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Vom Tempel zur Kirche

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Dem Alten Testament war es ein beglückendes Wissen, daß Gott inmitten seines Volkes wohne. Auf das Drängen des starrköpfigen Volkes hatte es Gott gefallen, sich inmitten der gefallenen Schöpfung eine Wohnung zu erwählen und damit seinem kleingläubigen Volke ein Zeichen seiner Nähe und seines Schutzes zu geben. Der Tempel — von Anfang an Zugeständnis und nicht Gebot — war für Israel ein Ort der Gottesbegegnung und des Gottesdienstes; in ihm war der Bundeswille Gottes schaubar und greifbar geworden. Mit seiner baulichen Gliederung spiegelte er die hierarchische Ordnung des Gottesvolkes wider. Nicht zuletzt war der Tempel für lange Zeit nicht nur der Ausdruck, sondern auch oft genug die Ursache der nationalen Einheit des Volkes und das Kriterium der Zugehörigkeit der Stämme zum österreichischen Bundesvolk.

Immer aber, wenn die Versuchung übermächtig wurde, das Zeichen als Garant zu nehmen, sich der Nähe Gottes versichern zu wollen, fehlte es auch nicht an Stimmen, die vor einer Vergötzung des Tempels warnten und auf die Freiwilligkeit des Gnadengeschenkes Gottes hinwiesen, sich einen von Menschenhand geschaffenen Bau zum Zelt zu nehmen, er, den die Himmel nicht fassen können. Der Tempel allein rettet ebensowenig wie die Nachkommenschaft Abrahams. Schon Jeremias spricht von einer Zeit, da niemand mehr nach dem Tempel fragen und der Bund der Beschneidung bedeutungslos sein wird, da Gottes Erwählte vielmehr sein Gesetz im Herzen eingeschrieben tragen werden.

„Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gezeltet“ (Joh. 1, 4). Der Ferne und Unnahbare ist zu uns gekommen, hat unsere Gestalt angenommen und ist für die Menschen seiner Welt hörbar, schaubar und greifbar geworden. Wer zu ihm kommt, mit ihm, dem Menschen, Gemeinschaft hat, hat Gemeinschaft mit Gott, weil das, was Gott ist, auch ganz in ihm zu finden ist. Diese Gemeinschaft erhält ihr wirkkräftigstes Zeichen im Mahl der Jünger mit dem Herrn. Und das Mahl der Brüder im verkündigenden und gegenwärtigsetzenden Gedächtnis seines Heilsdienstes wird zum Grund der Gemeinschaft nach seiner Erhöhung; den in seinem Namen Versammelten — zur feiernden Gemeinde, aber auch zum gemeinschaftlichen Glaubensvollzug im Leben ist seine Gegenwart verheißen. In der Gemeinschaft der Glaubenden bleibt der Herr weiterhin hörbar, schaubar und greifbar. In ihr bleibt er in seinem Wort und in seinem Sakrament, Keine Trennung

Was dem Volk des Alten Bundes im Tempel gegeben war, ist dem neuen Bundesvolk genauso zugesagt in der aktualisierten Gemeinschaft der Jünger — der Kirche. Dabei ist zwar die Eucharistiegemeinschaft grundlegend, aber nicht zu trennen von der Gemeinschaft des Lebensdienstes und der geistlichen Auferbauung, war auch in der jungen Kirche nie getrennt.

Aus diesem Grund geht auch die ganze theologische Wirklichkeit, die im AT mit der Begrifflichkeit des Tempels zusammenhängt, im neu-testamentlichen Schrifttum auf die Gemeinschaft der Kirche über, ja die Kirche wird als Tempel angesprochen. Ihr Hoherpriester ist Christus, der in sich selbst das einzig Gott würdige Opfer ein für allemal dargebracht hat.

Hand in Hand mit der Einrichtung eines Staatskircbentums mit vielfach fast hierokratischen Erscheinungsformen nach dem Mailänder Edikt ist auch sehr viel andere alttesta-mentliche Vorstellungswelt in das gesamte kirchliche Denken eingedrungen. Die Herausbildung eines Priesterstandes, einer Klerusliturgie, die Entwicklung vom Liebesmahl zum Kultopfer, vom ursprünglich „profanen“ Versammlungsraum zum ausgegrenzten Heiligtum, die Einrichtung des Allerheiligsten, all das sind Faktoren, die sich schwer nach Ursache und Wirkung aufschlüsseln lassen, fast durchwegs ihre Par-alellen im AT finden und, seit sie spätestens im Hochmittelalter sicher nachzuweisen sind, bis in unsere Tage hinein wirksam sind. Daß sie zur Verfremdung der Verkündigung und des Gottesdienstes vom „weltlichen“ Leben der Gläubigen beigetragen haben, daß sie dazu beigetragen haben, daß diese Trennung von „weltlichem“ und „geistlichem“ Leben, von „sakral“ und „profan“ überhaupt als legitim empfunden werden kann, steht außer Frage.

Die Anforderungen, die demgemäß an den Kirchenbau gestellt werden, heißen daher, den Menschen „aus dem Alltag herauszuheben“, ihn in „weihevolle Stimmung“ zu versetzen und ähnliche fromme Wünsche mehr, die zwar allesamt nichts mehr als bieder, aber auch keineswegs angetan sind, die ohnehin bestehende Kluft zwischen Gottesdienst und Leben zu verringern.

Die Kraft der Gemeinschaft

Der Kriegsgefangenenlager hat es bedurft, um die Voraussetzungslosigkeit christlichen Gottesdienstes und die sakramentale Kraft gelebter Gemeinschaft als tatsächlich erfahrbar werden zu lassen.

Sie sind aber auch der Grund der Hoffnung, daß sich eines Tages Seelsorger und Baukünstler begegnen werden, die um diese grundsätzliche Fragwürdigkeit christlichen „Sakralbaues“ wissen und nicht jene Schizophrenie aufbringen, die hier und heute immer wieder verhindert, Räume zu schaffen, in denen eine Gemeinde mit allen ihren Lebensbezügen beheimatet sein könnte.

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