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Sinn und Wesen eines bedeutenden Dogmas

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Wenn wir die großen Rundschreiben des Papstes ansehen, so beziehen sie sich auf alle drei Gebiete der Theokratie: auf die Lehre oder Theologie, auf den Kult oder die Liturgie und auf die Verfassung oder Organisation der Kirche, ohne daß sich dabei diese Gebiete scharf trennen lassen. Aber man wird zugeben, daß das Bibelrundschreiben „Divino afflante Spiritu“ wie auch das neue Rundschreiben „Humani generis“ vor allem der Theologie und Philosophie gewidmet sind, das Rundschreiben „Mediator Dei et hominum“ der Liturgie, während jenes über den mystischen Leib Christi, „Mystici corporis“, die Verfassung und Organisation der Kirche in ihrem tiefsten Wesen zum Gegenstand hat.

Nun schickt sich der Heilige Vater an, einen Akt seines obersten Lehramtes zu setzen, dessen Bedeutung über den eines Rundschreibens wesentlich hinausgeht, eine Form, die ebenso selten, ja noch seltener ist als die eines allgemeinen Konzils. Während das letzte (zwanzigste) allgemeine Konzil 1870 stattfand, erfolgte die letzte Kathedralentscheidung 1854, als die Unbefleckte Empfängnis Maria feierlich definiert wurde.

Wenn wir nun von der bevorstehenden Dogmatisierung der leiblichen Auferstehung und glorreichen Himmelfahrt Maria sprechen, so wäre es außerordentlich reizvoll, auf die theologischen Erkenntnisquellen einzugehen, aus denen diese Lehre und dieser Glaube abgeleitet ist. Allein darüber wird sich die Dogma-tisierungsurkunde ohne Zweifel eingehend aussprechen, und wir haben kein Recht, ihr vorzugreifen.

Was wir hier wollen, das ist ein Hinweis auf die innere Logik, oder auf den tiefgehenden Zusammenhang dieser Glaubenslehre mit den anderen. Ein Dogma ist nämlich nicht wie ein Posten, der sozusagen wahllos und zusammenhanglos zur Summe anderer Glaubenslehren hinzukäme. Es ist noch weniger ein Fremdkörper unter ihnen, sondern ein lebendiges Glied, dem längst schon sein Ort im Organismus der Glaubenslehren vorbehalten ist, das daher buchstäblich eine Lücke ausfüllt, das längst schon in seinen Anlagen existierte, dessen Erkenntnis sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelte und zur rechten Zeit nunmehr im vollentwickelten Zustande seinen gebührenden Platz im Organismus einnimmt und ausfüllt.

Dabei ist unter diesem Organismus keineswegs die Lehre oder Theologie allein verstanden, solidem ebenso der Kult und die Liturgie, ja, was auf den ersten Blick eher verblüffend als einleuchtend zu sein scheint, auch die Verfassung und Organisation der Kirche.

Innerhalb der Gesamttheologie hat dieses Dogma seinen natürlichen Platz im Rahmen der Mariologie und mit dieser im weitergespannten Rahmen der Christologie.

Ein Marienleben spielt sich wie jedes Menschen Leben zwischen Empfängnis und Tod ab. Zwischen diesen beiden Enden liegen die drei Phasen ihres vormütterlichen, mütterlichen und nachmütterlichen Lebens. Davon ist die mütterliche Phase der Höhepunkt. Die unbeschreiblich hohe Funktion dieses Frauenlebens war es, Christus, den Gottmenschen, zu empfangen, zu gebären, mütterlich zu betreuen, mit ihm bis zum Tod zu gehen, unter seinem Kreuz u stehen, und seinen

Leichnam als Schmerzensmutter in den Schoß zu nehmen und zu begraben.

Anfang und Ende jedes Menschenlebens ist belastet, der Anfang durch die erbschuldbeladene Empfängnis, das Ende durch Tod und Verwesung. Davon ausgenommen zu sein, ist Vorrecht des Marienlebens. Wie daher die 1854 dog-matisierte Unbefleckte Empfängnis den Anfang des Marienlebens in das entsprechende übernatürliche Licht setzte, so die nunmehr dogmatisierte leibliche und glorreiche Himmelfahrt das Ende. Beide Dogmen ergänzen einander daher wesentlich.

Dabei ist der Zusammenhang beider Lehren, die Anfang und Ende betreffen, mit den genannten drei Phasen, die zwischen ihnen liegen, einleuchtend. Besonders mit der mütterlichen Phase. Maria war Gottesmutter von der Wiege bis zum Grabe. Eine unbefleckte Empfängnis war selbstverständliche Voraussetzung ihrer späteren Gottesmutterschaft, wie ihre Unverweslichkeit und glorreiche Aufnahme eine notwendige Folge davon war. Es liegt, ich möchte fast sagen, eine eiserne theologische Folgerichtigkeit darin. Wie die Seele der späteren Gottesmutter unmöglich auch nur einen Augenblick unter dem Fluch der Sünde und in der Gewalt des Satans sein konnte, so konnte der Leib, der den Gottmenschen getragen, unmöglich die Verwesung schauen. Wie sie als Gottesmutter leiblich Jungfrauschaft und Mutterschaft ebenso' wie seelische Jungfräulichkeit und Mütterlichkeit in übernatürlicher Weise verband, so auch von Anfang die Gnadenfülle der Seele mit der Glorie des Leibes am Ende.

Diese mariologischen Gedankengänge münden geradewegs in die Christologie ein. Zunächst scheinen solche Prädikate, wie Unbefleckte Empfängnis und Himmelfahrt Maria, bloß Auszeichnungen zu sein, die Maria um ihrer Gottesmutterwürde willen gegeben wurden. Allein schon hier muß bedacht werden, daß ihre Würde nur der nächste, daß aber der letzte Sinn und Zweck solcher Auszeichnung die Würde Christi ist. Damit erhalten alle Auszeichnungen Maria einen christozentrischen, das heißt der Größe Christi entsprechenden und dienlichen Charakter.

Darin ist aber der christologische Sinn nicht erschöpft. Ist er der Erlöser und Heiland, so ist sie die Ersterlöste und Meistbegnadete. Und wenn Sünde und Sündenfolge, also seelische Begierlich-keit und leiblicher Tod es sind, von dem wir erlöst werden, so war es ebenso selbstverständlich, daß sie, die Meisterlöste, völlig sündelos empfangen und sündelos geblieben war, daß ihre Seele in jungfräulicher Mutterschaft über alle Begierlidikeit erhaben und ihr Leib durch ihre sofortige Auferstehung de Fleisches von der Verwesung bewahrt wurde.

Wenn alle Erlösung und Begnadigung zum Ziel hat, uns dem Bilde des Gottessohns ähnlich zu machen, so mußte sie die Ähnlichste sein, daher erbsündelos empfangen wie er, ehelos und jungfräulich wie er, vom Tode auferstanden und verklärt wie er.

Allein diese Eigenschaften haben außerdem direkt christologische Zwecke, funktionelle Bedeutung im Dienste der Menschwerdung und ihrer Aufgaben. Für die Jungfrauschaft hatte man das längst eingesehen. Es galt zwar als selbstverständlich, daß dem Gottmenschen schon auf Grund seiner Gottmenschlidikeit Erbsündelosigkeit und damit unbefleckte Empfängnis zukam. Aber man sah auch, daß die jungfräuliche, das heißt vaterlose Mutterschaft Maria ein Mittel war, die Erbsünde von ihrem Kinde fernzuhalten. Denn durch einen Vater konnte sie jedenfalls nicht übertragen werden. Es zeigt sich aber, daß die unbefleckte Empfängnis Maria eine ähnliche Funktion hatte. Denn da sie selbst erbsündelos war, konnte sie auch die Erbsünde nicht auf das Kind übertragen. So standen also zwei übernatürliche Eigenschaften, die unbefleckte Empfängnis und die jungfräuliche Mutterschaft in direkter ursächlicher Beziehung zu einer Eigenschaft des Herrn, nämlich zu seiner eigenen unbefleckten Empfängnis . Ähnliches ist auch bei der Himmelfahrt Maria der Fall. Wir müssen das im dritten Abschnitt sehen.

Wenden wir uns nunmehr der liturgischen Bedeutung dieser Dogmatisierung zu. Zahllos sind die Kirchen und Altäre, die seit Jahrhunderten der Himmelfahrt Maria geweiht sind, und dieses Fest war das größte der Marienfeste, bis seit 1854 das der Unbefleckten Empfängnis mit ihm in Wettstreit trat. Nunmehr, so möchte ich fast sagen, holt das Fest Maria Himmelfahrt in diesem Bewerb auf. Denn es wird bald ebenso auf einem definierten.Dogma beruhen wie jenes. Und man wird sich sagen müssen, daß sie einander ergänzen. Das eine begeht den gnadenvollen Anfang, das andere das glorreiche Ende dieses einzigartigen Frauenlebens.

Was Hunderte von Künstlern In tau-

Vgl. darüber Mitterer Albert: Geheimnisvoller Leib Christi. Verlag Herold, Wien

193a send Bildern ausgedrückt haben, beruht nun nicht mehr auf einer „frommen Meinung“, wie man bisher in theologischen Lehrbüchern zu lesen gewohnt war, sondern auf einem erklärten Glaubenssatz.

Nicht so selbstverständlich scheint es, daß die Lehre von der Himmelfahrt auch ein wichtiger Baustein in der Verfassung und Organisation der Kirche sei. Erst wenn man diese Verfassung nicht bloß oberflächlich, sondern in jener Tiefe sieht, die durch die Formel „mystischer Leib Christi“ ausgedrückt ist, dann wird man sich fragen können: Christus ist das Haupt dieses Leibes und — Maria?

Wenn wir oben von einer nachmütterlichen Phase des Marienlebens sprachen, die sich vom Tode des Heim bis zu ihrem Tode erstreckte, so war das ungenau. Wir müßten von einer mütterlichen Phase sprechen, in der die mütterliche Sorge von ihrem leiblichen Kind auf unleibliche Kinder überging. Sie begann unter dem Kreuze, als der Herr zu ihr sprach: „Siehe, dein Sohn“, und zu Johannes: „Siehe, deine Mutter.“ Sie fand ihren Ausdruck in der jungen Kirche, die mit „Maria, der Mutter Jesu“ versammelt war, um den verheißenen Paraklet zu erwarten. Sie setzte sich offenbar in einem stillen Einfluß auf Johannes und auf die junge Kirche fort.

Die ganze Mariologie treibt jedoch mit innerer Logik immer mehr zur theologischen Erkenntnis hin, daß Maria auch nach ihrem Hinscheiden innerhalb des mystischen Leibes, der Kirche, eine bedeutsame Rolle spielt. Die Prädikate der allgemeinen Mutterschaft, der Miterlösung mit und Gnadenvermittlung bei Christus, die ihr von der Kirche gegeben oder die; wenigstens kirchlich genehmigt wurden, zeigen das deutlich.

Ich konnte außerdem in meinem neuesten Buch „Geheimnisvoller Leib Christi“ (Herold, Wien 1950) zahlreiche Indizien dafür aufzeigen, daß diese außerordentliche Rolle in einer Formel zum Ausdruck kommen kann, die bisher nur vereinzelt gebraucht wurde, die aber Zukunft haben dürfte, daß nämlich Maria das Herz des mystischen Leibes sei wie Christus das Haupt.

Aus diesen Gründen ist zu ersehen, welche Bedeutung in diesem Zusammenhang der Himmelfahrt Maria zukommt. Wie Christus seit seiner glorreichen Himmelfahrt, sitzend zur rechten Hand Gottes, unser Mittler beim Vater ist, immer bei ihm für ur eintretend, so ist Maria nach ihrer leiblichen Aufnahme unsere Mittlerin bei Christus, bei ihm für uns bittend.

Das übernatürliche Glaubensgebäude ist wie ein mächtiger Pfahlbau, der aus den Gewässern des Natürlichen ragt und sie überragt. Dogmen sind die Pfähle, auf denen es ruht, und ihre Stärke liegt in den theologischen Erkenntnisquellen, aus denen sie gewonnen sind. Ihr innerer Zusammenhang aber gleicht dem Rost, der die Pfähle untereinander verbindet und als Unterlage des Hauses dient. Er trägt nicht wenig zu ihrer Festigkeit, bei, wie umgekehrt der Rost durch einen neuen Pfahl an Festigkeit gewinnt. Das ist auch die Funktion der dogmatisierten Himmelfahrt Maria, und sie wird diese Aufgabe erfüllen, wie die Dogmatisie-rung der Unbefleckten Empfängnis sie erfüllt hat.

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