Darstellung gebracht. Immer wieder aber handelt es sich um die Passion, Christus als Schmerzensmann, um die Betonung des leidvollen Aspekts, der der Auferstehung vorangeht, der Christus in Seiner menschlichen Erniedrigung zeigt und nicht in Seiner triumphalen Erhöhung, als Sieger über Schmerz und Tod. Lovis Corinth ging in seinen „Ecce-

Homo“-Darstellungen so weit, daß er sich selbst physiognomisch mit Christus identifizierte, seinem persönlichen Drama damit beinahe blas-phemisch die Akzente des göttlichen Dramas verleihend. Hier ist eine äußerste romantische Subjektivität erreicht: das Leid des Herrn wird als Spiegel menschlicher Verzweiflung benutzt, menschlicher Schmerz zum Maßstab göttlicher Größe genommen.

Das kennzeichnet eine Haltung, der Gläubigkeit und Transzendenz fehlt, die das Leben Christi nur als Menschenschicksal begreift und die die Bibel nicht als Heilsgeschichte versteht. Schon im Isenheimer-Altar von Matthias Grünewald waren in der mächtigen Kreuzigungsgruppe subjektive Vorstellungen aufgetaucht, die erst durch das Flügelbild der Auferstehung ihre Entschärfung erhalten. Das dominierende Übergewicht des als „proletarisch“ gekennzeichneten Christuskörpers, mit seinen mit äußerster Genauigkeit dargestellten Leidenszeichen, den Stigmata entwürdigten und geschundenen Fleisches, verschiebt das Gewicht so sehr auf die Agonie, den hoffnungslos menschlichen Tod, daß, würde diese sich in den Farben der Sonne vollziehende Auferstehung aus der Nacht nicht sein, ihr Mysterium unbegreiflich und unglaub-bar bliebe.

Hier, bei Grünewald, entwickelt sich eine Auffassung, die das Leidensgeschehen gegenüber dem Heilsgeschehen übermächtig zu machen beginnt und es als selbständige Einheit der frohen Botschaft, die in der Auferstehung gipfelt, entgegengestellt. Früher wäre das undenkbar gewesen. Ein Sinnzusammenhang einte die Darstellungen, in denen Christus selbst am Kreuz als Überwinder des Todes — den Schädel Adams zu Füßen — und als König gekrönt erschien. Diese Subjektivität, die sich bei Grünewald zum erstenmal machtvoll ausspricht, kennzeichnet auch die moderne Kunst. Chagall ist ihr einzuordnen und auch Picasso, von dem es — kaum bekannt — mehrere Darstellungen der Kreuzigung gibt. 1927 tauchen bei ihm Zeichnung zu einer Kreuzigung auf, in einem aus Kurven zusammengesetzten metamorphosisehen Stil, wobei sich die Arme Christi über die ganze Breite des Blattes erstrecken. 1929 entstehen weitere Zeichnungen, die nun auch die Gestalt der Magdalena einbeziehen, und 1930 schließlich ein kleines Bild der Kreuzigung, bei dem in der Gestalt Christi auf frühe römische Zeichnungen zurückgegriffen wird. Sein komplizierter Aufbau, seine Mischung von traditioneller Ikonographie mit den verschiedensten persönlichen Stilelementen des Künstlers machen es zu einem eigenartigen Dokument. Bemerkenswert erscheint dabei, daß Christus, wohl im Mittelpunkt, aber eher vom Geschehen verdrängt und nicht als Leidensgestalt, sondern als kindhafte Erscheinung dargestellt wird. 1932 folgt eine weitere Serie von Zeichnungen Picassos, die die Karlsruher Kreuzigung von Grünewald als Grundlage für freie Variationen benutzt und sie in den Knochen- und Steinformen seiner Monumentzeichnungen wiederholt. Auch hier liegt der Akzent auf der Darstellung der Agonie. Auferstehung und Verklärung scheinen unmöglich geworden. Der Sinnzusammenhang, der vom Leiden zur Auferstehung führt, ist entscheidend gestört und zerbrochen. So braucht es auch weiter nicht zu verwundern, wenn in den Dekorationen der Kirchen von Audincourt und Vence, durch so bedeutende Künstler wie Leger und Matisse, der Ostergedanke keine bildliche Darstellung erfährt. Vence besitzt wohl einen Kreuzweg, aber keine Auferstehung. Der Kreuzweg, den Matisse in einfachen Strichzeichnungen für die Hinterwand der Kapelle anfertigte, wobei er von zahllosen Studien traditioneller Darstellungen ausging, erhält durch das Licht der Glasfenster, die abstrahierte Blattmuster darstellen, seine besondere Weihe. Es wäre nun durchaus möglich, dies so zu interpretieren, daß die Glasfenster, die den Höhepunkt der künstlerischen Leistung in diesem Falle darstellen und die verklärte Schöpfung auszudrücken scheinen, den Auferstehungsgedanken in den sakralen Raum tragen. Wäre es so, dann würde sich eine merkwürdige Kongruenz zu den Glasfenstern in Audincourt ergeben, in denen Leger die Marter-

Werkzeuge der Passion als Motiv verwendet. Letzter Höhepunkt ist das Fenster der drei leeren Kreuze, während im Mittelpunkt die Darstellung des allerheiligsten Herzens steht. Bei Matisse wird die Darstellung der Passion auf einfache freie Zeichen reduziert, die noch die Erinnerung an die menschliche Gestalt bewahren, bei Leger sind es von der Volkskunst her befruchtete Vereinfachungen, die sich mit freien Gebilden paaren. In beiden Fällen erscheint der Gedanke der Auferstehung als Zufälliges, nicht Mitgedachtes, im Mittelpunkt stehen die Formeln der Leidensdarstellung, ;tf

Die Ausscheidung der, Auferstehungsdarstel-lung aus dem Bereich der bildenden Kunst hat tiefe Gründe. Die seit langer Zeit fortschreitende Subjektivierung in der Kunst schließt meist den höheren geistigen Zusammenhang aus. Heute mehr denn je sieht der Künstler im Medium des Bildes, der Plastik, der Graphik, das Mittel zur Selbstdarstellung. Die Kunst wird ihm dabei zum Mittel eines Indivi-duatiensprozesses, das heißt, er stellt seine Stationen auf einem Wege, er stellt sich selbst dar, wobei durch die Negation des Dialogischen die letzten Möglichkeiten zu einer objektiven Sicht auf sich selbst und die Welt ausgeschaltet werden. Der Affekt ersetzt die Distanz, die Ge-stimmtheit die Erkenntnis. Kunst wird nicht Mittel zur Bewältigung, Sinngebung und Entschlüsselung der Welt, sondern zur autonomen Projektion. Der Geist, der sich in der Form offenbaren sollte, ist der ungeformten und unkontrollierten Empfindung gewichen, die sich in den Spasmen organischer Reflexe zu lösen versucht. Daß hier der Gedanke der Auferstehung fern sein muß, geschweige denn die Möglichkeit, ihn anschaulich darzustellen, ist wohl einleuchtend. Denn er kann sich nur im Geiste vollziehen, der den ganzen Menschen erfassen muß. Voraussetzung dafür ist ein wirkliches inneres Erlebnis, das aus dem Bereich des Glaubens stammt, eine Voraussetzung, die nicht immer gegeben ist.

Nach objektiven und gläubigen Kriterien strebt die Darstellung der Auferstehung durch Herbert Boeckl, die die äußeren Flügel seines Altars bildet und die das „Noli me tangere“ mit der Gestalt des am Grabe sitzenden Christus verbindet. Der Tiefenraum erscheint in ihr auf die Räumlichkeit der Christusgestalt und des Engels verkürzt, in einer nach vorne drängenden Gegenwärtigkeit, der noch die frontale Haltung dieser beiden Erscheinungen dient. In ihre hieratische Strenge bricht die violette Leidensgestalt Magdalenas, die sich anbetend und fordernd zugleich auf die Knie geworfen hat. Die Hand, die der Engel auf ihre Schulter legt, ist Verweis und Beruhigung zugleich, die Gebärde Christi, der sich wie der Engel unmittelbar dem Beschauer zuwendet, Verheißung und Beruhigung. Die frohe Botschaft der Auferstehung hat hier eine schlichte und gültige Form gefunden, die aus dem persönlichen Erlebnis gekeltert erscheint und die in alleT Demut das unerhörte Ereignis anschaulich macht: „Er ist wahrlich auferstanden.“

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