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Gedächtnis des Herrn: Eucharistie

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Nach langen Kontroversen zwischen den Konfessionen wird das Sakrament der Eucharistie wieder als das verstanden, was es eigentlich sein soll: Zeichen der Einheit.

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Nach langen Kontroversen zwischen den Konfessionen wird das Sakrament der Eucharistie wieder als das verstanden, was es eigentlich sein soll: Zeichen der Einheit.

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Als nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Reform der Meßfeier durchgeführt wurde, gab es innerhalb der katholischen Kirche nicht wenige Gruppierungen, die in dieser Reform und dem ihr zugrunde liegenden Verständnis des Sakramentes der Eucharistie eine Preisgabe der überkommenen Lehre, einen Verrat an den Aussagen des Konzils von Trient und eine Protestantisierüng der katholischen Eucharistiefeier erblickten.

Richtig an diesen Vorwürfen war sicher die Feststellung, daß das Verständnis dieses Sakramentes durch die Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils und durch die gesamte Reformar-

beit sich entschieden gewandelt hat, allerdings nicht in Form einer Preisgabe verbindlicher Lehraussagen der katholischen Kirche, wohl aber in Form eines viel umfassenderen Verständnisses dieses Sakramentes.

Blicken wir zurück auf die Theologie vor dem Konzil, so hatte sie sich — vergröbert ausgedrückt—vorwiegend mit drei Fragen beschäftigt, nämlich dem Opfercharakter, der Realpräsenz Christi unter den Gestalten von Brot und Wein und der Lehre von den sogenannten „Meßfrüchten“, die den Teilnehmern an der Feier sowie anderen , Lebenden oder Verstorbenen in unterschiedji-cher Form zukommen.

Gleichzeitig stand die katholische Theologie in Abwehrstellung gegenüber den Kirchen der Reformation, die den Mahlcharakter der Eucharistie in den Vordergrund rückten, sowie gegenüber den Ostkirchen, die im Gegensatz zur Westkirche nicht oder nicht allein dem Einsetzungsbericht (den „Wandlungsworten“) das Zustandekommen der eucharisti-schen Gegenwart des Herrn zuschreiben, sondern auch oder vorwiegend der an den Vater gerichteten Bitte, der Heilige Geist möge die Gaben mit seiner Kraft erfüllen, damit sie uns zum Leib und Blut des Herrn werden.

Verglichen mit dieser theologischen Engführung haben wir heute ein Verständnis der Eucharistie, das unter Wahrung der verbindlichen Lehraussagen der katholischen Kirche auch dem Verständnis der Reformationskirchen wie auch dem der Ostkirchen Raum bietet und Rechnung trägt. Das Sakrament, das bisher zwischen den christlichen Konfessionen stand und dessen Verständnis sie entzweit und getrennt hat, ist nun wieder zu dem geworden, was es eigentlich sein soll, nämlich Zeichen der Einheit, insofern es zur Einheit führt und Einheit bezeugt.

Wenn ich vorerst auf die Unterschiede zwischen dem katholischen und dem evangelischen Verständnis Bezug nehme: Hinter den scheinbar gegensätzlichen Positionen der Betonung oder Leugnung des Opfercharakters der Eucharistie erkannte man als gemeinsame Grundlage ,für die Feier der Eucharistie den Auftrag und das Vermächtnis Jesu Christi: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ Die Feier der Eucharistie ist vor allem Gedächtnis dessen, was der Herr bei seinem Abschiedsmahl den Aposteln und damit der Kirche insgesamt aufgetragen hat. Wann immer sich eine Gemeinde im Geiste Christi versammelt und den Auftrag des Herrn

begeht, begeht sie sein Gedächtnis, wobei aber Gedächtnis weit mehr ist als ein „Sich erinnern“ an längst Vergangenes, es ist ein Gegenwärtigwerden dessen, was Inhalt des Gedächtnisses ist; im Gedächtnis wird das gegenwärtig, ja im Gedenken ereignet sich das, woran man denkt.

Dieses Verständnis eines gegenwärtigenden Gedächtnisses, das der abendländischen Theologie im Mittelalter verlorengegangen ist, hat seinen Ursprung in der jüdischen Liturgie: jede liturgische Handlung, jede Feier des Volkes Israel, jedes religiöse Fest ist gegenwärtigendes Gedächtnis des rettenden Handelns Jahwes an seinem Volk Israel.

Besonders deutlich wird dies im Verständnis des jüdischen Pe-sachmahles, bei dem bis heute genau alle Vorschriften des Exodusberichtes eingehalten, der Bericht vom Auszug Israels aus Ägypten verkündet und den Feiernden gesagt wird: Nicht an euren Vätern allein hat Gott diese Erlösung gewirkt, nein, ihr seid es, die der Herr erlöst und befreit; ihr, die ihr jetzt sein Gedächtnis begeht! (vergleiche Deuteronomium und Pesachliturgie). Jüdische Litur-

gie ist nie Erinnerung an längst Vergangenes, sondern Gegenwärtigung des Heilshandelns Gottes inmitten der feiernden Gemeinde.

Im Rahmen eines so verstandenen Pesachmahles hat Jesus Brot und Wein zum Zeichen seiner Hingabe für die Seinen und die ganze Welt gemacht und den Jüngern aufgetragen, dies zu seinem

Gedächtnis zu begehen. Wenn also die christliche Gemeinde sich versammelt, um in Wort und Tun den Gedächtnisauftrag Christi zu erfüllen, dann wird in dieser Feier Christi Wort und Tun gegenwärtig, und die Zeichen des Mahles, Brot und Wein, werden zu Zeichen der liebenden Hingabe des Herrn, zu Zeichen, die diese totale Hingabe bis in den Tod auch beinhalten: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben - das ist mein Blut, das für euch vergossen wird!“

Das Geschehen des Abendmahles und die in den Worten und dem Tun des Herrn verwirklichte liebende Hingabe Christi wird damit inmitten der feiernden Gemeinde gegenwärtig.

Das Geschehen des Abendmahles war aber nicht nur eine zeichenhafte Vorwegnahme der totalen Hingabe des Herrn in seinem Leiden und Sterben am Kreuz, seines Kreuzesopfers, sondern darüber hinaus Gegenwärtigung jener liebenden Hingabe, die das gesamte Menschsein des Sohnes Gottes kennzeichnet, angefangen

von der Menschwerdung bis hin zur Annahme durch den Vater in der Auferweckung Jesu Christi von den Toten und seiner Aufnahme in die vollendete Herrlichkeit Gottes.

Das Opfer Christi beschränkt sich daher nicht auf das Kreuz, sondern umfaßt seine ganze menschliche Existenz, wie der Hebräerbrief ' auch deutlich macht: „Christus spricht bei seinem Eintritt in die Welt: Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gefordert, doch einen Leib hast du mir geschaffen; an

Brand- und Sündopfern hast du kein Gefallen. Da sagte ich: Ja, ich komme ... um deinen Willen, Gott, zu tun!“ (Hebräer 10/5-7). Das Opfer Christi ist nicht allein der blutige Kreuzestod des Herrn, sondern sein ganzes Menschsein, das er in liebender Hingabe an die Menschen und im Gehorsam gegenüber dem Vater angenommen hat.

Die Feier der Eucharistie ist deshalb Opfer, weil in ihr im Gedächtnis jene liebende Hingabe des Herrn gegenwärtig wird, die mit seiner Menschwerdung anfing, im Leiden und Sterben am Kreuz ihren unüberbietbaren Höhepunkt fand (vergleiche Johannes 15/13: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“) und in der Auferstehung und Heimkehr zum Vater zur Vollendung gelangte.

Wenn wir im Anschluß an die Herrenworte des Einsetzungsberichtes die Akklamation „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit“ ausrufen, dann ist damit unser Bekenntnis zum Herrn ausgedrückt, der ein menschliches Leben für uns annahm und für uns hingab, dadurch zur Vollendung beim Vater gelangte und so unsere Erlösung verwirklicht.

Das Opfer der Messe ist nicht eine unblutige Erneuerung oder

gar Wiederholung des blutigen Kreuzesopfers Christi, sondern die Gegenwärtigung der liebenden Hingabe des Herrn, die seine gesamte menschliche Existenz umfaßt und die der Herr selbst zeichenhaft in den Elementen des Mahles, in Brot und Wein, die er den Jüngern reicht, zum Ausdruck bringt: Zeichen, die das Bezeichnete auch beinhalten. Wenn wir daher uns zum Mahl versammeln, das Jesus uns aufgetragen hat, um im Brechen des Brotes und im Reichen des Kelches seiner Ganzhingabe zu gedenken, dann wird in diesem Mahl das Opfer des Herrn gegenwärtig, und zwar das eine Opfer, das Christus ein für allemal vollbracht hat und neben dem es kein Opfer mehr geben kann (vergleiche Hebräer 9/ 11-28).

Die Gestalt der Eucharistiefeier ist die eines Mahles; der tiefste Inhalt des Mahles, die Speise, ist der sich für uns in Liebe hingebende Herr, ist das Opfer Jesu Christi. Dadurch, daß dieses Opfer Christi inmitten der feiernden Gemeinde gegenwärtig wird, kann diese sich mit Christus verbinden, mit ihm eins werden, indem sie seine Gesinnung zu ihrer eigenen macht

und so mit seiner Hingabe und seinem Opfer eins wird: eins geworden mit ihrem Herrn, kann sie auch eins werden mit seinem Opfer und so sein Opfer zu ihrem Opfer machen. Doch nicht ihr Tun steht im Mittelpunkt des Geschehens, sondern das Tun des Herrn, das im Gedächtnis der Gemeinde gegenwärtig wird.

Mit einem so verstandenem Opfercharakter der Eucharistie kann sich auch die reformatorische Theologie einverstanden erklären, denn dem einen Opfer Jesu Christi, das er „ein für allemal“ vollbracht hat (Hebräer 10) wird nichts hinzugefügt; es wird vielmehr im Gedächtnis gegenwärtig, und die feiernde Gemeinde wird mit Christus und seiner Gesinnung eins, sie wird mitopfernd. Daß im Gedächtnis des Heilshandelns Christi die Gemeinde am Opfer Christi Anteil erhält, hat die Liturgie in ihren Eucharistiegebeten im Anschluß an den Einsetzungsbericht in der Formulierung „memores offerimus - gedenkend bringen wir dar“ ausgedrückt, nur die Theologie hat diesen Zusammenhang zu wenig beachtet. Seine Wiederentdeckung vermag die Kluft zwischen katholischem und reformatorischem Eucharistieverständnis zu schließen.

Der Autor ist Professor für Liturgiewissen-schaft und Sakramententheologie an der Universität Salzburg. Zum Thema „Eucharistie“ folgt demnächst ein zweiter Beitrag.

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