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Kirche im Sowjetstaat

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Im Jubel über die Öffnung der Sowjetunion übersieht man im Westen leicht Details: Die Religionsgemeinschaften befinden sich nach wie vor im Würgegriff des Staates.

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Im Jubel über die Öffnung der Sowjetunion übersieht man im Westen leicht Details: Die Religionsgemeinschaften befinden sich nach wie vor im Würgegriff des Staates.

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Ein tristes Bild zeichnet ein Forschungsbericht der Politischen Akademie der ÖVP von der Situation der Christen in Osteuropa - im speziellen in der Sowjetunion. Michail Gorbatschows versuchte „Offenheit" (Glasnost) und „Umbau"bestrebungen (Perestrojka) haben für Christen noch nicht viel gebracht.

Zwar ist man — so heißt es in dem bis jetzt unveröffentlichten Bericht - seit dem Ende der Stalinära von direkter Verfolgung abgegangen, durch völlige Kontrolle werden jedoch die Kirchen, vor allem die katholische Kirche, in der Ausübung ihres Auftrages behindert.

Die Betätigung der Priester über den Kultdienst hinaus ist verboten und wird bestraft. Dies trifft wiederum die katholische Kirche in Litauen und Lettland sehr hart, da sie - anders als die russisch-orthodoxe Kirche — sozial ausgerichtet ist.

Durch den sogenannten ,Jlat für religiöse Angelegenheiten", eine staatliche Einrichtung, haben sich die Behörden die letzte Kontrolle über die Kirchen gesichert. Ob es künftig Lockerungen, freiere Bewegungsmöglichkeiten, mehr religiöse Literatur oder sogar Möglichkeiten der Entwicklung eines kirchlichen Pressewesens geben wird, kann noch nicht abgeschätzt werden.

Religion ist offenbar noch kein Thema für die sowjetische „Öf-

fentlichkeit". Das bestätigte auch der frühere Außenamtsleiter des Moskauer Patriarchats, Metropolit Juwenalij von Krutitsy und Kolomna. In einem Gespräch mit der FURCHE wies er darauf hin, daß Gorbatschow in seinen Ansprachen niemals religionspolitische Fragen erörtert habe. Es gehe nur um den Umbau der Wirtschaft und des Lebens (siehe untenstehenden Beitrag) —„und wir beobachten, wie schnell das verwirklicht wird und wie wichtig das für die Entwicklung des Sozialismus in unserem Lande ist" (Juwenalij).

Ob es einen „Umbau" im Verhältnis von Kirche und Staat in der Sowjetunion geben wird, möchte der Metropolit nicht sagen: „Ich werde mich hüten, in diesem Zusammenhang sensationelle Erklärungen abzugeben." Im übrigen gebe es ja „an und für sich gute Religionsgesetze", daher könne es nicht um eine Veränderung der Politik der Kommunistischen Partei gegenüber der Kirche gehen. „Für uns ist eine genaue Einhaltung dieser Gesetze wichtig", meinte Metropolit Juwenalij.

Er verweist in diesem Zusammenhang auf vermehrte Presseberichte in der UdSSR, in denen die Verletzung der Religionsgesetze „in manchen Teilen unseres Landes" beklagt wird. „Vor kurzem habe ich in einer Zeitung gelesen", so Juwenalij, „daß sich orthodoxe Gläubige in der Tatarenrepublik seit längerem um eine behördliche Anerkennung ihrer Glaubensgemeinschaft bemühen; die örtliche Behörde reagierte darauf ohne Verständnis. Und jetzt wurde dieser Bitte stattgegeben. In der Zeitung wurde festgestellt, daß die Behörde mit ihrem Unverständnis falsch gehandelt habe."

Für den russisch-orthodoxen Metropoliten ist dieser Zeitungsartikel ein Beweis für das Bemühen in der Sowjetunion, die Bestimmung in bezug auf die Religionsgemeinschaften auch einzuhalten.

Sonst lebe die Kirche ja „nach ihren Gesetzen", sagt Juwenalij; man könne die Atmosphäre des wirtschaftlichen und politischen Lebens des Landes nicht einfach auf das innere Leben der Kirche übertragen. „Daher können Veränderungen im Lande auch kaum das innere Leben der Kirche beeinflussen." Eine indirekte Absage des Metropoliten an die gesellschaftspolitische Relevanz der Kirchen in der Sowjetunion?

Der vielgereiste Metropolit - er ist seit Jahren in Sachen sowjetischer Friedenspropaganda Gast bei diversen Dialog- und Friedensforen im Westen — sieht kaum Ubergriffe staatlicher Stellen auf kirchliche Belange. Was die Milleniumsfeiern der Christianisierung Rußlands betrifft, das Jubiläum wird vom 5. bis 17. Juni 1988 begangen -, ortet Juwenalij kaum Angriffe der sowjetischen Presse gegen die Festvoroe-reitungen.

Die atheistische Presse sammle mit dem Jubiläum verbundene Themen und schildere die Rolle der Kirche von ihrem Standpunkt aus. Das sei in der Sowjetunion „nichts Neues, denn parallel zur aktiven atheistischen Propaganda lebt und entwickelt sich die russisch-orthodoxe Kirche".

Man bereitet sich „in Ruhe und geistiger Freude" auf das Jubiläum vor. Da läßt man sich weder vom Atheismus noch durch Schwierigkeiten mit den (zwangsweise der russisch-orthodoxen Kirche einverleibten) Unier-ten in der Ukraine - „das sind nur vom Westen ausgedachte Probleme" (Juwenalij) -, geschweige denn durch den Wunsch des Papstes, die Sowjetunion zu besuchen, stören. „In all den Jahren" - so der Metropolit - „hat die russisch-orthodoxe Kirche den Weg des ruhigen Daseins in der Gesellschaft gewählt. Wir suchen keine Konfrontation. Wir befassen uns mit den eigenen Angelegenheiten. Und ich glaube, daß die atheistische Presse unsere Feiern nicht stören wird."

Die jüngsten Freilassungen auch religiöser Dissidenten wirken sich nach den Worten Juwenalij s positiv auf die religiösen Organisationen in der Sowjetunion aus. Der Metropolit betont allerdings die Notwendigkeit von Absichtserklärungen der freigelassenen Christen, künftig gesetzwidrige Handlungen zu unterlassen. Für ihn steht fest, daß Leute wie der Laie Alexander Ogorodnikow oder der Priester Gleb Jakunin wegen Verletzungen sowjetischer Gesetze verurteilt wurden. Sie müßten ihre Taten bereuen (siehe linken Kasten).

Gegenüber Laien wie Ogorodnikow fühle sich die Kirche zu keiner Hilfestellung verpflichtet. Jakunin, dem bereits 1965 vom damaligen Patriarchen Alexej die Ausübung seines Amtes verboten worden sei, befinde sich „in einem sündhaften Zustand". „Deswegen ist zu hoffen, daß diese Menschen, die nach ihrer Entlassung künftigen Gesetzesverletzungen eine Absage erteilten, das Gleiche auch der Kirche gegenüber tun. Und wenn die Kirche erkennt, daß sie mit gutem Glauben und gutem Willen erfüllt sind, dann werden sie auch einen entsprechenden Platz in der Kirche finden."

Daß heißt also, daß sich Gleb Jakunin und andere freigelassene Kleriker jetzt an Patriarch Pimen mit einer Reueerklärung wenden müssen. In der Sowjetunion ist momentan doppelt dafür gesorgt, daß sich unbotmäßige Gläubige wieder wohlverhalten.

Der staatlichen Beichte und Absolution folgt die kirchliche. Und die russisch-orthodoxe Kirche spielt hier mit.

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