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Osterfest 1994 -ohne ein Halleluja?

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Der Film „Schindlers Liste" des jüdischen Regisseurs Steven Spielberg erirmert manchen an das Wort von Theodor W. Adorno: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch." Mag der Philosoph diese Äußerung auch später als falsch bezeichnet haben (1966), so hat er damit doch ein Empfinden ausgesprochen, das sich bei nachdenklichen Menschen angesichts solcher und ähnlicher Untaten einstellt: Kann man danach wirklich noch lyrische Texte und Lieder dichten? Kann man beim Gedanken an die Millionen Opfer noch singen? Gilt das nicht auch für das frohe Singen des Halleluja am diesjährigen Osterfest, während gar nicht weit entfernt Tausende verfolgt, vergewaltigt und gemartert werden und Hunderttausende in der Welt auf der Flucht sind? Am Ende der sechziger Jahre, während des Vietnamkrieges und der Hungersnot in Biafra, weigerten sich manche Theologiestudenten, die Osterlieder mitzusingen.

Der Kirche fern oder kritisch Gegenüberstehende werfen den Christen nicht selten vor, gedankenlos und realitätsblind zu sein (vergleiche R. Buggle, Denn sie wissen nicht, was sie glauben). Diese Einwände zwingen jeden nachdenklichen Christen, sich der Frage zu stellen, ob er zu Ostern 1994 noch das Halleluja singen darf Hilfreich ist eine kurze Besinnung auf die alttestamentliche Herkunft des Halleluja, seine Aufnahme im Neuen Testament und seine enge Beziehung zu dem, was die Kirchen in der Osterzeit feiern.

1. Der hebräische Ruf „Hallelu-Jah(we)" bedeutet „I^bt-Jahwe" und steht 24 mal am Ende von Psalmen. Im Buch Tobit 13,18 wird er als selbständige Akklamation zitiert: „Halleluja ruft man in all seinen Gassen und stimmt in den Lobpreis ein: Gepriesen sei Gott". Die Form der Mehrzahl („lobt") zeigt, daß das Gotteslob nicht bloß die Angelegenheit eines einzelnen, sondern Ausdruck der Glaubensgemeinschaft ist. Die so eingeleiteten beziehungsweise abgesch ossenen Psalmen fordern alle - selbst die außermenschliche Kreatur - auf, Gott freudig zu preisen, auch mit Musikinstrumenten.

Dabei waren die Dichter und Sänger der Psalmen keineswegs blind für die Nöte ihrer Zeit. Ihr frohes Gotteslob gründet aber in der Hoffnung, daß JHWH sich in der Zukunft als mächtiger Retter erweisen werde, wie dįes aus der Vergangenheit erzählt wurde, besonders im Gedenken an die Errettung des Volkes in Ägypten. Im Kult vrarde diese künftige Rettung schon vorwegnehmend gepriesen, so in dem großen Hallel (Lobgesang, Ps 113-118) bei der Feier des Pascha.

Nach dem Evangelisten Markus hat Jesus beim letzten Abendmahl, im Wissen um den ihm drohenden Tod, als Jude darin eingestimmt: „Nach dem Lobgesang gingen sie hinaus zum Ölberg" (Mk 14,26 - so die einzige Stelle, in der ausdrücklich ein Singen Jesu erwähnt wird).

2. Die griechisch sprechenden Juden haben das hebräische Halleluja in ihrer Bibel (Septuaginta) nicht in ihre Sprache übersetzt, sondern lediglich mit griechischen Buchstaben wiedergegeben (transkribiert); so vrarde es auch in das Neue Testament, in die lateinische Vulgata und in die christliche Liturgie übernommen. Es fällt aber auf, daß im Neuen Testament dieser Ruf einzig ge-^en Ende der Offenbarung des Jo-lannes vorkommt. Dort singen in der Schilderung eines himmlischen Dankgottesdienstes die Geretteten zusammen mit den überirdischen Wesen das Halleluja nach der Zerstörung der Hure Babylon, der bildhaften Verkörperung aller Gegner (19,1-6; „preist unseren Gott" ist dabei wohl eine Übersetzung des Rufes). Sie feiern damit die endgültige Verwirklichung der von Jesus angekündigten Herrschaft Gottes: „Halleluja! Denn König geworden ist der Herr, unser Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung. Wir wollen uns freuen und jubeln, und ihm die Ehre erweisen" (19,6f).

ANBRUCH DER ENDZEIT

Diese Vision des Sehers auf Patmos nimmt wie die anderen Chöre in der Apokalypse bildhaft schon das Ende vorweg, das Johannes nach den weiteren Bildern, des 1000jährigen Reiches und des Endgerichts, dann in der Schau des himmlischen Jerusalem entfaltet, das auf diese Erde herabsteigt. Von Gott, der mitten unter den Menschen wohnt, heißt es: „Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen. Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage. Denn was früher war, ist vergangen" (21,4).

Wenn der Ruf des Halleluja im Neuen Testament einzig in der Offenbarung des Johannes erklingt, hegt das auf der Linie der Aussagen späterer jüdischer Ausleger der Bibel, die diesen Jubelruf der Endzeit vorbehalten wollten: „103 Abschnit-

Unser Urvertrauen:

Irgendwie sind wir alle, bewußt oder unbewußt, davon überzeugt, daß das Leben nicht sinnlos und absurd ist, te (des Psalters) hat David gesagt, aber Halleluja hat er erst gesagt, als er den Fall der Gottlosen sah" (Ber 9b). Nach jüdischem und christlichem Verständnis hat das Halleluja und jegliches Gotteslob letztlich seinen Grund in der Hoffnung auf Gottes zukünftiges Eingreifen.

3. Alle christlichen Kirchen haben schon in den ersten Jahrhunderten das Halleluja in ihre Liturgie aufgenommen und ihm während der SOtägigen Osterfeier einen besondern Platz eingeräumt. Sie konnten dies, weil sie in der Auferstehung Jesu die große Machttat Gottes erkannten: „Gott hat ihn von den Toten auferweckt" (Rom 10,9; vergleiche 1 Thess 1,10; Apg 3,15; 4,10). Auch wenn es wie in der ältesten Nachricht von Jesus heißt, „daß er starb und auferstand" (1 Thess 4,14), ist vorausgesetzt, daß diese Auferstehung durch Gottes Schöpfermacht bewirkt wurde (erst im jüngeren Jo-lannesevangelivun wird die Auferweckung Jesu als seine eigene Tat bezeichnet, die er als der Sohn dank seiner Einheit mit dem Vater wirkte: Joh 2,19.21; 10,18).

Was gläubige Israeliten für die Zukunft erhofften und erhoffen, eine Großtat Gottes entsprechend der Errettung aus Ägypten, hat nach christlicher Überzeugung in der Auferweckung Jesu schon seine wirkliche, wenn auch erst anfanghafte Erfüllung gefunden. In der Bibel und kirchlichen Liturgie wird die Auferweckung Jesu als Anbruch der Endzeit aufgefaßt. Die Verwirklichung der von Jesus angekündigten Gottesherrschaft wird unter anderem im Bild vom 1000jährigen Reich (Offb 20,4--6) ausgesprochen.

Nach altem christlichem Glauben ist es das Anhegen des Osterfestes und der bis Pfingsten dauernden Osterzeit, Gott für diesen Sieg über die Macht des Todes zu danken und immer wieder neu darüber zu staunen: Gott hat seinen eigenen Sohn, der unser Bruder und Leidensgenosse wurde, aus dem Tod errettet und ihm auf eine neue Weise Anteil an seiner Herrlichkeit und Macht geschenkt (Phil 2,9). Dadurch köimen alle Getauften jetzt schon anfanghaft, in der Todesstunde endgültig und am Weltende zusammen mit allen Schwestern und Brüdern die Teilhabe am Leben in Fülle erhalten, für das alle erschaffen wurden.

Wer darüber nachdenkt, was Gott der Welt durch die jedes menschliche Begreifen übersteigende Auferweckung seines Sohnes geschenkt hat, kann nicht anders als dafür danken und dies zusammen mit allen Getauften im frohen österlichen Halleluja ziun Klingen bringen.

4. Aber dürfen und können wir das auch 1994, während der größte Teil der Menschheit hungert, Millionen auf der Flucht sind und Tausende in unseren Nachbarländern auf grausamste Weise gequält werden? Erscheint das Singen des Halleluja da nicht doch „barbarisch" und „zynisch"? Dieser Anfrage muß sich letztlich jedes Singen und Feiern stellen, ob in der Familie, im Konzertsaal oder beim Heurigen.

Wenn wir trotz vieler schrecklicher Nachrichten und der Erfahrung bitteren Elends in unseren Familien und der nächsten Nachbarschaft nicht auf kleinere oder größere Lebensfreuden verzichten, ist dies, wie der Soziologe Peter L. Berger eiiunal in anderem Zusammenhang ausführte, im Grunde Ausdruck eines uns Menschen geschenkten Urver-trauens: Irgendwie sind wir alle, bewußt oder imbewußt, davon überzeugt, daß das I^ben nicht sinnlos und absurd ist, wie manche Dichter aus tiefer Betroffenheit als sensible Mahner schreiben. Wer von dieser Sinnlosigkeit überzeugt ist, müßte sich eigentlich ganz aus der menschlichen Gesellschaft zurückziehen und seinen Beruf aufgeben. Beim österlichen Halleluja kommt aber noch ein Dreifaches hinzu:

BEZEUGUNG DES GLAUBENS

Erstens ist nach Aussage der Bibel Gottes machtvolle Auferweckung seines gekreuzigten Sohnes hingeordnet auf die Überwindung alles Bösen in der Welt und auf die Errettung aller Menschen aus der Verstrickung in Leid, Unrecht, Sünde und Tod. Das österhche Danken erfolgt also nicht „barbarisch" unter Absehen von allem Leid, sondern im Hinbhck auf die einzig durch den Auferstandenen möghche endgültige Errettung aller Bedrängten.

Daß durch Jesu Auferweckimg nicht sofort jedes Leid in der Welt aufgehoben wird, muß in Verbindung mit dem in der Bibel eröffneten Weltplan Gottes gesehen werden. Dieser ist uns zwar nicht von vornherein einsichtig, nimmt aber offenbar Rücksicht auf die den Geschöpfen, zugestandene Freiheit. Dies bedingt das Harren und Seufzen der ganzen Schöpfung und selbst der schon durch die Taufe Erlösten auf die Vollendung (Rom 8,22), deren Herrlichkeit keinen Vergleich mit den Leiden dieser Zeit zuläßt (vergleiche Rom 8,18).

Zweitens ist das österliche Singen des Halleluja Ausdruck und zugleich Bezeugung des Glaubens der Christen an die Auferstehung Christi, so wie in Israel das Singen der Psalmen und des Halleluja der gegenseitigen Festigung im Hoffen auf die zukünftige Rettung durch JWHW diente. Imnitten einer Welt, wo viele berechtigte Angst um die Zukunft der Menschheit und der ganzen Schöpfung haben, nicht wenige dadurch krank werden und resignieren, kommt darum dem Österjubel der Christen hohe Bedeutung zu: Den Bedrängten und Leidenden wird dadurch echte Hoffnung geschenkt.

CHRIST HERAUSGEFORDERT

Dieser frohen Osterbotschaft kann allerdings nur der gläubig zustimmen, den Gott durch seinen Lebensodem von der Fixierung auf das Vordergründige und der Versteifung auf positivistische Beweise befreit (vergleiche 1 Kor 12,3: „Keiner karm sagen: ,Jesus ist der Herr', wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet"). Bekaimtlich hat die österliche Freude vielen Christen des Ostens in den Jahren der Unterdrückung immer wieder neuen Mut verheben. Deshalb ist auch 1994 das österliche Halleluja nicht bloß Dankespflicht gegenüber Gott, dem Retter, sondern auch ein Zeichen der Hoffnung für alle Bedrängten, damit sie ihre Hoffnung ganz auf den setzen, der allein wirklich helfen kann.

Drittens wird jeder Christ, der ein frohes Halleluja zu singen vermag, dadurch herausgefordert, soweit es an ihm liegt, nicht gedankenlos möghchst viel für sich in diesem Leben zu ergattern, sondern sich dankbar für die Linderung des mannigfachen Leides in der Welt einzusetzen. So kann er dazu beitragen, daß die österliche Liebestat Gottes ihrer Vollendung näher kommt.

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