Marschbefehl nach Minsk

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Weil er ein "Soldat Gottes" ist, fügt sich Moskaus katholischer Erzbischof in seine Absetzung.

Moskau am vorletzten Sonntag: In der katholischen Kathedrale verklingen gerade die letzten Takte des "Halleluja", als der amtierende Moskauer Erzbischof, Tadeusz Kondrusiewicz, im Kreise seiner Gemeinde mit zitternder Stimme bekannt gibt, dass er Ende des Monats seinen Stuhl räumen wird. Immer wieder verstummt der Erzbischof, seine Stimme überschlägt sich, Tränen rinnen ihm über die Wangen. "Ich gehe in Gehorsam und großem Respekt vor dem Willen des Papstes", soll er wenig später einer Gruppe von Journalisten diktieren, die sich im Rahmen einer Pressereise der "Kathpress" zeitgleich in Moskau aufhielten.

Die persönliche Rührung während des Gottesdienstes spricht jedoch eine andere Sprache: Hier muss jemand sein Lebensprojekt zurücklassen, das Projekt des Aufbaus katholischer Strukturen in einem postsowjetischen, orthodox geprägten Land: "Mein Herz liegt weiterhin hier. Diese Kirche, diese Gemeinde ist so etwas wie mein, Baby'". Die Gemeinde zeigt sich tief betroffen, viele weinen, alle applaudieren. Verbitterung, nein, die empfinde er nicht, versichert der Erzbischof nach dem Gottesdienst. Zwar sei es für ihn "persönlich nicht leicht", doch er beuge sich ohne Zögern als "Soldat Gottes" dem Willen des Papstes und kehre nun in seine weißrussische Heimat als neuer Erzbischof von Minsk-Mohilew zurück.

Unbedankter Aufbau

Die Frage nach dem "Warum?" drängt sich auf - und dies um so mehr, betrachtet man die eindrucksvolle Bilanz Kondrusiewicz' nach seiner 16 Jahre währenden Tätigkeit in Moskau. Als er sein Amt 1991 als Bischof für die "Apostolische Administratur für das Europäische Russland" antrat, gab es russlandweit ganze zehn römisch-katholische Gemeinden mit zwei Kirchen und vier Kapellen. Heute zählt man 230 Gemeinden, die Katholikenzahl stieg auf derzeit rund 600.000 Katholiken. Auch die Priesterzahl stieg von anfänglich 8 Geistlichen auf mittlerweile 270 Priester. Ein Verdienst, das wesentlich dem Engagement Kondrusiewicz' zu verdanken ist. Zu seiner Erfolgsgeschichte zählt weiterhin die Errichtung zweier katholischer Radiostationen, einer katholischen Wochenzeitung sowie der Aufbau eines eigenen theologischen Instituts und eines Priesterseminars in St. Petersburg. "1999 konnte ich die ersten drei Priester nach 81 Jahren in Russland weihen", erzählt er den Journalisten nicht ohne Stolz. Er berichtet von steigenden Taufzahlen, von aktiven katholischen Verlagshäusern, von steigenden Gemeindemitgliederzahlen. Allein in den zwei katholischen Kirchen in Moskau werden an Sonntagen bis zu 27 Gottesdienste in 13 Sprachen gefeiert.

Warum also die Abberufung? Wo liegt das Problem? Die Suche nach einer Antwort auf den plötzlichen Marschbefehl für den Soldaten Gottes führt zurück zum 11. Februar 2002 - ein Tag, der aus Sicht der russischen Orthodoxie den Sündenfall der katholischen Kirche bedeutet: An diesem Tag nämlich wurden die vier Apostolischen Nuntiaturen auf russischem Boden zu vollberechtigten Diözesen erhoben. Für die Orthodoxie ein klares Zeichen katholischer Besitzansprüche auf orthodoxe Erde. Der Tiefpunkt im katholisch-orthodoxen Gespräch war erreicht - und verbunden wurde er mit dem Namen Tadeusz Kondrusiewicz, dem eingesetzten Erzbischof in Moskau. Dass seine polnische Abstammung die Orthodoxen an das russische Trauma der polnischen Besetzung Moskaus im Jahr 1610 erinnerte und somit weitere Ressentiments mobilisierte, kann da fast schon als zweitrangig angesehen werden.

"Katholische Eroberung"

Erbost schrieb damals der orthodoxe Erzbischof von Pskow an Präsident Putin, er möge die "katholische Eroberung Russlands" verhindern. Die Errichtung der Diözesen sei "eine Aggression, eine Herausforderung des russischen Volkes". Und schließlich: "Russland braucht keine katholische Mission". Damit war der Fehdehandschuh geworfen: der alte Vorwurf des Proselytismus (der Abwerbung von Gläubigen) stand erneut im Raum - trennender denn je und zusätzlich angefeuert durch das Problem der mit Rom unierten griechisch-katholischen Kirche. In der Ukraine - immer noch als Kernland der russischen Orthodoxie verstanden - wird sie, obgleich ebenfalls eine Minderheitenkirche, als scharfer Konkurrent zur Orthodoxie verstanden und bekämpft. Der Sprecher des Außenamtes des russischen Patriarchats, Wsewolod Tschaplin, bringt die Position der Orthodoxie auf den Punkt: "Es ist für uns nur schwer nachvollziehbar, dass uns Rom die eine Hand zum Dialog reicht und uns mit der anderen Hand schlägt." Auch Kondrusiewicz' beharrlicher Hinweis, Proselytismus sei "gegen unsere Mentalität und gegen die katholische theologische Überzeugung" konnte bislang an dieser Position nicht maßgeblich rütteln.

Gegen die antikatholische Phalanx war und ist schwer anzukommen. Das bestätigt auch der Ostkirchenexperte Gerd Stricker in der Herder Korrespondenz. Gezielte mediale Desinformation über die katholische Kirche sowie eine erschreckendes ökumenisches Desinteresse in den Ausbildungsstätten orthodoxer Geistlicher trage die Hauptschuld an der Miesere. Dort werde die katholische Kirche häufig gar zum "Hauptfeind der Orthodoxie" stilisiert. Selbst die Beteuerung Kondrusiewicz', Russland sei "vor allem ein orthodoxes Lande" und die Betonung, dass "in erster Linie die orthodoxe Kirche dafür verantwortlich ist, die Menschen zum Christentum hinzuführen", fiel auf keinen fruchtbaren ökumenischen Boden.

Bauernopfer des Vatikans

Die Beziehungen zwischen der Orthodoxie und der katholischen Kirche mussten entsprechend zur "Chefsache" werden: Ein erstes deutliches Signal für das Ende der ökumenischen Eiszeit stellte dabei das Zusammentreffen Papst Benedikts XVI. mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. in Istanbul im vergangenen Jahr dar, bei dem man gegenseitig den Willen zur Einheit bekundete. Ein weiterer Schritt wird im Oktober folgen, wenn es in Neapel zu einem erneuten Zusammentreffen zwischen dem Papst und Patriarch Bartholomaios I. sowie dem Leiter des "Außenamtes" des russischen Patriarchats, Metropolit Kiril von Smolensk und Kaliningrad, kommt.

Der Pole Kondrusiewicz kämpfte in Moskau entsprechend von Beginn an nahezu auf verlorenem Posten. Mit dem Makel der Diözesanerrichtung und dem Brandmal seiner polnischen Herkunft versehen, konnte ihn am Ende selbst seine beeindruckende Bilanz einer 16-jährigen Diaspora-Seelsorge nicht davor bewahren, zum Bauernopfer der vatikanischen Ökumene-Diplomatie zu werden. Sein Nachfolger, der aus Italien stammende Priester und bisherige Rektor des St. Petersburger Priesterseminars Paolo Pezzi, bringt entsprechend jene Qualität mit, die von Seiten des Vatikans in dieser Situation geschätzt wird: er gilt als unbeschriebenes Blatt.

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