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Patriarch von ganz Rußland

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Das Moskauer Patriarchat der russisch-orthodoxen Kirche hatte schon bei seiner Wiederbesetzung mit dem damaligen Patriarchatsverweser Sergij vor dem Ende des zweiten Weltkrieges von sowjetischer Seite auch für eine Auslandswirksamkeit freie Bahn erhalten, da man 1944/45 im gleichzeitig gegründeten Kirchenamt des Kremls einen günstigen Zeitpunkt erfaßte, um in den Bereich der von den Kriegsereignissen aus ihrem traditionellen Sitz im jugoslawischen Karlowitz vertriebenen „Russischen Auslandskirche“ einzudringen. Die Bischöfe dieser nach der bolschewistischen Machtergreifung in Rußland von führenden Hierarchen gegründeten „Karlowitzer Synodalkirche“ hatten sich nach der deutschen Kriegserklärung von 1941 in ihrer Mehrzahl mit den Achsenmächten verbündet und sich sogar von den Besatzungsbehörden des „Großdeutschen Reiches“ und Rumäniens in weißrussische und ukrainische Bistümer einsetzen lassen. Es waren das zum Teil persönlich fromme und rechtschaffene Männer, wie der später in Salzburg residierende Kriegserzbischof von Minsk, Stefan, denen aber der Weitblick dafür fehlte, daß sich der von ihnen als „Retter des heiligen Rußland“ gesegnete Nationalsozialismus kaum wesentlich von Ideologie und Praktiken der Stalinisten unterschied.

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Das Moskauer Patriarchat der russisch-orthodoxen Kirche hatte schon bei seiner Wiederbesetzung mit dem damaligen Patriarchatsverweser Sergij vor dem Ende des zweiten Weltkrieges von sowjetischer Seite auch für eine Auslandswirksamkeit freie Bahn erhalten, da man 1944/45 im gleichzeitig gegründeten Kirchenamt des Kremls einen günstigen Zeitpunkt erfaßte, um in den Bereich der von den Kriegsereignissen aus ihrem traditionellen Sitz im jugoslawischen Karlowitz vertriebenen „Russischen Auslandskirche“ einzudringen. Die Bischöfe dieser nach der bolschewistischen Machtergreifung in Rußland von führenden Hierarchen gegründeten „Karlowitzer Synodalkirche“ hatten sich nach der deutschen Kriegserklärung von 1941 in ihrer Mehrzahl mit den Achsenmächten verbündet und sich sogar von den Besatzungsbehörden des „Großdeutschen Reiches“ und Rumäniens in weißrussische und ukrainische Bistümer einsetzen lassen. Es waren das zum Teil persönlich fromme und rechtschaffene Männer, wie der später in Salzburg residierende Kriegserzbischof von Minsk, Stefan, denen aber der Weitblick dafür fehlte, daß sich der von ihnen als „Retter des heiligen Rußland“ gesegnete Nationalsozialismus kaum wesentlich von Ideologie und Praktiken der Stalinisten unterschied.

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Erhoffte sich Moskau nach Hitlers Zusammenbruch die weltweite Ächtung dieser russischen Auslandskirche und die Gewinnung ihrer über Mitteleuropa, den Nahen und Fernen Osten sowie Australien zerstreuten Gemeinden, so war das vorerst eine Täuschung. Die aus Karlowitz vertriebene Synode konstituierte sich in München neu und lehnte sich, wie einst in Rußland an die deutsche, hier an die amerikanische Besatzungsmacht, an, die sich im Schatten des kalten Krieges zwischen den bisherigen Alliierten dankbar dieser Schützenhilfe bediente. Die Zusammenarbeit wurde so eng, daß die Synodalkirche Anfang der fünfziger Jahre ihren Sitz von Bayern nach den USA verlegte, wo sie, im Gegensatz zü den Moskauer Erwartungen, sogar neue Gemeinden bilden konnte.

Der von Sergijs Nachfolger auf dem Patriarchenthron von „Moskau und ganz Rußland“, Alekslj, fortgesetzte Versuch, die orthodoxen Emigrantengemeinden zu gewinnen, hatte vorerst nur dort Erfolg, wo auch politische Faktoren dieses Anliegen begünstigen. Das mit kräftiger sowjetischer Unterstützung 1948 aus der Taufe gehobene Israel versäumte keine Zeit, den auf seinem Territorium liegenden Kirchen- und Klosterbesitz der Auslandskirche zu enteignen und an Moskau zu übertragen. So konnte das Patriarchat 1948 als seine erste Auslandsinstitution die „Geistliche Mission“ in Jerusalem wiedererrichten, deren erste Gründung im 19. Jahrhundert noch durch die zaristische Synodalkirche erfolgt war. Weitere „Wiedervereinigungen“ gab es dann mit dem Vormarsch der Truppen Mao Tse-tungs in China, wo die Auslandskirche ihr blühendes Bistum Shanghai räumen mußte. >

Seinen vom Kreml erteilten Freibrief für derartige politisch-religiöse Aktionen jenseits der sowjetischen Grenzen benützte das Moskauer Patriarchat, das sich ein eigenes „Kirchliches Außenamt“ geschaffen hatte, unter dessen erstem Vorsteher, Metropoliten Nikolaj von Krutica und Kolomna, aber auch zu rein kirchlichen Auslandsaktivitäten. Vor allem galt es, den seit der Oktoberrevolution so gut wie abgebrochenen Kontakt mit den orthodoxen Schwesterkirchen wiederherzustellen. Es ist eines der Hauptverdienste des modernen Moskauer Patriarchats, zu diesem Zweck das Amt ständiger Vertreter bei den anderen Patriarchen, neu belebt zu haben, als deren berühmtester Papst Gregor der Große in Konstantinopel gewirkt und sogar den Meßtext der fastenzeitlichen Präsanktiftkaten-liturgie zum reichen Schatz des byzantinischen Ritus beigesteuert hatte. Als erstes wurden die traditionell guten Beziehungen zum antiochenischen Patriarchen in Damaskus, den eine Moskauer Intervention vor 100 Jahren von der Vorherrschaft der phanariotischen Griechen befreit hatte, durch die Entsendung eines ständigen Delegierten im Bischofsrang nach Syrien intensiviert. Die reziproke Geste Patriarch Alexanders von Antiochien, einen seiner Bischöfe ständig in Moskau zu etablieren, wurde durch eine vom russischen Patriarchat großzügig zur Verfügung gestellte Residenz in der sowjetischen Hauptstadt in die Wege geleitet.

Durch eine analoge Spende, diesmal in Aleksijs Sommerresidenz Odessa, wurde nicht nur die Akkreditierung eines permanenten Archimandriten des griechischen Patriarchats von Alexandria bei der russischen Kirche, sondern auch die Rückgabe der

Meksandr-Njevskij-Kapelle in der ägyptischen Hafenstadt und die Beglaubigung eines Moskauer Erz-Driesters bei Patriarch Christopho-ros II. von Alexandria gesichert. Die Bestellung ständiger Repräsentanten bei den Patriarchen von Belgrad und Sofia, aber bezeichnenderweise nicht in Bukarest, waren die nächsten Schritte. Als daher 1948 in Moskau die dreißigjährige Wiedererrichtung des Patriarchats durch das Allrussische Konzil von 1918 gefeiert wurde, fanden sich fast alle orthodoxen Patriarchen zu diesem Ereignis ein und verliehen damit dem bisher isolierten Moskauer Patriarchen eine gesamtkirchliche Aufwertung und Anerkennung. Lediglich das ökumenische Patriarchat von Konstantinopel, dessen gesamtorthodoxer Ehrenprimat von der russischen Kirche der Zarenzeit systematisch in Zweifel gestellt und sogar bekämpft worden war, begnügte sich mit einer minder bedeutenden Delegation. Fürchtete man doch im Phanar, daß jede Besserstellung für die orthodoxe Kirche in der Sowjetunion auch das Wiederaufleben ihrer alten Ambitionen gegen Konstantinopel nach sich ziehen könnte.

In dieser Vermutung sollte sich Patriarch Athenagoras, der ebenfalls 1948 den Thron des Apostels Andreas in der Georgs-Kathedrale am Goldenen Horn bestieg, nicht getäuscht haben. Mehr als ein Jahrzehnt, von den Moskauer Feierlichkeiten von 1948 bis zum Beitritt der Patriarchatskirche zum ökumenischen Rat der Kirchen 1961, war das kirchliche Außenamt in Moskau neben dem von Gemeinde zu Gemeinde geführten Ringen mit der russischen Auslandskirche mit Aktionen zur Schwächung des Rivalen in Istanbul beschäftigt. In dieser Zeit wurden parallel zu den Patriarch Athenagoras unterstehenden Exilrussen und -Ukrainern Moskauer Exarchate in Paris, London und New York errichtet, die auch sonst jede Gelegenheit wahrnahmen, dem ökumenischen Patriarchat in die Quere zu kommen. Während es so Konstantinopel, vor allem in Italien, konsequent ablehnte, katholischen Priestern die Einheirat in den orthodoxen Klerus zu ermöglichen und die dissidenten Gemeinden Sardiniens und Apuliens in seine Jurisdiktion zu übernehmen, weihten Moskauer Bischöfe nicht nur suspendierte Priester gleich nach der Trauung nochmals, sondern nahmen sogar von „episcopis vagantibus“ geführte Sektenunternehmen in ihre Kirche auf. Diese wenig erfreuliche Epoche ging mit der Abberufung des Metropoliten Nikolaj und seiner Ersetzung durch den jungen, damals noch im Bischofsrang befindlichen Nikodim als Leiter des kirchlichen Außenamtes zu Ende. Unmittelbar nach Nikolajs Verbannung nach Sotschi im Kaukasus konnte im September 1961 die Erste Panorthodoxe Konferenz von Rhodos stattfinden, an der sich Moskau trotz der Konstantinopler Führung auf dieser Tagung aktivst beteiligte. Im November desselben Jahres trat dann die russische Kirche dem ökumenischen Rat auf dessen Vollversammlung in Neu-Delhi bei ■

Die Aera des inzwischen zum Metropoliten aufgestiegenen Nikodim stand nun ganz im Zeichen des ökumenismus. Fortan war Moskau nicht nur bei den anderen Ostkirchen, sondern auch in Genf ständig vertreten, seine Beobachter erschienen noch vor jenen Konstantinopels auf dem II. Vatikanischen Konzil, und der in der Stalin-Zeit von einem sibirischen Straflager zum anderen geschleppte katholisch-unierte Metropolit von Lemberg, Joseph Slipyj, durfte in den Vatikan ausreisen. Inzwischen hatten sich unter den in den westeuropäischen und amerikanischen Exarchaten gewonnenen Orthodoxie-Konvertiten auch wertvolle Persönlichkeiten gefunden, an ihrer Spitze der als Kirchenrechtler zu Ruhm und Anerkennung gekommene und unlängst zum russischen Bischof von Paris geweihte vormals katholische Rechtsanwalt Pierre Huilier und Bischof Aleksij van der Mensbrügge, ehemals Benediktiner und heute führender orthodoxer Liturgiker. Konnte der Patriarch von Moskau zum Ende der sechziger Jahre mil Recht von sich sagen, daß er nur nicht nur Oberhirte „von ganz Rußland“, sondern von wesentlich mehi sei, so waren einer weiteren Ausdehnung seines innerorthodoxen Einflusses mit dem wachsender Widerstand der anderen Patriarchen gegen das russische Expansionsstreben Grenzen gesetzt. Seit einigen Monaten lassen sich daher in Moskauer Patriarehatskreisen Tendenzen beobachten, die anderen christlichen Kirchen der Sowjetunion unter ihren Einfluß zu bringen. Solche Versuche waren schon zwischen 1948 und 1950 in Richtung der armenischen Kirche unternommen worden, die in den Sowjetrepubliken Armenien, Georgien und Aserbaidschan über rund 3 Millionen Gläubige verfügt. Das armenische Katholikat in Etschmiadzin mußte sich zur Delegierung eines ständigen Vertreters nach Moskau verpflichten, doch kamen diese Bestrebungen bald zum Stillstand, als, aus dem antirussischen Bukarest kommend, der neue Katholikos Vasgen I. in Armenien eintraf........

Die gegenwärtigen Bemühungen zielen nun vor allem auf die sogenannten Altgläubigen ab, die sich im 17. Jahrhundert vom damaligen russischen Patriarchen Nikon getrennt haben, als dieser im Interesse allorthodoxer Einheitlichkeit einige Sonderbräuche der russischen Liturgie zugunsten der griechischen Praxis abänderte. Für diese Altgläubigen war auch in erster Linde der vieldiskutierte Moskauer Synodalerlaß vom Dezember 1969 bestimmt, der allen „Schismatikern“ die Sakramentengemeinschaft mit der russisch-orthodoxen Kirche gestattete. Unter diese Kategorie fielen aus Moskauer Sicht nun neben den verschiedenen altgläubigen Kirchen auch die Katholiken, deren Einbeziehung in diesen Schritt in der griechischen Orthodoxie heftigen Widerspruch auslöst. Es ist aber auch möglich, daß Moskau durch diesen Schachzug seinem Klerus den Weg zu den priesterarmen Katholiken Litauens und Weißrußlands öffnen will.

Nach dem zweiten Weltkrieg hat ja die russische Kirche schon einmal, damals in recht unschöner Weise, in den katholischen Bereich eingegriffen, als sie sich mit staatlicher Uhterstützung das katholisch-unierte Erzbistum Lemberg sowie die Diözesen Stanislau( Przemysl und Munkäcz einverleibte. Während sich der meist verheiratete Klerus mit Rücksicht auf seine Familie der Gewalt beugen mußte, leisteten die Bischöfe und Mönche mannhaften Widerstand, den sie mit der Einlies ferung in Konzentrationslager zu bezahlen hatten.

Wer dieser entging, oder wer die Haft bis zur Liberalisierung unter Chruschtschow überlebte, schloß sich dann der unierten Untergrundkirche an, die in Galizien und der Karpatenukraine von Geheimbischöfen geführt wird. Die Existenz dieser starken Gruppe und der immer noch auf dem Patriarchat Moskau lastende Makel, sich die Unierten gewaltsam einverleibt ziu haben, ließen es für Patriarch Aleksij schon mehrmals wünschenswert erscheinen, eine gütliche Regelung dieser Frage anzustreben.

Die letzten Kontakte zwischen unierten und orthodoxen Kirchen im Nahen Osten haben diesbezüglich einen völlig neuen Weg aufgezeigt. Die von katholisch-melkitischen Bischöfen ausgesprochene Bereitschaft, sich wieder den orthodoxen Patriarchen von Alexandria und Antiochia zu unterstellen, wenn dabei ihnen und ihrer Herde der Fortbestand des katholischen Glaubensbekenntnisses gestattet würde, könnte auch das Lemberger Problem zwischen Rom und Moskau lösen. Die russische Kirche könnte die Jurisdiktion über die fraglichen Diözesen beibehalten, doch würden diese von Großerzbischof Slipyj und den bisher nur geheimen katholischen Bischöfen übernommen werden. Auch die aufgelösten katholischen Klöster, vor allem die Studitenlavra von Unow, müßten unter dieser Regelung wieder geöffnet werden, die diesmal ein Moskauer Erfolg wäre, der auch den Katholiken Galiziens und der Karpatenukraine zustatten käme. Wer jetzt nach Aleksijs Tod neuer Patriarch in Moskau wird, hat sich in erster Linie mit diesem Problem zu befassen, dem an Wichtigkeit die jüngsten Autokephaiie- und Autonomieerklärungen der russischen Gemeinden in Nordamerika und Japan folgen.

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