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Zelt, aus Licht gewirkt

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Bauen ist eine Kunst, ob man Kunst nun von Können oder Künden herleitet. Bauen eines Gotteshauses ist sakrale Kunst. Der Baumeister ist schon seinem natürlichen Beruf nach Teilhaber an der Tätigkeit Gottes, der den Kosmos erschaffen hat und ihn erhält, im Sinne des lateinischen conservare und des deutschen „erhalten“, des beständigen Erneuerns, ja Neu-

Schaffens. Der sakrale Baumeister aber hat über seinen natürlichen Beruf hinaus eine höhere Berufung. Er nimmt nicht nur teil an der Schöpfertätigkeit Gottes, sondern wirkt, wie jeder Christ in seinem Bereich, durch seine Teilhabe am königlichen Priestertum Christi als erlöster Christ und Beauftragter der Kirche. Wir können hier nicht auf die theologisch-sakramentale Begründung dieser Tatsache in der durch Christus gewirkten Heilsordnung eingehen, vermerken sie aber, um von ihr aus die besondere Berufung und Verpflichtung des sakralen Baumeisters hervorzuheben. Denn nicht nur durch die Würde des Gegenstandes, des Gotteshauses, wird die Aufgabe des Baumeisters bestimmt, sondern auch durch die ihm in seinem Bereich zugedachte und zugeeignete Teilhabe an der Neuschöpfung in der erlösten und zu erlösenden Welt Als Teilhaber an dieser Neuschöpfung, die seit dem heilbringenden Tode und der glorreichen Auferstehung des Herrn eine nicht wegzuleugnende, wenn auch oft übersehene Realität iseigehtJW4in den 4akralfäü heran.

Schon bei dessen Grundlegung — ich zitiere hier für alle anderen Liturgien die armenische Liturgie — spricht der Ritus der Kirchweihe es aus,“ Gott möge mit Seiner allherrscherlichen Macht das Grundwerk der Kirche errichten, wie Er einst die Grundfesten des Kosmos gelegt hat. Damit weist die Liturgie auf die kosmisch-soteriologische Bedeutung des sichtbaren Kirchengebäudes hin als des symbolträchtigen Bildes der heilenden und heiligenden Einbeziehung des Kosmos in den gnadenhaften Bereich der erlösenden Kirche, wie es zum Beispiel J. B. Fischer von Erlach in seinem Mariazeller Altar dargestellt hat: Das Kreuz mit dem Gekreuzigten, schwebend über dem Globus, auf dem sich die Schlange ringelt, während von oben aus dem unaussprechlichen, verborgenen Namen Gottes der Strahlenglanz des Heiligen Geistes auf Kreuz und Kreuzesopfer und auf den Kosmos fällt. Deshalb wird in derselben Liturgie der Grundstein an allen vier Ecken des für die Kirche ausgemessenen Raumes „gesegnet, gesalbt und geheiligt“, um dadurch das Grundwerk des ganzen Baues und in ihm des ganzen Kosmos zu segnen, zu salben, zu heiligen. Doch nicht nur der Grundstein, sondern jeder Stein der Kirche und jeder Balken und Pfeiler an ihr wird geweiht. „Segne die Stützen und Steine, die in ihr sind, damit jeder, der sie grüßt, sie nicht wie unheilige Steine und Stützen grüße, sondern wie heilige Steine und Stützen Deines heiligen Namens.“ Die Steine und Stützen tragen den Namenszug Christi. Durch ihn lassen sie das Wesen Gottes erkennen Wo der Name ist, da ist, nach vorchristlichem und christlichem Glauben, das Wesen des Genannten.

Dieses Wesen aber ist machtvolle Lichtherrlichkeit des dreieinigen Gottes. Die Christen sind berufen, in der Gegenwart dieser Lichtherrlichkeit zu stehen. Sie ist gegenwärtig im geweihten Bau der Kirche, vor allem auf dem Altar, von dem die Gläubigen „Leben, Heil, Erneuerung des Geistes, Bestätigung des göttlichen Willens“ erwarten. Das Gotteshaus selbst ist „Haus des Herrn, Zelt, aus Licht gewirkt, Grundwerk des Glaubens, sicherer Felsen, Vermittler des Lebens und des Heiles, des Lichtes und der Erbauung, Haus königlicher Macht, Zelt der Freude und Freudigkeit, Mutter des christlichen Glaubens, Zelt ökumenischen Lebens, Gnadenstuhl der Sünder, Wohnhaus der Dreifaltigkeit Stätte, an der sich die Engel begegnen“. Wir wundern uns, nach diesen Bezeichnungen, von denen hier nur eine Auswahl gegeben ist, nicht, daß das so herrlich gefeierte Gotteshaus wie ein lebendiges Wesen gesehen und angesprochen wird. Die in ihm wirkende Symbolkraft ist so gewaltig, daß die Liturgie im sichtbaren Haus die aus lebendigen Steinen erbaute Kirche Christi verehrt. Denn, wie wieder die armenische Liturgie sagt, hat der Himmelskönig Christus sie mit Seinem Kreuze gekrönt.

Die begeisterten Zurufe, die an das Gotteshaus gerichtet werden, bewegen uns zu der

Frage, inwieweit eine solche legitime und autoritative Anschauung der Liturgie in unseren

Baumeistern lebt und in ihren Bauten sichtbar ist, ob sie, angesichts der Entwicklung in den letzten Jahrhunderten, überhaupt schon möglich ist. Die Antwort darauf hat Walter Nigg in seinem ausgezeichneten Aufsatz „Kunst und Evangelium“ in der seriösen Schweizer Zeitschrift „Du“ gegeben. In ihm ist alles Wesentliche gesagt, was vom Evangelium her gesagt werden kann. Bei aller berechtigten und gerechten Kritik an Vergangenem und Gegenwärtigem in der religiösen Kunst ist die Studie von einem großen Vertrauen in die Bemühungen erfüllt, die von der profanen Kunst her in die religiöse Kunst hineinwirken. In ihnen wurzelt auch die Hoffnung für den im strengen Sinn sakralen Bereich und im besonderen für den sakralen Bau. Die Versuche und auch schon Verwirklichungen vorbildlicher sakraler Bauten, wie wir sie heute, gottlob, nach den unglücklichen Nachahmungen vergangener Stile und Stilformen, wieder haben - ich unterlasse mit Absicht, Namen zu nennen —, lassen hoffen, daß nicht nur die unerläßlichen Forderungen der Echtheit, Wahrheit, Qualität am sakralen Bau wie. am profanen Bau erfüllt werden, sondern auch die Inspiration durch die Theologie der Liturgie, wie einst bei den monasti-schen Baumeistern des frühen Mittelalters, in die Entwürfe und in die Ausführung hineinwirkt. Man ehrt Gott nicht durch den kommerziellen Kitsch unserer Tage — das macht Walter Nigg sehr deutlich — und, so fügen wir hinzu, nicht durch Absonderlichkeiten und Willkürlichkeiten, die, aus falscher Einschätzung und Ueberschätzung der künstlerischen Individualität geboren, originell erscheinen wollen, sondern durch die Besinnung auf die wahre origo, den Ursprung alles Schaffens im sakralen Bereich aus der Heils- und Lebensordnung der Kirche. Wie der christliche Mensch durch Taufe und Salbung Tempeljdes,: Heiligen Geistes ist, ist der aus Stein und Holz erbaute Tempel Stätte der Verherrlichung des dreifaltigen Gottes und des Heiles der Gläubigen durch Opfer,

Sakrament und Gebet. Erst wenn der Reichtum natürlicher Begabung überformt wird durch die Fülle und Einsicht gnadenhaften Lebens aus dem göttlichen Pneuma, wird das Bauen des sakralen Baumeisters ein echter und gültiger. Dienst am Heilswerk der Kirche sein. Denn er wird nicht verpflichtet, ein Gehäuse um ein ihn nicht weiter angehendes Geschehen zu legen, sondern, aus dem Heilsgeschehen heraus, Miterbauer des Hauses Gottes zu sein, im vollen symbolischsakramentalen Sinne. Und noch ein Weiteres.

Wenn aus der glücklichen Erneuerung zerstörter oder beschädigter Kirchen ein neuer Impuls für neu zu errichtende sakrale Bauten herausschlägt, dann wird auch — für „konservative“ Gemüter sei das gesagt — jene heilige Kontinuität; die der Lateiner bezeichnender peremiitas nennt, gewahrt bleiben, die das echte Zeichen einer freudig aus den Kräften der Gegenwart schaffenden Ueberlieferung sakraler Baukunst ist. In dieser Hinsicht muß auch für den Baumeister das unsterbliche Wort der Römer gelten: Sit apud te cMtiquitati Uonos, Ehre das von den Vätern Ueberkommene und schaffe neu aus ihm. Dann wird auch das in unserer Zeit Gewirkte von Dauer sein.

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