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Der Beginn einer heuen Schöpfung

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Im Zentrum des gewaltigen frühbarocken Hochaltars im Gurker Dom ist das Festgeheimnis des 15. August aus vergoldetem Holz geschnitzt zu Bild gebracht. Maria erscheint hier nicht als schlichte Frau aus Nazaret, sondern als in Christus neu geschaffener und vollendeter Mensch und so als Inbild dessen, was die Kirche als ihre eigene Zukunft erhofft. Der Altar zeigt an seiner Basis die lebensgroßen Gestalten der vier Evangelisten, auf deren Schultern die größten Väter der Kirche des Westens stehen: Ambrosius, Gregor der Große, Augustinus und Hieronymus. In der Mitte über ihnen hat der Künstler die Gruppe der zwölf Apostel situiert, aus deren Kreis Maria, umgeben von musizierenden oder Spruchbänder mit Anrufungen aus der Lauretanischen Litanei tragenden Engeln, emporgehoben wird in die Glorie des Dreifaltigen Gottes, die dieses riesige Altarwerk des aus Sachsen stammenden Meisters Michael Höhel bekrönt. Der Gurker Altar sollte die Lehre des Konzils von Trient über die Kirche in die Sprache des Bildes übertragen. Maria inmitten der pilgernden Kirche - das ist aber zugleich auch die Sicht des II. Vatikanischen Konzils. Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst, fragt der Beter des achten biblischen Psalms seinen Gott. Gott hat, so glauben die Christen, diese Frage in Jesus Christus auf unüberbietbare Weise beantwortet.

Der Mensteh in höchster Aufgipfelung des Menschseins, das ist zugleich der Gott in radikalster Selbstentäußerung. Er steht als Jesus aus Nazaret verhüllt in Knechtsgestalt vor Pilatus, der ahnungslos das prophetische Wort spricht: „Ecce homo - seht da, der Mensch”. Und er sammelt als auferstandener Christus die erlöste, die erneuerte Menschheit um sich. Inmitten dieser unermeßlich großen Schar steht jene Frau, die beides ist: die demütige Magd Gottes aus Nazaret und - als Inbild der vollendeten Kirche - die Frau mit der Sonne umkleidet, mit dem Mond unter ihren Füßen und einem sie umgebenden Kranz von zwölf Sternen, was man ebenso auf die zwölf Stämme Israels wie auf die zwölf Apostel des Lammes beziehen kann. Es gibt unzählige durch die Heilige Schrift und die sie umgreifende große Glaubenstradition der Kirche inspirierte Christusbilder. Nicht alle sprechen den Glaubenden jederzeit mit gleicher Intensität an. Manche verblassen zeitweise, damit andere umso strahlender erscheinen können. Man darf diese Bilder aber nicht gegeneinander ausspielen. Sie ergänzen und deuten einander. Gleiches gilt für die Bilder von Maria und von der Kirche.

Manche Christen sprechen heute am liebsten nur von Jesus von Nazaret und lassen den ergänzenden Wesensnamen Christus aber beiseite. Authentische Christen sind aber nicht bloß Jesuaner, sondern eben Christen. Sie glauben, daß der Mann von Nazaret auch der auferstandene Christus ist, der Sieger über Sünde und Tod, die Mitte und das Ziel der Geschichte. Darum ist auch die Mutter Jesu nicht nur das Mädchen und die Frau aus Nazaret, sondern sie hat in der Heilsordnung einen Bang, der ihr in ihrer eigenen Glaubensgeschichte erst stufenweise enthüllt worden ist.

Maria ist der Beginn jener neuen Schöpfung, die durch das Eintreten Gottes als Mensch in die Geschichte wie ein Sauerteig die altgewordene

Schöpfung durchdringen will. Sie ist um Christi Willen herausgenommen aus dem Geflecht des Bösen, das sich von Generation zu Generation fortzeugt: man nennt diese Freiheit von der Erbsünde das Mysterium der unbefleckten Empfängnis und feiert es am 8. Dezember. An jenem Feiertag, dessen Wiedereinführung rosenkranzbetende Staatsmänner wie Julius Baab auch als Zeichen des Dankes für das kaum zu erhoffende Geschenk der Unabhängigkeit Österreichs von den Besatzungsmächten verstanden haben. Wer weiß das noch in einer Gesellschaft, in der manche diesen Feiertag und andere Feiertage wegen gewiß gegebenen wirtschaftlichen Problemen aus dem' Kalender streichen möchten. Am 15. August wird das andere Mysterium Mariens gefeiert, das Fest der Vollendung jener, die in ihrer Ganzheit, das heißt mit Leib und Seele, in den Himmel aufgenommen ist. Der Himmel ist die vollendete Beziehung zwischen Gott und seinen Geschöpfen. Am Fest „Maria Himmelfahrt” wird kein Mythos gefeiert, der Bilder aus den Kategorien der Weltraumfahrt in Anspruch nähme, sondern die Erfüllung der Hoffnung, daß es für den Menschen, für die Menschheit eine ewige Heimat bei Gott gibt. Eine Heimat, die Christus einer immer wieder alternden Welt und der von Ermüdung bedrohten Kirche im letzten Buch des Neuen Testaments mit dröhnenden Worten verheißt: „Seht, ich mache alles neue!”

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