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Zur Weltoktav der Christenheit

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Seit mehreren Jahrzehnten wird von aufgeschlossenen Christen aller Bekenntnisse, die in richtiger Erkenntnis die Zerrissenheit des gläubigen Christenvolkes als verhängnisvollste Und schmerzlichste Wunde der ganzen erlösten Menschheit beklagen, die Wehgebetsoktav vom 18. bis2 5. Jänner gefeiert. Die Schließung der geistigen und organisatorischen Gräben und Klüfte, die gegen den ausgesprochenen letzten Willen des Herrn (vgl. Jo. 17, 1 ff.) die Bekenner des Namens Christi voneinander trennen, darf in erster Linie nicht von äußerer Betriebsamkeit, sondern von einem neuen Pfingst-wunder der erbarmenden Gnade Gottes erwartet werden. Nur eine betende und büßende Christenheit, eine Kirche auf den Knien wird die Stunde der Wiedervereinigung schlagen hören.

In den letzten Jahren war das Schwert der Verfolgung unterschiedslos über Christen aller Bekenntnisse gezückt. Auch in den Konzentrationslagern hat gemeinsames Leid um des Namens Christi willen äußerlich sonst getrennte Anhänger Christi eihander näher gebracht. Es sei darum erinnert an den heiligen Märtyrer Hippolytus, dessen liturgisches Fest seit seinem Tode (zirka 236) ständig am 13. August gefeiert wird und der ebenfalls in der Zeit einer Christenverfolgung wenigstens für seine Person und eine Anzahl von vertrauten Anhängern aus einer verhängnisvollen Kirchenspaltung den Weg zur „Nährmutter Eintracht“, das heißt zur sichtbaren Einheit mit der Kirche Christi gefunden hat.

Hippolytus ist eine An Sensation am Sternenhimmel der Heiligen. War er doch nicht bloß der erste große Theologe, Exeget, Homilet und überhaupt Polyhistor der römischen Christengemeinde, sondern auch einer der ersten Gegenpäpste und Urheber einer Kirchenspaltung daselbst. Als Kaiser Maximinus Thrax (235—238) gleich bei seinem Regierungsantritt den Haftbefehl gegen alle Häupter der Christenheit erließ, wurde Hippolytus gemeinsam mit dem rechtmäßigen römischen Bischof Pontianus zur .Verbannung nach der Todesinsel Sardinien verurteilt. Jetzt offenbarte sich, daß gemeinsames Leid auch über tiefste Trennungsgräben Brücken schlägt. Die christlichen Märtyrerbrüder Hippolytus und Pontianus ▼ersöhnten sich auf Sardinien vollständig, beide entsagten ihren Ansprüchen auf den römischen Bischofstuhl und Hippolytus gab seinen bisherigen Anhängern den Rat, sich dem neugewählten römischen Bischof Antherus, dem rechtmäßigen Nachfolger Pontians, anzuschließen. Beide Märtyrerbrüder starben bald auf Sardinien, da sie bei ihrem höhen Alter dem Klima Sardiniens nicht gewachsen waren. Ihre sterblichen Oberreste wurden unter Papst Fabian (236—250) nach Rom überführt und am 13. August bestattet, Pontian in der damaligen Papstgruft S. Callisto, Hippolytus zur linken Hand an der Straße nach Tivoli auf dem sogenannten „ager veranüs“. Ober dem (unterirdischen) Katakombengrab des heiligen Hippolytus wurde eine Krypta (Unterkirche) erbaut, die im Laufe der späteren Jahrhunderte wiederholt kostbar ausgeschmückt und restauriert worden ist. Das Grab des heiligen Hippolytus wurde viel besucht und verehrt, der 13. August war im 4. Jahrhundert ein fast allgemeiner Wallfahrtstag von ganz Rom und Italien zum Grab des heiligen Hippolytus. Mit guten Gründen muß angenommen werden, daß der heilige Hippolytus in den damaligen Spaltungen der Christenheit (Novatianismus, Arianismus) um seine Fürbitte zwecks Wiederherstellung der kirchlichen Einheit viel angerufen worden ist.

Eigenartig mutet es uns an, daß von seinem riesigen literarischen Nachlaß nur ein einziges Werk, das über den „Antichrist“, vollständig erhalten geblieben ist, während einige andere bloß lückenhaft auf uns gekommen sind und die große Mehrheit der Schriften Hippolyts überhaupt nur in Bruchstücken oder unscheinbaren Fetzen überliefert erscheint. Noch rätselhafter aber wirkt die Tatsache, daß dieser hochgelehrte, literarisch überaus fruchtbare, bei seinen Zeitgenossen hoch angesehene und nach seinem Tode so volkstümliche Märtyrer mit seinen so markanten, sensationellen Lebensumständen und Charakterzügen bereits nach wenigen Menschenaltern fast völlig vergessen und seine Gestalt bald von einem bunten Kranz verworrenster Legenden umsponnen und bis zur Unkenntlichkeit verhüllt war. Erst der profunden Gelehrsamkeit eines Ignaz Döllinger ist es vor bald 100 Jahren gelungen, den geschichtlichen Märtyrer Hippolytus wieder zu entdecken. Seither haben Geschichtsforscher aller christlichen Bekenntnisse weitere Einzelheiten über sein, Lebenswerk und Charakterbild ans Tageslicht gefördert. Ungelöst ist aber bisher das Rätsel der sogenannten „Offizierslegende“ geblieben, deren Niederschlag sich auch in der Brevierlesung vom 13. August vorfindet. Danach wäre Hippolytus ein höherer römischer Polizeioffizier (Prätorianer) gewesen, der zur Zeit der Decischen oder Valerianischen Christenverfolgung getauft, anläßlich des Empfanges der heiligen Eucharistie verhaftet und mit seinen sämtlichen Hausgenossen zum Tode ▼erurteilt Wörden sei. Seine „Amme C o n-c o r d i a“, die die übrigen Hausgenossen zur Glaubenstreue angespornt hätte, wäre gleich mit Bleiketten erschlagen worden. Hippolytus selbst wäre von scheuen Pferden über ein mit Disteln und Dornen besätes Gelände geschleift worden, bis er, am ganzen Körper zerrissen, seinen Geist Gott zurückgab. Am gleichen Tage wäre auch der „Märtyrer Cassianus“, ein gewandter Lehrer der Schnell- und Kurzschrift, von seinen Schülern mit eisernen Griffeln zu Tode gemartert worden.

Auf Grund eingehenden Studiums der ältesten Quellen glaube ich die Lösung des Rätsels dieser „Offjzierslegende“ gefunden zu haben, eine Lösung, die geeignet ist, neues Licht in das Dunkel zu bringen, das die Märtyrer Hippolytus und Cassianus seit 1500 Jahren umhüllt. Die LÖsurtg fußt auf der Tatsache, daß nach dem Tode des heiligen Hippolytus die Anlage sogenannter Märtyrerakten in der römischen Christengemeinde die große Zeitmode war. Es kann nicht der geringste Zweifel obwalten, daß auch über Hippolytus eine Art von Märtyrerakten verfaßt und bei der jährlichen Festfeier am 13. August (Vigil, Matutin) Wenigstens auszugsweise vorgelesen worden sind, um die geistige Gemeinschaft mit dem gefeierten Märtyrer herzustellen. Hippolytus war gültig geweihter, aber kirchenrechtlich nicht anerkannter Bischof gewesen. Dogmatisch muß er als Bischof, rechtlich hingegen bloß als einfacher Priester gelten. Die Festfeier des heiligen Hippolytus sollte aber, wie erwähnt, gerade dazu dienen, sämtliche abgesprengten . Glieder der Christenheit wieder sichtbar mit dem einen Leib der Kirche zu verbinden. Überdies befanden sich unter den Teilnehmern der ältesten liturgischen Hippolytus-Feiern nicht bloß die einstigen Gegner Hippolyts, die dessen Bischofstitel aus rechtlichen Erwägungen angefochten hätten, sondern auch eine Reihe seiner vertrautesten Anhänger, die sich auf seinen letzten Wunsch hin der römischen Amtskirche wieder angeschlossen hatten, die ihrerseits wieder die bloße Bezeichnung des heiligen Hippolytus als „Presbyter“ als kränkende Degradierung ihres verehrten Meisters empfunden hätten. Der Verfasser der ältesten Märtyrerakten des heiligen Hippolytus mußte einen Ausweg suchen. Die Bezeichnung „Bischof“ oder „Presbyter“ mußte unbedingt vermieden werden. Er schritt daher zur Abfassung rein allegorischer Märtyrerakten, Die Allegorie war ja in der Urkirche mit ihrer Arcan-disziplin sehr gepflegt. Die Bildkunst der Katakomben weist in der Regel allegorische Motive auf. Auch aus dem Symbolismus verschiedener anderer Märtyrerakten wird häufig auf deren hohes Alter geschlossen. In den allegorischen Akten wurde Hippolytus nun als „Offizier“ oder Soldat Christi (2. Tim. 2, 3) mit höherem Rang bezeichnet Die Bekehrung des Hippolytus wurde allegorisch als dessen „Taufe“ dargestellt, die ja nach Rom. 6, 3 ff. die Teilnahme am Tode und an der Auferstehung Christi ist. Der Empfang der heiligen Eucharistie, die ein Sinnbild und Nährmittel der kirchlichen Einheit ist, bedeutet die Bekehrung zur Einheit der Kirche. Die „Amme Conccrdia“ oder „Nährmutter Eintracht“ ist eine rein allegorische Gestalt, in der außer Hippolytus auch dessen Märtyrergefährte Papst Pontian, mit dem sich Hippolytus auf Sardinien ausgesöhnt hat, verborgen steckt. Die in Zeiten schwerster Verfolgung unabweisbar notwendige Kircheneinheit war für Hippolytus das Motiv oder die Nährmutter seiner Bekehrung. Hippolytus war bei seinem Tode im Schoß der Kircheneinheit gleichsam ein Neugetaufter oder „Säugling“.

Das. Motiv aus der Theseussage ist ebenfalls eine farbenprächtig schillernde Allegorie. Motive aus heidnischen Mythen finden sich ja wiederholt in'der Literatur und Bildkunst der Urkirche, Der Sinn dieses Motivs isti Hippolytus wurde von den scheu gewordenen Pferden seiner Leidenschaften und der Leidenschaften seiner Gegner über das mit Disteln und Dornen besäte, unfruchtbare Gelände einer leidvollen Kirchenspaltung geschleift, so daß er zuletzt in seiner Charaktergestalt völlig zerrissen und entstellt erschien. Es war ein Gebot der Pietät, den ehrfürchtig und liebevoll verhüllenden Schleier einer Allegorie über die zerrissene Gestalt Hippolyts zu breiten. H i p p o 1 y-t h u s heißt: „Von Pferden zerrissen“. Hippolytus jedoch: „Pferdeausspanner“, Auch in letzterer Bedeutung hat der heilige Hippolytus seinem Namen alle Ehre gemacht. Als die Sonne seines irdischen Lebens zur Rüste ging, spannte er seine scheu gewordenen Pferde aus durch die Versöhnung mit Papst Pontian und durch seine Bekeh-' rung zur Kircheneinheit. Aber auch seine einstigen Gegner spannten ihre wilden Kampfleidenschaften aus und erwiesen ihm Gerechtigkeit, indem sie ihrem einstigen Gegner die Palme eines Blutzeugen Christi Zuerkannten.

Mit vielen triftigen, aus ältesten Quellen geschöpften Gründen vermute ich, daß auch das Cassianmotiv der Brevierlesung vom 13. August zur Allegorie der ältesten Märtyrerakten des heiligen Hippolytus gehört, daß der anscheinend zweite Märtyrer, de*, an diesem Tage gefeiert wird, mit Hippolytus identisch, daß Cassianus der bekehrte Hippolytus ist. Der bekehrte oder tote Hippolytus (Cassianus wäre abzuleiten von „qüatere“) wäre bei allegorischer Deutung dieses Motivs Vom radikalen Flügel seiner einstigen Gemeinde verfolgt und ausgestoßen (exkommuniziert) Worden. Somit hätte den Hippolytus das regelrechte Los aller Konvertiten getroffen

Falls sich die aufgezeigte Lösung des Rätsels- der Offizierslegende durchsetzt, ist das geschichtliche Wissen um den heiligen Hippolytus insoferne bereichert, als dadurch festgestellt wird, daß die Kirchenspaltung des Hippolytus mit dessen Bekehrung und Tod nicht, wie bisher angenommen Wurde, vollständig bereinigt war, sondern daß nur ein kleiner Teil der einstigen Sondergemeinde des Hippolytus (IS Köpfe) zur Kircheneinheit zurückkehrte, während der größere radikale Flügel derselben in der Trennung beharrte und kaum zwei Jahrzehnte später in Novatian ein neues Haupt erhielt. Zugleich ist damit das Rätsel gelöst, warum das geschichtliche Wissen um den einstigen Gegenpapst Hippolytus so rasch erloschen ist. Die allegorischen Märtyrerakten des heiligen Hippolytus wurden nach wenigen Menschenaltern (um das Jahr 400) nicht mehr verstanden und irrtümlich als buchstäblich zu nehmende Wirklichkeit aufgefaßt. Später wurden sie überarbeitet und geschichtlich aufgeputzt. So entstand im 6. Jahrhundert die • „Offizierslegende“, in der Hippolytus als Trabantenstern im Kometenschweif des heiligen Laurentius aufleuchtet, was jedoch reihe Erfindung frommer Phantasie ist.

Der heilige Hippolytus wurde In den ältesten Zeiten, wie begründet angenommen werden muß, als Schutzheiliger de K i r c h e n e i n h e i t verehrt. Die „Nähr“ mutter Eintracht“ hatte ihm ja die kräftigende Milch zu seiner Bekehrung gereicht, zu einer harten Bekehrung, die einem wirklichen Brechen des Herzens gleichgekommen ist. Scheu gewordene Leidenschaften hatten Hippolytus während der Kirchenspaltung über ein mit Disteln und Dornen besätes Gelände geschleift, und seine Gestalt zerrissen und' entstellt. Immer sind es scheu gewordene, unbeherrschte Leidenschaften, die die Christenheit über das mit Disteln und Dornen bewachsene Gelände von Kirchenspaltungen schleifen, sie zerreißen und entstellen. Namenlos viel Leid, das Europa und insbesondere das deutsche Volk heute zu tragen hat, liegt zutiefst in der abendländischen Kirchenspaltung verwurzelt. Eine große Sehnsucht nach der verlorenen Kirche, nach dem einen Hirten und der einen Herde Christi, ist wach geworden. Es gibt aber nur einen Weg zur verlorenen Einheit zurück, den Weg des heiligen Hippolytus. Die Pferde der Leidenschaften müssen allenthalben ausgespannt werden. Darum hat die allegorische Brevierlesung ▼om 13. August der • getrennten Christenheit von- heute, die Sehnsucht empfindet nach der „Nährmutter Eintracht“, ebensoviel zu sagen wie damals vor 1700 Jahren, als sie die erste und älteste Form erhielt.

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