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Maria - eine emanzipierte Frau?

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Der Glaubenssatz von der Aufnahme Mariens in den Himmel wurde 1950 als bisher letztes Dogma der katholischen Kirche verkündet. Was wissen wir über Maria aus der Heiligen Schrift?

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Der Glaubenssatz von der Aufnahme Mariens in den Himmel wurde 1950 als bisher letztes Dogma der katholischen Kirche verkündet. Was wissen wir über Maria aus der Heiligen Schrift?

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Wer den Stellenwert der Gottesmutter im Glaubensleben eines Christen erheben möchte, der ist zuerst auf die Bibel als Urgestein christlicher Glaubenserfahrung verwiesen.

Zunächst ist dabei festzuhalten, daß Maria in den verschiedenen Schriften des Neuen Testamentes eine durchaus unterschiedliche Bedeutung zukommt. In der gemeinsamen Briefliteratur wird sie nicht ein einziges Mal namentlich erwähnt. Paulus stellt bloß lapidar fest, daß Gottes Sohn, als die Zeit erfüllt war, von einer Frau geboren wurde (Gal 4,4). Damit sollte die tatsächliche Menschwerdung Jesus ausgedrückt werden. Wenn wir den Ausführungen namhafter Bibelwissenschaftler folgen und die mariologische Deutung der Sonnenfrau in der Geheimen Offenbarung (Kap. 12) als die am wenigsten wahrscheinliche halten, so ist auch diese Schrift in das weitgehende Schweigen über Maria miteinbezogen.

Das bedeutet für unser Glaubensleben ein erstes: Maria kann für verschiedene Christen von unterschiedlicher Bedeutung in ihrem Denken und Beten sein, auch wenn sie den Aussagen der Kirche über Maria zustimmen. So gibt es etwa gute Gründe für die Annahme, daß Paulus von seiner Präexistenzchristologie her Maria durchaus als Gottesmutter bekannt haben könnte, aber dies stellt eben keinen Schwerpunkt in seinem theologischen Denken dar, und das ist zu respektieren. Niemand wird wohl aufgrund dieser Beobachtung emstlich behaupten, Paulus wäre ein Christ mit einem verkürzten Glauben gewesen. Gerade von Paulus her ist auch die Behauptung problematisch, wir könnten ausschließlich durch Maria zu Jesus finden.

Zweitens: Aufgrund des biblischen Zeugnisses ist es ganz legitim, daß Christen in ihrer Marienverehrung unterschiedliche Aspekte der Bedeutung Marias hervorkehren. So bezieht etwa der Evangelist Markus die Gottesmutter eher in das vorösterliche Unverständnis der Jünger Jesu ein, etwa wenn Jesus in Nazareth über die Ablehnung seitens seiner Verwandten und seiner Familie klagt (6,4). Dieses Unverständnis wird bei Markus erst durch das Bekenntnis des Hauptmannes angesichts des Kreuzestodes Jesu aufgelöst: „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!" (Mk 15,39).

Eine vorbildliche Jüngerin

Im Unterschied zu Markus zeichnet uns der Evangelist Lukas ein faszinierendes Bild Marias, das Bild einer vorbildlichen Jüngerin Jesu, die von Anfang an das Wort Gottes hört und es auch befolgt (Lk 8,19-21). Dieses eindrucksvolle Porträt der Mutter Jesu hat dem dritten Evangelisten den Ehrennamen „Madonnenmaler" eingetragen. Spätestens seit dem sechsten Jahrhundert sind viele Darstellungen von Lukas als Maler nachweisbar.

In dieser vorbildlichen Jüngerschaft Marias bei Lukas ist auch der biblische Ansatz für das Fest der Aufnahme Marias in den Himmel zu sehen: Wenn Maria zu jenen gehört, die ihr Leben ganz nach dem Willen Gottes ausrichten - warum sollte sie nicht derewigen Herrlichkeit teilhaftig werden (auch wenn dies im Neuen Testament nirgends ausdrücklich gesagt wird)?

Dennoch ist auch bei Lukas Maria nicht diejenige, die von Anfang an alles, was um Jesus herum passiert, versteht. So ist sie etwa verwundert über das Verbleiben des Zwölfjährigen im Tempel (Lk 2,50). -Das ist die in den Evangelien durchgängigste Sicht Marias: Sie verstand nicht alles, glaubte und vertraute aber dennoch. So löst sie im Johannesevangelium mit dem zunächst sehr profanen Hinweis auf den Weinmangel bei der Hochzeit zu Kana wohl ungewollt den Prozeß aus, der zur Stunde Jesu, zur Leidensstunde, führt (Joh 2,3). Doch in dieser Stunde hat sie sich nach dem Zeugnis des Johannes nicht aus dem Staub gemacht, sondern hier steht sie mit dem geliebten Jünger treu unter dem Kreuz (Joh 19,25-27; anders Mk 15,40).

Hier kann unsere Betrachtung über diese große Frau ansetzen und so kann sie auch für unser Leben bedeutungsvoll werden: Auch wir wissen häufig nicht, was Gott mit uns vorhat. Einer Krankheit, Enttäuschungen, Mißerfolgen stehen wir oft ratlos gegenüber. Wir können auch nicht wissen, wohin der Weg der Kirche im nächsten Jahrtausend führt angesichts der religiösen Gleichgültigkeit vieler, angesichts der Polarisierungen innerhalb der Kirche. Dennoch dürfen wir wie Maria der Hand Gottes vertrauen, wenn wir unser Bestes geben und mit ehrlichem Gewissen bei Jesus ausharren - gerade dann, wenn uns außerhalb und innerhalb der Kirche das Wasser bis zum Hals steht.

Das bedeutsame, aber ohnedies häufig bedachte Ja Marias zu ihrem Auftrag, die Mutter Gottes zu sein (Lk 1,38), sei hier nur angedeutet. Ebenso die so wichtige Fähigkeit der Gottesmutter, zuhören zu können und über das Gehörte nachzudenken (Lk 2,19.51). Dafür sei ein anderer Schwerpunkt der lukanischen Aussagen über Maria besonders bedacht:

Wahre Emanzipation

Wir kennen den Lobpreis Marias, das Magnifikat, das mit den Worten „Meine Seele preist die Größe des Herrn" beginnt (Lk 1,46-55). Das Lied der Hanna aus dem ersten Buch Samuel (2,1-11) bringt sehr ähnliche Preisungen Gottes und diente wohl als Vorbild. Angesichts dieser Texte dürfen wir mit Maria gemeinsam darüber staunen, daß Gott nicht in einem vornehmen Herrscherhaus Mensch geworden ist, sondern sich ein einfaches jüdisches Mädchen aus Nazareth ausgesucht hat, um schon dadurch seine Solidarität mit den Hungernden, den Schwachen, den Demütigen auszudrücken. So ist das Magnifikat gleichsam eine Ouvertüre zum Lukasevangelium, in dem Jesus sich besonders der Kranken, der Schwachen und überdies auch der Sünder annimmt.

Mich persönlich hat keine der marianischen Wallfahrtsstätten jemals auch nur annähernd so beeindruckt wie die Verkündigungskirche in Nazareth. Es ist unbedeutend, ob Maria gerade in dieser dort gezeigten oder in einer anderen Wohnhöhle beheimatet war, diese Einfachheit ist verglichen mit unserem konsumorientierten Leben beeindruckend und herausfordernd zugleich.

Das Magnifikat ist die Antwort Marias auf den geisterfüllten Lobpreis ihrer Verwandten Elisabeth. In dieser Begegnung der beiden Frauen kommt etwas zum Ausdruck, was wir heute verlernt haben: unsere Freude mit anderen zu teilen. In der Rolle Elisabeths würden heute wohl viele denken: Warum hat Maria mehr erreicht? Wie hat sie sich diese Auszeichnung verdient? - Maria hätte ihrerseits leicht überheblich reagieren können. Aber nein! Beide nehmen ihre Stellung in der Heilsgeschichte in Bescheidenheit und Demut an. So könnten auch wir uns täglich gemeinsam freuen über das, was Gott jedem geschenkt hat.

Der Evangelist Matthäus, der ja die Kindheit Jesu eher aus der Sicht des heiligen Josef entwirft, gibt uns eine Antwort auf die Frage nach der wirklich emanzipierten Frau. Als Maria im Verlobungsjahr den damaligen gesellschaftlichen Konventionen zuwider schwanger wird (Mt 1,18), ist weder für sie noch für Josef die öffentliche Meinung wichtig, sondern allein der Wille Gottes. Wie viele Frauen sind heute hinsichtlich ihrer Kleidung, ihres Lebensstils, ihres Ver-„ haltens Produkte jener Frauen-Klischees, die durch Journale oder ideologische Gruppen entworfen werden!

Emanzipation bedeutet in der Bibel, sich nicht ängstlich der Macht gängiger Schemata anzupassen, sondern sich mutig und selbstbewußt einzig und allein der Macht Gottes auszuliefern.

Zuletzt sei noch daran erinnert, daß Maria in ihrer ganzen Existenz auf Jesus hinweist. Nicht sie steht im Mittelpunkt, sondern Jesus. Besonders schön kommt dies in einer Mariendarstellung in der auch sonst eindrucksvollen Kathedrale von Coventry zum Ausdruck: in ihrer totalen Offenheit Gott gegenüber ist ihr Blick auf den Gekreuzigten gerichtet (siehe Bild oben).

Ein Sprechen über Maria geschieht in der Bibel nur im Zusammenhang mit ihrem Sohn. So bedeutet auch das Bekenntnis zu Mariaals Jungfrau nicht primär eine Aussage über die Gottesmutter, sondern ist das Bekenntnis, daß Jesus nicht nur seit der Auferstehung, nicht erst seit der Taufe im Jordan, sondern von Anfang an Gottes Sohn war.

Maria hat ihr Leben ganz transparent auf Gott hin entworfen. Wie sie sollten wir nicht uns selbst, sondern den Gekreuzigten verkündigen. Maria erreichte ihre Selbstverwirklichung nicht durch ständiges Kreisen um sich selbst, sondern durch die Erklärung: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast." (Lk 1,38).

Der Autor ist Pfarrer in Wien (Am Schöpfwerk).

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