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IKONE UND CHRISTI ANKUNFT

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Die wohlgehüteten Schätze der östlichen Tafelbilder, die allgemein den Namen „Ikonen“ tragen, sind seit einiger Zeit aus ihrer Verborgenheit im ehrwürdigen Katharinenkloster auf dem Berge Sinai, in den Sammlungen des heiligen Berges Athos und anderer öffentlicher und privater Stellen in Europa und Amerika mehr ins Licht der Öffentlichkeit gestellt worden. Das ist zunächst verschiedenen Gelehrten zu danken, die vor allem im Zusammenhang mit Entstehung und Ausbau des Ikonenmuseums in Recklinghausen die Zeit gekommen sahen, sowohl der Fachwelt als auch einem breiteren Kreis gekommen sahen, sowohl der Fachwelt als auch einem breiteren Kreis von aufgeschlossenen Laien in Form von Einzelpufoiikationen (zum Beispiel H. Skrobucha, Meisterwerke der Ikonenmalerei, 1961. — K. Weitzmann usw. Frühe Ikonen, 1965) oder Reihen (Ikonen: hrsg. v. M. Winkler, Iconographia Ecclesiae Orientalis: hrsg. v. H. Skrobucha) diese für viele völlig neue Welt von Bildern zugänglich zu machen. Dazu kommt eine Fülle von Ikonenbildern auf Postkarten, in Kalendern oder auf Holz aufgezogen — ja, man hat manchmal den Eindruck, als würden auf dem weiten Feld der geschmackvollen religiösen Bildmotive für das Volk diese östlichen Darstellungen die von früher her gewohnten Motive aus der westlichen Kunst in den Hintergrund drängen. Schließlich häufen sich Ikonenausstellungen — man denke nur an die im Münchner Stadtmuseum mit vielen Beständen aus Recklinghausen im vergangenen Sommer —, die doch eine beachtliche Zahl von Besuchern immer wieder an- ziehen.

Manche sprechen angesichts dieser Tatsachen vom Faktum einer weitreichenden „Ikonenmode“, wobei mit dieser Feststellung wohl auch mit Ernst an die Frage gerührt wird: Kann man Ikonen einfachhin ausstellen, zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung mit darauffolgender Publikation machen, kann man sie ohne weiteres als gedruckte Karten den Menschen in die Hand geben, sind diese Bilder des Ostens nicht mehr als bloße Möglichkeiten, Freude für das Auge und Bereicherung für das religiöse Wissen zu bieten? Würde man diese Fragen einem Mann aus dem religiösen Volk oder einem Theologen des Ostens vorlegen, so bekäme man von den meisten eine Antwort, die den Menschen aus dem Westen mit seiner völlig andersgearteten Bildauffassung zuerst einmal sicher verwirren würde. Die Antwort würde nämlich lauten: Die Ikonen sind von ihrem Wesen her die „ungeeignetsten“ Objekte einer Ausstellung in profanen Räumen, einer Reproduktion auf Bildkarten oder einer rein wissenschaftlichen Analyse. Ikonen sind eben keine Bilder in unserer, dem ursprünglichen BiLddenken zum Teil so weit entfernten westlichen Auffassung. Sie sind mehr als bloße Möglichkeiten einer besonderen Vermittlung der Kenntnis der Heilsgeschichte in den Gestalten Christi, Mariens und der anderen Heiligen, Ikonen sind nicht an erster Stelle künstlerische Mittel, um den Betrachter zu belehren, durch die Schönheit des Dargestellten zu erfreuen.

Das, was dargestellt wird, ist zwar, zum Teil wenigstens, durchaus geeignet, zu belehren, die Kenntnis über die Geheimnisse unserer Erlösung zu bereichern und dazu noch durch künstlerische Formung zu entzücken — aber eigentlich will die Ikone etwas anderes: Sie möchte das, was sie darstellt, vergegenwärtigen — nicht bloß im Gedächtnis des Betrachters irgendwie wachrufen, vor Augen stellen und auf diese Art eine Vergegenwärtigung im analogen Sinne ermöglichen —, Christus soll selbst in der Christusikone gegenwärtig werden, Maria im Marienbild, die Heiligen in den Heiligenikonen. Dadurch geschieht es, daß die Ikone in den sakramentalen Bereich aufgenommen wird und wie dieser eine weitere Möglichkeit zur Ankunft Christi, zu einer neu gearteten Inkarnation inmitten der noch unverklärten pilgernden Kirche bietet. Theologen des Ostens haben sogar von der Ikone als einem „Quasi-Sakrament“ gesprochen, worin sich eine Art Vorwegnahme des endzeitlichen Kommens Jesu Christi, des Richters und doch wiederum unendlich Barmherzigen und Heilenden ereignet. Wie jedes sakramentale Geschehen im Bereiche der Liturgie zu einem Zusammenwachsen mit dem Auferstandenen, verklärten Christus der Endzeit wird und auf diese Weise die von der Kirche herbeigesehnte Wiederkunft des dann unverlierbaren Herrn schon jetzt ihren Anfang nimmt, so begegnet der Betrachter der Ikone dem Herrn Jesus Christus selbst, der in Seiner Liebesund Wirkkraft im Bilde selbst gegenwärtig wird, ohne daß dadurch das Bild in Christus hineinverwandelt würde. So wird die Ikone zum Ort der Begegnung, an dem man gewürdigt Wird, hindurohzusehen zum Herrn in Seiner Verklärung — selbst auf den Bildern der Passion und der Heiligen —, und was die östliche Theologie von Maria sagt, daß sie „Hodegetria“ (Wegweiserin) sei, gilt nun vom Ikonenbild selbst. Es weist hin auf die nach aller Passion und Todeserniedrigung Wirklichkeit gewordene Herrlichkeit des Herrn, und Peeter Hendrix (Dordrecht) hat recht, wenn er sagt: „Bedeutet die Ikon dann nicht auch für den betenden, meditierenden Frommen ein erfreuend .Erkennen'? Man könnte vielleicht die Ikon definieren als ein offenes Fenster, das eine hoffnungweckende Durchsicht in einen nicht vermuteten, strahlenden Tempel eröffnet. m Der schauende Fromme fühlt sich inmitten der heiligen Ikonen wie auf dem Tabor... der östliche Christ kennt dann auch neben der Eucharistie keinen größeren Schatz als seine Ikonen.“ (Die Ikon als Mysterium, in: Vom christlichen Mysterium, Düsseldorf 1951, S. 186.)

Es stellt sich nun die Frage: woher kommt diese Schau der Ikone als eines lebendigen, wirklichkeitserfüllten Bildes? Sicher kann man dabei hinweisen auf die antike Bildauffassung. In den primitiven Religionen ist das Bild nie bloßes Erinnerungszeichen, nie nur hinweisend. Schon die ältesten Felsbilder hatten die Aufgabe, den gezeichneten Gegenstand „herbeizuzaubern“, das heißt, ihn in magischer Weise gegenwärtig zu setzen. Immer wieder hören wir von Götterbildern, die Träger des göttlichen Lebens waren, die

Wunder wirkten, sich bewegten, vom Sockel herabstiegen, um dem Menschen zu helfen. Urban Rapp OSB. faßte dieses ganze Phänomen des lebendigen Götterbildes einmal in die Worte zusammen: „Das unsichtbare Urbild — der Gott — hat dem sichtbaren Holz seine Gegenwartsmacht mitgeteilt, und zwar in der Weise, daß sein Leben und seine Macht in dem Xoanon (Kultbild) gleichsam aktuiert wird. Dadurch ist eine reale Präsenz der Gottheit in dem Kultbild gegeben ... das Xoanon wird nicht zu Fleisch und Blut oder Gottheit... die Griechen faßten das Kultbild als eine gleichsam nur existenzielle Epiphanie des Gottes durch die Wirklichkeit der das Xoanon belebenden Gegenwart des Gottes auf“ (Das Mysterienbild, S. 29). So wurde also eine Einheit geschaffen zwischen dem Urbild und dem Abbild. Das Bild ist der Gott, nicht in dem Sinne allerdings, als ob das materielle Bild selbst die Gottheit wäre, etwa im Sinne einer Transsubstantiation. Vielmehr wird, solange das Kult- bi-ld besteht, die Gottheit in ihm durch seine Macht gegenwärtig, und der Mensch nimmt bei seiner Betrachtung im Sinne der platonischen Philosophie an der im Bilde gegenwärtig gesetzten Urmacht des Urbildes teil. So wird das Schaubild zum Seinsbild der Gottheit. In diesem Zusammenhang gehört dann auch das verehrte Kaiserbild hinein, das den Herrscher, wo immer es aufgestellt wurde, vergegenwärtigte und die gleiche Verehrung forderte wie der Kaiser selbst.

Es ist sicher nicht von der Hand zu weisen, daß bis zu einem gewissen Teil diese Bildideen ihren Einfluß auf die Vergegenwärtigung in den Ikonen gehabt haben — allein, der Hauptgrund für diese Gedankengänge liegt anderswo. Das Geheimnis der Ikonenhaftigkeit betrifft ja nicht nur die Tafelbilder. Ja, man kann sogar behaupten: Voraussetzung dafür, daß die Ikonen Ikonen sein können, das heißt, an der Wirklichkeitsfülle des Dargestellten teilhaben, liegt in der Liturgie, die als heiliges Geschehen selbst zum Ikon, zum Bild der himmlischen Herrlichkeit und Liturgie wird. Die Feier der heiligen Liturgie im Kirchengebäude der noch auf Erden pilgernden Kirche ist, obwohl Abbild der himmlischen Liturgie, doch nicht von dieser getrennt, gleichsam eigenständig, sondern vergegenwärtigt in der geheimnisvollen Sprache der Zeichen und Worte den himmlischen Litur- gen Jesus Christus mit all Seinen Engeln und Heiligen. Das Urbild wird so gegenwärtig im Abbild. Der Gipfelpunkt dieser Gegenwärtigsetzung ist dann die Feier der Eucharistie, in deren Gebeten es einmal heißt: „Jetzt dienen mit uns die himmlischen Mächte unsichtbar, denn sieh: eintritt der König der Herrlichkeit, sieh, ein mystisches, vollkommenes Opfer wird hereingebracht.“ Aber nicht nur die Liturgie als Geschehen wird zum Abbild — auch der Kirchenbau wird zum äußersten Rand, „der noch dämmeriger, aber doch auch schon hoffnungs- und freudevoll erleuchteter Vorhof des

Himmels“ (Peeter Hendrix) ist und selbst die an der Liturgie teilnehmenden Gläubigen werden zu Abbildern, die vergegenwärtigen, so daß beim Hereinbringen der heiligen Gaben die Sänger singen: „Wir, die die Cherubim als deren Ikonen auf geheimnisvolle Weise vergegenwärtigen.“

An dieser allgemeinen Ikonhaftigkeit der Liturgie, des Kirchengebäudes, der Gläubigen und des heiligen Evangelienbuches nehmen nun auch die Bilder teil, die den gottesdienstlichen Raum ausschmücken. Weil sie innigst verbunden sind mit dem kultischen Geschehen während der Feier der Eucharistie, werden sie zu einem „festgeklebten Wort“, zu einer gleichsam „erstarrten Liturgie“: Sie liegen auf dem Gebetspult mitten in der Kirche, und während sie im Bilde etwa die Heilstatsache der verschiedenen Festtage sinnbildhaft vor Augen führen, vergegenwärtigen sie diese zugleich, da sie Anteil nehmen an der Vergegenwärtigung während des festlichen liturgischen Geschehens. So kommt es, daß die Ikonen an Festtagen mit Blumen und Kerzen geschmückt werden, und man behängt sie sogar mit weißen, kostbar bestickten Tüchern. Im Angesichte solcher Bilder gelten die Aussagen der großen Ikonentheolagen, etwa des Theodor von Studion: „Die Ikone zeigt in sich Christus“, „Wer die Ikone Christi anschaut, schaut in ihr Christus“, „Nichts anderes ist die Ikone Christi als Christus, außer des Unterschiedes in der Wesenheit“, daher „nennen wir die Ikone Christi Christus“, und „mit welchem Namen Jesus Christus immer benannt wird, mit demselben wird auch Sein Bild benannt“. Die Volksfrömmigkeit hat diese Theologie in die Worte gekleidet: „Vor Deinem allerreinsten Bilde fallen wir nieder, o Gütiger, bittend um die Vergebung unserer Sünden, Christus, o Gott!“

Aber nicht nur die dauernd im Gotteshaus ausgestellten Ikonen nehmen an dieser Vergegenwärtigung Christi und Seiner erbarmenden Macht teil — auch die in den Häusern aufgestellten Bilder und die Ikonen in den Reisetaschen sind der sichere Garant für das ständige Kommen der Güte Christi, da sie durch eine besondere Weihe — nur dadurch wird ein Bild zur Ikone — zum Gefäß der göttlichen Gnade bereitet wurden. Diese segnende Weihe über das Bild, das von einem eigens dafür bestimmten Mönch geschaffen wurde, stellt den Kontakt wiederum her mit dem Kirchenraum und der dort gefeierten Liturgie, selbst wenn diese Ikone nie in einem solchen Raum gelegen ist. Treffend bemerkt daher Peeter Hendrix: „Kein Heim ist auch ohne

Ikone, sowie keine Kirche ohne Wort und Eucharistie. Ja, das Heim wird durch die Ikon mit der Kirche und den dort vollzogenen Mysterien verbunden, etwas wie ein Schatten, ein weitvorgelegenes Vorportal des geheimnisvollen Kirchengebäudes, das selbst wieder Vorhof des Himmels ist. Und wer mit einer Ikon auf Reise geht, nimmt etwas von der Kirche und ihren Mysterien mit.“ Auf diesem Hintergrund läßt sich auch verstehen, warum die Ostkirche ein eigenes Fest der Ikonen feiert, das sogenannte Fest der Orthodoxie, am Beginn der Fastenzeit. Es ist ein Fest der Freude über Christi Ankunft in den Bildern. Daher heißt es in der Liturgie des Vorabends: „Uns ist eine Ehre das Abbild des Fleischgewordenen, welches fromm verehrt, aber nicht zu einer Gottheit gemacht wird. Dasselbe küssend, mögen wir Gläubigen rufen: ,0 Gott, rette Dein Volk und segne Dein Erbe.“"

Auf Grund dieser Wesensbestimmung der Ikonen kann man Ikonen nie bloß betrachten. Das Betrachten, Anschauen, ist nur der Ausgangspunkt. Die Betrachtung will zur Begegnung mit Christus und Seinen Heiligen führen. Hier soll bewußt gemacht werden, daß der Herr inmitten Seiner Kirche steht und wirkt, als der österlich Verklärte, der Richtende und immer Verzeihende, als der, der auch Seinen Heiligen, vor allem Maria, Seine Herrlichkeit bereits verliehen hat, um sie uns, noch auf Erden Pilgernden, nach der Auffassung der Ostkirche im Sakrament, im Wort und Evangelium wie bei der Betrachtung der Ikonen auch zu verleihen. Darum hat jede Ikonenausstelung, jedes Bild und Anschauen seine Problematik, denn jedes Betrachten einer Ikone ist — ein religiöser Vorgang. Aber als erste Fühlungnahme sind solche Ausstellungen und Bilder durchaus wichtig — wenn sich nur der Betrachter immer wieder vor Augen hält, was die Ikone eigentlich von jedem, der sie ansieht, verlangt: zu glauben an die Erscheinung des Herrn.

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