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In der Sprache der Gebildeten

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DAS MATTHXUSEVANGELIUM. Ein Kommentar. Von Paul Gaechter. Vcrlataatistalt Tyroli, Innsbruck, 1964. 980 Selten. Preis 390 S.

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DAS MATTHXUSEVANGELIUM. Ein Kommentar. Von Paul Gaechter. Vcrlataatistalt Tyroli, Innsbruck, 1964. 980 Selten. Preis 390 S.

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Der gewaltige Band, eine reife Frucht jahrzehntelanger Beschäftigung mit den Evangelien, will „einem weiteren Kreis akademisch gebildeter Leser dienen, das heißt, Lesern, die nicht erschrecken, wenn sie einem Wörtlein Griechisch begegnen“ (Einl. S. 13). Deshalb wird den einzelnen Abschnitten der griechische Text vorangestellt, damit man Spruchgruppen, Strophik, Rhythmus oder auch die chiastische Anordnung mancher Partien besser erkennen kann.

Denn das erste Evangelium ist nicht „im plebeischen Aramäisch“ geschrieben, sondern in der „Sprache der Gebildeten“ (S. 19), eben in hebräischer Sprache (allerdings mit einzelnen Aramaismen durchsetzt). Es ist „ein literarisches Kunstwerk ... zu dessen ästhetischer Bewertung uns Fern- und Spätgeborenen der Schlüssel verloren gegangen ist“ (S. 17). Freilich ist daran zum Teil die griechische Übersetzung mit ihren „Anreicherungen in Prosaform“ (S. 18) schuld. Bei der Erklärung der Kindheitsgeschichte konnte sich der Verfasser auf seine schon in dritter Auflage erschienene gründliche Studie „Maria im Erdenleben“ (1955) stützen. Doch bringt er auch Neues, zum Beispiel als wirklich eindrucksvolle Illustration zu dem Scheidebrief, den der heilige Josef in seiner Gewissensnot seiner Verlobten ausstellen zu müssen meinte (Mt. 1, 19), lesen wir S. 48 die Übersetzung eines aramäischen Scheidebriefes, den man vor kurzem in den Höhlen von Murabba'at gefunden hat. Darin wird von einem gewissen Josef, Sohn des Naqsan aus Masada, seine Frau Mariam, Tochter des Jehonathan, feierlich verstoßen und als frei erklärt. Auch die Unterschrift von drei Zeugen fehlt nicht. Die Datierung des Dokumentes „wahrscheinlich ... 111 n. Chr.“, die G. von den Herausgebern (Milifc, R. de Vaux usw.) übernimmt, wird allerdings schwerlich richtig sein, denn die starke Festung Masada (am Toten Meer), die erst 73 n. Chr. VQn den Römern erobert werden konnte, durfte nachher sicher kein Jude mehr betreten. Der Scheidebrief kann also nur vor 73 in Masada ausgestellt worden sein. (Genaueres darüber jetzt bei E. Koffmahn, „Zur Datierung der aramäisch-hebräischen Vertragsurkunden von Murabba'at“, in: WZKM 59/60 [1963/64].) Selbstverständlich wird bei Johannes dem Täufer auch auf Leben und Lehre der Qumran-mönche hingewiesen, die (ähnlich wie bei Jean Steinmann, „Joh. der Täufer“ 1960, S. 62) als „ehemalige Gefährten“ des Vorläufers (S. 88) bezeichnet werden.

Bei der bekannten Primatverheißung (16, 18 f.), deren „Sitz im Leben“ (Jesu) jetzt auch von katholischen Exegeten, wie J. Schmid, A. Vögtle u. a., erst nach der Auferstehung angenommen wird, gibt der Autor folgendes zu bedenken: „ ... sachliche Gründe fordern, daß Jesus auf das Petrusbekenntnis geantwortet hat nach Art der Antwort, welche Matthäus referiert. Es wäre gegen alle menschliche Sitte gewesen, hätte Jesus zum ehrenden Bekenntnis des Simon geschwiegen. Er mußte, jedenfalls bei einem kultivierten Volk, wie es die Juden waren, dieses Bekenntnis behandeln, wie man im Orient einen Gruß behandelt... Ein Gruß bedeutet immer einen guten Wunsch, der dem Begrüßten entboten wird. Darauf erwidert der Orientale mit einem gleichen oder noch inhaltsvolleren Gegenwunsch. So könnte Mt. 16, 17 f geschichtlich und erzählungstechnisch keine bessere Einführung finden als eben von 13 bis 16. Daß das Äquivalent bei Mk. fehlt, ist geschichtlich wie literarisch ein Mangel“ (S. 523).

Religionslehrer aller Schultypen werden dem Verfasser für diese klaren Worte aufrichtig dankbar sein, wie es ja auch die deutschsprachigen Konzilsväter in Rom schon waren. Daß der Verfasser dabei noch angesehene protestantische Gelehrte wie A. Oepke für seine Auffassung anführen kann, erhöht das Gewicht seiner Aussage. Nun ist er durchaus kein Gegner einer gesunden redaktionsgeschichtlichen Methode (die ja jetzt durch die päpstliche Instructio vom 21. April auch den katholischen Exegeten ausdrücklich erlaubt wurde), denn sie kann einfach gerade bei den Synoptikern nicht ignoriert werden. Aber wie schwer manchmal die genauen Grenzen zwischen der tpsissima vox und dem Kerygma, zwischen dem ursprünglichen Wort Jesu und dem niedergeschriebenen Evangelientext abzustecken sind, sei nur an einem Beispiel gezeigt. Mt. 7, 11 sagt Jesus: „Wenn schon ihr, die ihr böse seid,euren Kindern gute Gaben zu geben wißt, um wie viel mehr...“ Uber den Relativsatz in der Mitte meint Gaechter: „Er dürfte ein Zusatz sein ... wenn es sich nicht einfach um eine übel angebrachte Amplifl-zierung eines predigenden Evangelisten handelt“ (S. 240). Ich kann mir diese Auffassung nicht zu eigen machen, besonders nicht nach der Lektüre von E. Neuhäuslers Buch: „Anspruch und Antwort Gottes“ (1962), der nachdrücklich betont, daß das „steile ... apodiktische Jesuswort“ später von der Kirche fallweise durch „katechetische Formulierungen“ (S. 10) erklärt beziehungsweise entschärft wurde. „Niemand ist gut als Gott allein“ sagt Jesus (Mk. 10, 18), und seine Zeitgenossen in Israel nennt er wiederholt ein „böses und ehebrecherisches (das heißt gegen Gott treuloses) Geschlecht“ (Mt. 12, 39; 16, 4), so wird meines Erachtens auch das „ihr, die ihr böse seid“ bei Mt. 7, 11 wohl doch auf Christus selbst zurückgehen. Daß er sich über die Treue und Verläßlichkeit des Menschen keinen Illusionen hingab, lesen wir ja noch bei Joh. 2, 25.

Dem monatelangen Aufenthalt des Verfassers am See Genezareth verdanken wir endlich eine brauchbare Erklärung von Mt. 17, 27, wo Petrus über Auftrag Jesu einen Fisch fängt, der im Maul eine silberne Münze trägt, mit der dann die fällige Tempelsteuer für Jesus und Petrus gezahlt wurde. Doch wieso fiel die Doppeldrachme dem Fisch nicht aus dem Maul, wenn er nach der Angel schnappte? Manche wollten hier ein altes „hellenistisches Motiv“ wiederfinden (Ring des Polykrates o. ä.). In Wirklichkeit gibt es heute noch im See Genezareth eine Fischgattung (Chromis Simonis), deren Männchen in ihrer Rachenhöhle auch den jungen Fischen eine Zeitlang einen schützenden Aufenthalt bieten. Steinchen und gelegentlich auch Münzen finden sich heute noch im Rachen solcher Fische, ohne daß das alles beim öffnen des Maules herausfällt (S. 584).

Die benützte Literatur ist sehr sorgfältig ausgewählt (besonders die ausländische), bei manchen Partien freilich etwas gar knapp bemessen, etwa bei der Versuchung Jesu, der Bergpredigt, der Auferstehung usw. Besonders gewundert hat mich, daß der Verfasser, der sein Interesse für die Person des ersten Apostels durch ein großes Werk über ihn unter Beweis gestellt hat, bei der Behandlung der Verleugnung Petri mit keinem Wort auf die Versuche neuerer Autoren (Bultmann, Goguel, Schule, G. Klein) eingeht, welche die Verleugnung Petri als spätere Erfindung der „Gemeinde“ erklären wollen — übrigens ein Musterbeispiel dafür, zu welchen abwegigen Ergebnissen die moderne traditionsgeschichtliche Methode bei hyperkritischer Voreingenommenheit gegen die Wahrheitsliebe der Evangelisten gelangen kann. An der laufenden Texterklärung hätten freilich diese diversen Auseinandersetzungen kaum viel geändert.

So darf man mit dem Dank an den unermüdlichen Nestor der Neu-testamentler in Österreich nur noch den Wunsch verbinden, daß sein Standardwerk in die Hände recht vieler suchender Menschen gelange. Es ist nahrhaftes, kräftiges Brot, das den Hunger nach dem Worte Gottes der heute größer ist denn je, wirklich zu stillen vermag.

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