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Franz Werfeis letzte Wege

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Als der Dichter Franz Werfel 1945 in Kalifornien starb, nahmen viele Freunde seiner Schriften an, daß er als Katholik gestorben war. Man erinnerte sich seines Bernadette-Romans und -Films und seiner Essays. In Wirklichkeit war es nicht zu diesem Übertritt gekommen, obzwar zweifellos diese Vermutung naheliegt.

Durch Zufall kann ich gerade über dieses Moment ein wenig Licht verbreiten, da der Franziskaner Cyrill Fischer, der seinerseits Werfel kannte und dessen Berater in theologischen Dingen war, manchmal an mich darüber geschrieben hat. Beide befanden sich als österreichische, vom Nationalsozialismus vertriebene Emigranten in Kalifornien: Pater Cyrill in Santa Barbara, Franz Werfel in Los Angeles. Und es war gegeben, daß der Franziskanerpater den Schriftsteller zu dem Schritt zu bewegen wünschte, den er als den allein richtigen für ihn ansah: daß er konvertiere. Er gab sich seit vielen Jahren, offenbar auch angeregt durch Werfeis steigenden Ruhm (und gerade des „Bernadette“-Romans) diesem Gedanken hin, und es mag auch umgekehrt Werfeis Absicht gewesen sein, :hm Folge zu leisten. In seinem letzten Essaybuch „Zwischen oben und unten“ (Bermann-Fischer-Verlag, Stockholm, 1946) stehen viele Dinge, die man ohne tiefe Kenntnis der katholischen Gedankenwelt nicht schreiben kann. Aber es gelang schließlich doch nicht, und Pater Cyrill mag in letzter Zeit eine gewisse Ungeduld über dieses Zaudern und die Vergeblichkeit seiner Bemühungen erfaßt haben. Das geht zumindest aus einem Brief hervor, den er am 25. Februar 1944 an mich schrieb.

„Ich machte ihn (Franz Werfel) anläßlich eines Besuches vor Weihnachten auf die ganze Sachlage aufmerksam und gab ihm zu überlegen, ob er nicht doch seinen Weg konsequent abschließen sollte mit einer Konversion, gab ihm auch Lampings Buch („Through hundred gates by noted converts from twenty-two lands.“ Milwaukee, 1940) zur Lektüre. Er .beschäftigt sich mit diesem Gedanken'. Aber ich bezweifle, ob er je den Schritt machen wird. Ich übe jedenfalls keinen Druck aus, bin ja nur selten bei ihm zu Gast und könnte so schon kaum dem Einfluß begegnen, der sonst regelmäßig sein Denken und Urteilen beherrscht. Auch dürften mancherlei gesellschaftliche und geschäftliche .Hemmungen' seine Sicht und Entscheidung vernebeln. Ich kann nur beten, daß ihm Gott die Gnade gebe. Der Film ,Song...' ist sehr gut und ich glaube, daß er der erste katholische Film Hollywoods ist, der 'wirklich vollends befriedigt. ...“

Daß es sich in Wirklichkeit nicht völlig so verhielt, wie Pater Cyrill Fisdier in seiner Seelsorge und wachsenden Ernüchterung annahm, darf aus dem letzten Teil von „Zwischen oben und unten“ geschlossen werden, den „Theologumena“, worin wieder der besondere Abschnitt „Von Christus und Israel“ in Betracht kommt. Dodi dazu ist es nötig, sich das Buch selber etwas genauer anzusehen.

Franz Werfe 1 s Essays „Zwischen oben und unten“ haben, so verschiedenen Phasen seines Lebens sie angehören (1930 bis 1944). doch eine tiefere Bedeutung, als die einer bloßen Sammlung von Essays. „Die vier Kapitel dieses Buches sind vier Dokumente eines langen Kampfes“, erklärt er in der Vorrede. „Der Kampf galt und gilt einer bestimmten allmächtigen 'md allbeherrschenden Geistesverfassung, die auf diesen Seiten versdiiedene Namen führt, unter welchen .naturalistischer Nihilismus' der klarste und zutreffendste sein dürfte. Ich, der Verfasser dieser Kampfschriften, bin nicht etwa fern von der Geistesverfassung des Nihilismus geboren worden, sondern gleichsam in ihrem Schoß . ..“ Es geht um wichtige, die moderne Welt tief angehende Dinge, die hier behandelt werden, um die Verteidigung des Gottesglaubens, des Christentums und der Kirche unter anderem! Und es geschieht in der „Form des Bekennens“ und nicht in der „Form der Unterhaltung“, wie es Werfel ausdrücklich betont. Diese Essays stellen einen Auszug aus seiner Lebenserfahrung dar, sie sind sein Vermächtnis.

Der Leser merkt auch bald, daß er diese Ergebnisse ernst zu nehmen hat. Franz Werfel schöpft aus der Tiefe des Dichters. Seine unerschrockene Abrechnung mit der Zeit spricht aus, was Millionen denken. Sie betrifft vor allem die unglückselige Polarität, in deren Kraftfeld besonders Europa gezogen ist: der radikale Nationalismus und der radikale Sozialismus. Werfel deutet sie so, daß er den religionslosen Durchschnittsmenschen, den durch das mechanisierte Zeitalter auch seiner Menschenwürde beraubten „Mann von der Straße“ den eigentlichen Urheber dieser Polarität sein läßt. Und seine Analyse sucht darzulegen, daß der „Straßenmann“ sich um sein Ich betrogen, innerlich ausgehöhlt, von außen ausgenützt fühlt, und daß deshalb seine beiden „Söhne“ die Rache für die Verbitterung des „Vaters“ übernehmen: der ältere als Kommunist, der jüngere als Nationalsozialist. Beide sdiaffen sich „Ersatzreligionen“, indem sie das Ich, das der Vater aufgegeben hat, in vermeintlichen Idealen wieder zu gewinnen glauben. Soldier-art erweisen sich radikal links und radikal rechts als falsche Alternative. An ihre Stelle soll, so fordert der Autor, die richtige Alternative „zwischen oben und unten“ treten: die Entscheidung zwischen dem materiellen Blick auf die Welt und dem Glauben an den Geist.

Das ist freilich eine kühne Konzeption, aber sie hat den Charakter einer genialen Einsicht. Es werden hier Zusammenhänge blitzartig erleuchtet, vor denen man sonst oft ratlos steht. Und die Welt, die dem Glauben treu bleibt oder ihn neu zu gewinnen sucht, erhält dadurch eine wertvolle Stütze. Franz Werfel sind auch an anderen Stellen Formulierungen gelungen, die eine eminente entlarvende Kraft gegenüber den Schlagwortideologien der Zeit haben. Und da der Zeitgeist ein Element ist, dem wir am wenigsten entrinnen können, so leistet uns die Überlegenheit des Autors gegenüber der Gegenwart gute Dienste. Der Leser möchte oft eine Zeile nach der andern anstreichen, voll Zustimmung, wie wahr es ist, was gesagt wird, und wie gut es ist, wie es gesagt wird. Namen, wie „Realgesinnung“, „Realistischer Nihilismus“, womit Werfel die Welt seiner Gegner bezeichnet, umschreiben gerade die Schlagworte, mit denen heute oft kompakte Majoritäten arbeiten, um den einzelnen mundtot zu machen, der an einen heiligen Sinn der Geschichte glaubt. Wir sind ihm deshalb zu Dank verpflichtet.

Franz Werfel ist ein weltberühmter Name, und seine Stimme findet bei Hunderttausenden schon deshalb Gehör. Wenn er den von ihm abgelehnten Weltanschauungen den Namen „Häresie“ gibt, so arbeitet er zwar mit einem säkularisierten Begriff, aber es hat immerhin die Bedeutung, daß die alten Wertkategorien der Kirche in die große Literatur eingegangen sind. Freilich entstammt Franz Werfel dem Kreis der liberalen Schriftsteller, die noch vor 50 Jahren von der Kirche kaum anders Notiz genommen haben, als im polemischen Sinn. Er sagt es selbst, daß er gar nicht „fern von der Geistesverfassung des Nihilismus“ geboren wurde. In diesem Sinn bedeutet Werfel eine wichtige Annäherung der modernistischen Welt.

Franz Werfel hat die Lehre der Kirche aber nicht bloß studiert, wie man etwas Fremdes objektiv untersucht. Viele theologische Stellen deuten darauf hin, daß er sie persönlich assimiliert hat und seinem Publikum als eine Art neueste Entdeckung weiter vermitteln konnte. Uralte Sätze der Kirche erscheinen also plötzlich höchst modern. Es wäre wertvoll, diese seine „Ubersetzungsarbeit“ der Lehre in den Sprachgebrauch der modernen Literatur zu untersuchen. Vielleicht könnte man hier Ansätze zu Verbindungen finden, die der katholische Laie oft vergeblich auf theologischem Weg sucht.

Wo Franz Werfel vom Naturrecht, von der Persönlichkeit, von der Unantastbarkek des Eigentums spricht, ergeben sich immer wieder Parallelen zu christlichen Anschauungen. Aber er wagt sich noch weiter vor: er bejaht die Lehre von der Trinität, die Auferstehung des Fleisches, die Existenz Gottes als Persönlichkeit, die katholische Kirche, die Notwendigkeit des Christentums als einziges Heilmittel. Er fühlt sich „kraft uralter Bluts- und Wesensverwandtschaft gerade als Jude zu folgender Anschauung berechtigt: Diese Welt, die sich zivilisiert nennt, kann seelisch nur geheilt werden, wenn sie den Weg zu einem echten Christentum wieder f'ndet. Warum? — werden die Küster der Diesseitsgesinnung eifern. Weil die Lehre Christi — so muß die tiefere Einsicht bekennen — nicht nur nicht erschöpft, sondern kaum geahnt ist. Weil sie alle Gegenwartsbewegung an metaphysischen und ethischen Werten um Sternenhöhen überragt. Weil sie den plumpen Realbarbaren und den besessenen Interessenten in Europa und Umgebung vor das heilige Paradox stellt: ,Lebe gegen deine Interessen für die Wahrheit und das Leben!'“ (Seite 1?1 ff.)

All dies beweist, daß Franz Werfel zur Lehre der Kirche, die er übrigens oft zur Stützung seiner Thesen namentlich anruft, eine positive Stellung bezieht. Da er sich freilich in keiner Weise gebunden erklärt, behandelt er sie nach persönlichem Ermessen und verwendet auch okkulte und gnostisdie Gesichtspunkte bei diesem Prozeß der Einverleibung. Er fühlt sich letzten Endes als ..Künstler“, der nach eigenen Gesetzen verfahren darf. „Der Künstler ist die purste Antithese des Heiligen. Der Heilige opfert sein Ich Gott auf, der Künstler opfert sich selbst seinem Ich auf“, stellt er mit einer gewissen Kühnheit fest. (Denn weldien „Künstler“ meint er? Doch nicht den des Mittelalters?) Immerhin gelangt er durch diese kaum jemals aufgegebene Autorität des Ich zu Widersprüchen gegen die Welt des Heiligen, die er an anderen Stellen verteidigt. Er gelangt zu Ergebnissen, denen der Christ niemals zustimmen kann.

Es handelt sich vor allem um die Schon erwähnten 33 Aphorismen in dem Abschnitt „Christus und Israel“, die zwar nur den geringen Raum von 26 Druckseiten einnehmen, aber von größter Wichtigkeit für die Stellung des Juden zum Christentum sind und offenbar Franz Werfeis eigenstes Bekenntnis in dieser Frage darstellen. In Artikel 16 kommt voll zum Ausdruck, zu welchem Standpunkt er sich durchgerungen hat. Wir zitieren deshalb diesen Artikel hier ungekürzt.

„Ein Jude, der vors Taufbecken tritt, desertiert in einer dreifachen Klimax. Erstens desertiert er im profanen Sinne aus der Partei der Schwachen, der Verfolgten und zu einer bestimmten, schmachvoll und schmerzlichen Art von Geschichte Ausgelosten: dieser Schritt erscheint zumindest nicht sehr edel und generös, selbst wenn er keinem niedrigeren Opportunismus gelten mag als dem des eigenen Seelenheils.

Derselbe Jude desertiert ferner nicht nur aus der entehrten und gepeinigten Gemeinschaft des gegenwärtigen Israel, er desertiert aus Israel bis in die Tiefen zu Abraham, Isaak und Jakob hinab. — Es ist schon ein schwerer und bedenklicher Schritt, einem profanen Volke den Rücken zu kehren. Wie unfaßbar schwer aber ist es, zumal für einen Religiösen, dem Gottesvolke den Rücken zu kehren, das sich herangelitten hat von Abrahams Verfolgung in Ägypten, bis zur Ghettoschlacht in Warschau des Jahres 1943, ewig hingemordet um seines Gottes willen.

Drittens aber desertiert dieser Jude, der zum Taufbecken tritt, Christum selbst, da er in Willkür sein historisches Leiden — die Buße für die Verwerfung des Messias — unterbricht und in einer eiligen, im Heilsdrama nicht vorgesehenen Weise dem Erlöser an die Seite tritt, wohin er vielleicht nach dessen heiligem Willen gar nicht gehört, zumindest noch nicht, und nicht jetzt und hier.“

So lautet der 16. Artikel, der eine eigenartige, widerspruchsvolle Theologie vertritt. Er richtet sich ja nicht gegen Christus und die Kirche, ja überhaupt nicht gegen die Taufe schlechthin, insofern er Christus als oberste Autorität anerkennt, aber er richtet sich gegen die Taufe des Juden. Damit widerspricht er doch der Auffassung der Kirche, ja überhaupt jeder christlichen Mission. Es ist deshalb zu verstehen, daß Pater Cyrill Fischer, der selbst im Sinn von Kardinal Faulhabers „Adventpredigten“ eine Schrift „Wie sieht der Katholik das jüdische Volk“ (Wien 1935) verfaßt hatte, alle seine Bemühungen verloren sah. Er schrieb am 25. Februar 1945 an mich:

„Mister Werfel hat inzwischen ein Büchlein herausgebracht, ,Between Heaven and Earth', Sammelsurium von früheren Abhandlungen. Das Büchlein ist ein absoluter Rückschritt gegen Bernadette' und wird ziemlich allgemein, auch von jüdischer Seite, abgelehnt, wie er mir selbst sagte. Mich wundert es gar nicht. Aber ich hatte keinerlei Einfluß. Besonders dumm und unlogisch und erst recht untheologisch sind seine Feststellungen von dem dreifachen Verrat des Juden, der sich taufen läßt. Ich fürchte, er verspielt die Gnade seiner Bekehrung.“

Das ist freilich ein schroffes Urteil. Aber Pater Fischer spricht hier als Seelsorger und Theologe seiner Kirche und hat nicht die Aufgabe, den schwierigen Voraussetzungen gerecht zu werden, die Werfeis Stellungnahme bestimmten. Es ist auch möglich, daß die englische Übersetzung, die Werfel selbst so schlecht empfand, daß er sie als „verwackelte Photographie“ des Originals bezeichnete (in einer Widmung seines Buches an einen Freund), das Bild noch verzerrter machte.

Wenn hier auf die Argumente Werfeis näher eingegangen wird, so vor allem deshalb, weil es vom Missionsstandpunkt immer von größtem Wert ist, die eigentlichen Wurzeln der gegnerischen Stellung kennen zu lernen. Der Psychologe wird auch die Ehrlichkeit, den guten Glauben in Werfeis Feststellungen nicht leugnen können. Sein Hauptargument ist die Untreue, die er dem Übertretenden vorwirft. Dies ist nicht ohne weiters zu verwerfen. Denn Werfel hat offenbar die Taufe aus Konjunkturgründen vor Augen, die oft wirklich einer Desertion gleicht, zumindest von Deserteurcharakteren vollzogen wird: aus Flucht vor dem Schicksal oder um gesellschaftlicher oder gesdiäftlicher Vorteile willen, also „wenig generös“ ist.

Werfel macht sich aber nicht bloß zum Anwalt einer charakterfesten Treue, sondern auch zu dem des Blutes. Dieser Vorwurf, der den zum Christentum sich wendenden Juden trifft, ist uralt, und Werfeis Haltung unterscheidet sich in diesem Punkt wenig von dem Eifer, der den Konvertiten als „Renegaten“ ablehnt und verloren gibt. Es kommt der wirklich tragische Umstand hinzu, daß durch die unerhörten Verfolgungen, die das Judentum im zweiten Weltkrieg erlitten hat, gerade diese hoffnungslose Position entschiedene Verstärkung erhielt. In Artikel 16 tritt auch diese Beziehung deutlich hervor.

Man kann Werfeis psychologische Situation also voll verstehen, doch niemals, soweit sie gedanklich formuliert wurde, für wahr halten. Wären diese Behauptungen wahr, dann verlöre die ganze Heilsgeschidite, an der doch Werfel festhält, ihren Sinn. Dann wären die Apostel und vor allem der heilige Paulus nichts anderes als — Deserteure, die über die allein verpflichtende Grenze ihres Judentums geflohen sind. Franz Werfel steht hier klar gegen Paulus, den er doch, seiner Hauptrichtung nach, anerkennen muß.

Abgesehen davon, würden weder Theologie noch Philosophie Begriffe wie „die metaphysische Rolle“ des Judentums als sinnvoll zulassen: eine solche „Rolle“ würde ein ewiges Gefängnis bedeuten, ein geistiges Ghetto, das einen Teil des Menschengeschlechtes für immer von der Wahrheit und dem Leben ausschließt. Der schlimmste Feind des Judentums hätte kein grausameres Argument für dessen absolute Verbannung erfinden können. Daß dies „vielleicht“ Christus wünschen, daß es „vielleicht nach dessen heiligem Willen“ geschehen sollte, ist gänzlich unvereinbar mit der Liebe Christi zu allen Menschen, an die doch Werfel selber glaubt.

Franz Werfel befand sich offenbar in sehr verzweiflungsvoller Stimmung, als er diese sich selbst widersprechenden „Theolo-gumena“, besonders das 16. Kapitel, hinschrieb. Aber dadurch begab er sich in die Gewalt einer Häresie, wie diejenigen, an denen er sie mit Recht aufzeigen konnte.

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